In Wien ist die weltweit erste Zungenverpflanzung geglückt. Während noch unklar ist, ob das neue Organ vom Körper angenommen und vom Patienten emotional akzeptiert wird, planen Chirurgen schon den nächsten Coup: die Transplantation eines ganzen Gesichts.
Sie ist hellrosa, gut durchblutet und überraschend wenig geschwollen. Und auch sonst unterscheidet sie sich kaum von anderen Organen ihrer Art: Wenn alles gut geht, wird sie ihren Besitzer befähigen, zu sprechen und zu schlucken. Nur das Schmecken bleibt ihm wohl verwehrt. Und der Luxus, ohne Medikamente zu leben: Sonst würde sein Immunsystem den hochkomplexen Muskel als das erkennen, was er ist: ein Fremdling.
Ärzten der Wiener Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist Samstag vorvergangener Woche eine Weltsensation gelungen: In einer 14-stündigen Operation verhalf ein Team unter der Leitung von Christian Kermer und Franz Watzinger einem Krebspatienten zu einer neuen Zunge. Erst zehn Wochen zuvor war der 42-jährige, starke Raucher ins AKH gekommen und hatte geklagt, seinen Mund kaum mehr öffnen zu können. Die niederschmetternde Diagnose: Plattenepithel-Karzinom. Bereits 90 Prozent der Zunge waren verkrebst. Die Standardbehandlung für derlei Fälle sieht eine Strahlen- und Chemotherapie mit anschließender Entfernung der Zunge vor. Das dabei entstehende Loch wird gewöhnlich mit Teilen des Dünndarms geschlossen.
Eindringling im Mund
Ohne Zunge hätte der Patient freilich nie mehr sprechen oder schlucken können und sich lebenslang über eine Magensonde ernähren müssen. Um diesem Schicksal zu entkommen, entschloss sich der 42-Jährige, das Wagnis der weltweit ersten Transplantation dieser Art einzugehen. Folglich entfernten die Ärzte die verkrebste Zunge samt einem Teil des Kiefers, verpflanzten das Spenderorgan und verschlossen die Kieferlücke mit einem Metallimplantat. Die Gefahr, dass das Immunsystem das fremde Gewebe als feindlichen Eindringling bekämpft und die Zunge folglich abgestoßen wird, ist jedoch noch lange nicht gebannt. Auch bleibt abzuwarten, ob sie sich überhaupt bewegen lässt - von Geschmacksempfinden nicht zu reden.
Eine völlig andere Frage ist, wie der 42-Jährige Wiener mit der Tatsache leben wird, die Zunge eines Toten im Mund zu spüren. Die psychischen Folgen von Transplantationen - vor allem sichtbarer oder spürbarer Organe - sind bislang nur äußerst spärlich dokumentiert.
Als Paradebeispiel für die optimale Verarbeitung eines solchen Eingriffs gilt Theo Kelz. Der Kärntner Polizist hatte am 24. August 1994 durch eine Rohrbombe des Briefbomben-Attentäters Franz Fuchs beide Hände verloren. Im März 2000 wurden ihm von einem Innsbrucker Chirurgenteam zwei Spenderhände transplantiert. "Theo Kelz dankt immer wieder den Verwandten dieses anonymen Spenders, dessen Hände er bekommen hat - aber es sind seine Hände, er hat sie integriert", freut sich Hildegunde Piza, die als Vorstand der Innsbrucker Universitätsklinik für Plastische und Wiederherstellungschirurgie federführend an der Operation beteiligt war.
Nicht jeder kann freilich das fremde Körperteil so selbstverständlich akzeptieren wie der Kärntner Polizist. So ließ sich der Neuseeländer Clint Hallam, dem 1998 als ersten Menschen in Lyon eine Hand transplantiert worden war, drei Jahre später den Körperteil wieder amputieren. "Ich konnte damit einfach nicht mehr leben", erklärte er. Sein Körper und Geist hätten den fremden Körperteil abgelehnt, er fühle sich damit "behinderter als zuvor". Zudem hätten die Nebenwirkungen der Medikamente, die er seit der Verpflanzung nehmen musste, sein Leben unerträglich gemacht.
Nicht nur bei spektakulären Hand-Transplantationen, auch bei Routine-Eingriffen wie der Verpflanzung von Nieren (österreichweit 410 im Jahr 2002), Lebern (155), Lungen (90) oder auch Herzen (70) können Patienten Probleme bekommen, das neue Organ zu verinnerlichen. Edith Freundorfer, die als klinische Psychologin und Psychotherapeutin Leber- und Nierentransplantierte im Wiener AKH begleitet, weiß um diese Schwierigkeiten: "Kognitiv akzeptieren es die meisten Menschen, aber emotional haben manche Probleme." Zweifellos sei das Herz als Symbol des Lebens emotional stärker besetzt als etwa die Leber oder eine Niere. Dennoch höre auch sie immer wieder den Satz: "Es geht mir nicht so gut, weil jemand anderer für mich gestorben ist". In der überwiegenden Zahl der Fälle würden die neuen Organe jedoch sehr positiv angenommen. "Viele Patienten geben dem Organ sogar Namen", weiß die Psychologin.
