Gerhard Polt: „Die guade Haut“
Der bayerische Kabarettist Gerhard Polt über das Moralische, den Gutmenschen und seine Bekanntschaft mit einem Vierfachmörder.
Der bayerische Kabarettist Gerhard Polt über das Moralische, den Gutmenschen und seine Bekanntschaft mit einem Vierfachmörder.
Vor seinem Auftritt im Wiener „Globe“ nimmt sich Kult-Bayer Polt eine Stunde Zeit, um mit der FURCHE über das Gute im Menschen zu philosophieren. Eines seiner Aha-Erlebnisse, so sagt er, hätte in einem „Zuchthaus“ stattgefunden ...
DIE FURCHE: Fangen wir ganz allgemein an. Ein guter Mensch, was ist das überhaupt?
Gerhard Polt: Der Mensch. Das ist ein Begriff, mit dem ich mich von Haus aus schwer tue. Wenn man mich fragt, ob die Frau Meier gut ist oder der Herr Schmid, dann kann ich vielleicht eine Antwort geben. Aber der Mensch an sich ist für mich keine Kategorie.
DIE FURCHE: Wann ist denn die Frau Meier gut?
Polt: Dafür muss ich sie natürlich kennen die Frau Meier. Sage ich über sie, sie ist ‚die guade Haut‘ – das ist ein schöner Ausdruck in diesem Zusammenhang –, dann tue ich kund, dass ich sie für einen guten Menschen halte.
DIE FURCHE: „Die guade Haut“: Meint man damit nicht jemanden, der sehr gutmütig, gar gutgläubig ist?
Polt: Es gibt ja den schönen Spruch: A guader Mensch ist fast a Depp. Es gibt eine Form von Gutmütigkeit oder Gutheit, die manche Leute ironisieren. Die reden dann vom ‚Labb‘ , der sich alles gefallen lässt. Aber so pauschal kann man das auch über die Frau Meier oder den Herrn Schmid nicht sagen. Ein Mensch kann ja auch nur partiell gutmütig sein. Was eher geht ist, den Menschen medizinisch zu definieren. Ob er gut beieinand ist. Dass er ein Zweibeiner ist zum Beispiel. Außer er hat im Krieg einen Hax verloren oder durch eine Krankheit. Verstehst.
DIE FURCHE: Einen Menschen richtig einzuschätzen, hat ja auch etwas mit der eigenen Menschenkenntnis zu tun. Wie ist die beinand beim Gerhard Polt?
Polt: Im Laufe des Lebens, da kriegst du natürlich einiges mit und merkst eigentlich nur – also ich rede grad bloß von mir – die eigene Unzulänglichkeit, Menschen wirklich einschätzen zu können.
DIE FURCHE: Gibt es dafür ein Beispiel?
Polt: Die Well (die Musik- und Kabarettgruppe „Wellbrüder aus’m Biermoos“; Anmerkung der Redaktion) und ich haben einmal im ‚Santa Fu‘ in Hamburg gespielt. Das ist ein sehr abgeschirmtes Gefängnis, in dem die Schwerverbrecher drin sind. Zuchthaus hätte man früher gesagt. Die Insassen dort, die waren alle recht heiter, die haben sich wahrscheinlich gefreut über unseren Besuch. Ja, und dann hat sich neben mich einer gehockt. Ein junger Mann. Nettes Gesicht. Freundlich. Angenehm. Und der hat zu mir gesagt, dass ihm das alles sehr gut gefallen hat, was wir da machen. Darauf habe ich gesagt: ‚Wenn du wieder draußen bist, vielleicht kommst einmal vorbei bei uns.‘ Dann hat der geantwortet: ‚Ich komme aber nicht mehr raus.‘ Da bin ich erschrocken.
Gerhard Polt ist ein deutscher Kabarettist, Autor, Fernseh- und Filmschauspieler. Polt lebt in München und wurde unter anderem mit dem Kulturpreis Bayern, dem Bayrischen Fernsehpreis und dem Salzburger Stier (Ehrenstier für das Lebenswerk) ausgezeichnet.
Gerhard Polt ist ein deutscher Kabarettist, Autor, Fernseh- und Filmschauspieler. Polt lebt in München und wurde unter anderem mit dem Kulturpreis Bayern, dem Bayrischen Fernsehpreis und dem Salzburger Stier (Ehrenstier für das Lebenswerk) ausgezeichnet.
DIE FURCHE: Weil der Häftling so gewirkt hat, als wäre er einer von den leichteren Fällen?