Einer, der einen solch unkomplizierten Umgang mit seinem Spenderorgan pflegt, ist Josef Wiesbauer. Der Obmann des Österreichischen Verbands der Herz- und Lungentransplantierten hat mit der Tatsache, dass seit 1991 das Herz eines Toten in seinem Brustkorb schlägt, "überhaupt keine Probleme": "Das ist kein fremdes Organ, sondern mein eigenes Herz - wie wenn der Motor ausgetauscht worden wäre." In einem toten Menschen wäre dieses Wunderwerk eben für immer verloren gewesen, meint er nüchtern.
Auch ein anderes Wunderwerk der Natur entzieht sich mit dem Tod seines Besitzers endgültig dem Zugriff der Transplantations-Chirur-gie: das menschliche Gesicht. Doch ein britischer Arzt schickt sich an, das zu ändern: Im Herbst des vergangenen Jahres schockierte Peter Butler, Plastischer Chirurg am Londoner Royal Free Hospital, die Weltöffentlichkeit mit seiner Absicht, die Gesichter von Toten auf die Köpfe Lebender zu verpflanzen, die durch Krebs oder Unfälle entstellt worden sind. Um das Gesicht vom Kopf zu lösen, also zu "ernten", würde er den Schnitt am Haaransatz setzen und direkt vor dem Ohr bis zum Hals führen. Er würde die Nase vorsichtig ablösen, ebenso die Lider und die Lippen. Schlussendlich würde er diese Maske aus Muskeln, Haut und etwas Knorpel jemandem transplantieren, der sein eigenes Gesicht im Kampf gegen wuchernde Zellen oder durch eine andere Tragödie für immer verloren hat.
Bis heute wurde Peter Butler dieses Wagnis von den zuständigen Ethikkommissionen nicht erlaubt. Zu viele Fragen bleiben offen: Wie geht jemand damit um, beim Blick in den Spiegel das Antlitz eines Toten zu sehen? Wie würden die Angehörigen reagieren, wenn sie auf der Straße einen Menschen treffen würden, der die Züge ihres Verstorbenen trägt? Nichtsdestotrotz haben bei Peter Butler schon Interessenten angeklopft - allen voran ein 14-jähriges Mädchen, das im Alter von zwei Jahren beim Spielen ein Auto in Brand steckte und fürchterlich entstellt wurde.
Der Tote im Spiegel
So abenteuerlich der Plan des Londoner Chirurgen klingt: Auch hierzulande betrachtet man nach der Transplantation von Händen und Zungen die Verpflanzung ganzer Gesichter als nächsten, unausweichlichen Schritt in der Spitzenmedizin. "Es ist technisch machbar und ich glaube auch, dass es kommen wird", zeigt sich Hildegunde Piza im Gespräch mit der Furche überzeugt. Freilich würde dadurch erneut eine Grenze überschritten. "Schon die Transplantation der Hände hat für einen Aufschrei gesorgt. Beim Gesicht muss man sich zusätzlich fragen, ob hier noch die Totenruhe gewährleistet ist", meint Piza.
Auch ihr Kollege Manfred Frey, Vorstand der Abteilung für Wiederherstellende und Plastische Chirurgie am Wiener AKH, hegt erhebliche Zweifel an der ethischen Zulässigkeit einer Gesichts-Verpflanzung: "Es gibt kein Organ, das so sehr an die Identität des Patienten rührt, wie das Gesicht." Ein weiteres Problem sieht er - wie bei allen nichtlebensnotwendigen Fremdtransplantationen - in der lebenslänglichen Immunsuppression. "Es ist auch fraglich, inwiefern sich in einem solchen transplantierten Gesicht auch eine Mimik entwickeln kann und es nicht beim bloßen Grimassieren bleibt", warnt Frey.
Geheilt - und verstümmelt
Ganz anders die Haltung von Rolf Ewers, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, die soeben mit der Zungenverpflanzung für Furore sorgte: "In der Medizin gibt es keine Grenzen. Und wir sollten uns auch keine ethischen Grenzen setzen." Die Transplantation von Gesichtern, so Ewers, sei "sicherlich der nächste Schritt". Zu groß sei der Leidensdruck mancher Patienten, denen oft große Teile des Gesichts weggeschnitten werden müssten, um den Vormarsch des Krebs zu stoppen. "Wir nehmen pro Jahr 70 große Tumor-Operationen im Gesicht vor. Dabei entstellen wir die Patienten natürlich immer", gibt der Chirurg zu bedenken.
Die Rekonstruktion des Gesichts nach einer solchen Operation sei zwar nicht überlebensnotwendig. Erst kürzlich habe aber eine interne Untersuchung gezeigt, dass rekonstruierte Patienten eine längere Überlebensrate aufweisen würden als Patienten mit gleicher Tumorgröße, deren Gesicht nicht rekonstruiert wurde.
Schon jetzt ist in der Wiederherstellungschirurgie vieles möglich: Dünndarm wird als Schleimhautersatz verwendet, das Schulterblatt ersetzt den Oberkiefer, das Wadenbein den Unterkiefer. Diese medizinischen Höchstleistungen können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Patienten lebenslang gezeichnet sind - und von ihrer Umwelt oft wie regelrechte Ungeheuer behandelt werden. "Viele Passanten bleiben mit den Augen hängen. Deswegen gehen manche nie mehr in die Öffentlichkeit", weiß Ewers. Umso mehr sehnt er die Möglichkeit herbei, solchen Patienten durch die Verpflanzung eines Gesichts neue Perspektiven zu eröffnen - ähnlich wie dem 42-jährigen Wiener durch eine neue Zunge: "Ich hoffe, dass ich das noch erleben werde."