Polt: Sympathisch war mir der Kerl halt. Und dann habe ich den Wächter gefragt, warum der nicht mehr rauskommt. Und er hat mir dann erklärt, dass es sich bei dem um einen ganz schweren Kandidaten handelt. Der hat auf der Reeperbahn mit seinem Haxn, mit seinem Stiefel, vier Menschen zertreten. Zu Tode getreten. Verstehst. Also der war vierfacher Mörder. Das hätte ich von der Figur, die mich angesprochen hat, nicht ein bisschen vermutet. Man sagt ja, es gibt eine kriminelle Fazies oder so etwas. Aber das hatte der nicht im Geringsten. Das hat mich schockiert.
DIE FURCHE: Weil man es diesem Mann nicht angemerkt hat, wozu er fähig ist?
Polt: Eher weil ich gemerkt habe, wie vollkommen falsch ich mit meiner ganzen Einschätzung gelegen bin.
DIE FURCHE: Er hatte ja offenbar zwei Gesichter.
Polt: Ja, die mit den unterschiedlichen Gesichtern, die gibt es. Und der Mensch ändert sich ja auch. Die Situation ändert sich und der Mensch ändert sich mit der Situation.
DIE FURCHE: Die Läuterung eines Menschen kann demnach gelingen?
Polt: Dazu müsste man wissen, ob sich der Mensch selber im Griff hat. Das ist ja die alte Frage: Träum ich – oder träumt mir? Bin ich Subjekt oder bin ich Objekt? Beherrscht dein Charakter dich oder beherrschst du deinen Charakter?
DIE FURCHE: Und? Was stimmt?
Polt: Ja eben. Genau das ist offen. Das ist bei jedem Menschen offen. Glaub ich. Bei uns in Bayern gibt es dafür ein gutes Beispiel.
DIE FURCHE: Welches Beispiel?
Polt: Ja, das vom geizigen Menschen. Der Bayer sagt zu so einem: ‚Der hat an Ruach im Knack.‘ Da sitzt also einer da und hat ihn. Er ist sozusagen im Griff des Geizes. Nicht er ist der Geizige. Der Geiz hat ihn.
DIE FURCHE: Wir sind also nicht der Souverän unseres Wesens?
Polt: Manchmal nicht. Dann wieder schon. Das kann sich ja ändern, auch situationsbedingt. Das macht es so schwierig, sich über einen Menschen ein Urteil zu bilden.
DIE FURCHE: Einen „guten Menschen“ zu definieren, ist also kompliziert. Geht es mit dem Gutmenschen leichter? Dieser Begriff hat sich ja in den öffentlichen Diskurs eingeschlichen.
Polt: Ja mei. Das Wort ist halt mit der Flüchtlingskrise aufgekommen. Glaube ich. Gemeint sind Menschen, denen nachgesagt wird, sie hätten zu wenig Erfahrung, um abgewogene Entscheidungen zu treffen. Dass die allen helfen wollen, das wird denen vorgeworfen. Und die anderen entgegnen dann: ‚Wer zum Teufel soll die alle aufnehmen?‘
DIE FURCHE: Die Gutgläubigkeit schwingt also auch beim Gutmenschen wieder mit?
Polt: Den Aspekt hast du ja, wenn du so willst, auch im Christentum. Auf der einen Seite ist da das absolute Samaritertum. Die sagen, es ist ganz egal, und wenn noch so viele kommen, wir müssen helfen. Und dann gibt es eine abgestufte Form des Betrachtens, bei der die Humanität auch wichtig ist. Aber die Art und Weise, wie man sie praktiziert, ist nicht nur eine rein moralische, sondern auch eine pragmatische. Und darin liegt der Konflikt, den der Begriff Gutmensch symbolisiert. Glaube ich.
DIE FURCHE: Übertragen auf die Realpolitik – wenn man an Europa denkt, seinen Umgang mit Geflüchteten und die Suche nach einem Konsens: Ist dieser Konflikt überhaupt lösbar?
Polt: Nein, das glaube ich nicht. Die Welt ist voll von ungelösten Fragen. Unser Leben ist voll davon. Natürlich hätten wir gerne die eine oder andere Frage beantwortet. Aber wir müssen am Ende damit leben, dass es keine Antwort darauf gibt.
DIE FURCHE: Wir müssen damit leben, dass es auf das moralische Dilemma in puncto Flüchtlingskrise keine Antwort gibt?
Polt: Die wird es freilich nicht geben. Du siehst das ja, wie unterschiedlich die Haltungen sind. Dabei kommt mir ein Theaterstück in den Sinn. Da geht es um eine Familie, die einen aus dem Gefängnis aufnimmt. Auf einmal wird sie der Lage nicht mehr Herr. Denn der, den sie aufnehmen, der entpuppt sich als Bombe. Gleichzeitig versucht die Familie ihr Anliegen, also gut zu sein, beizubehalten. Das geht schief.
DIE FURCHE: Der Gutmensch bleibt also nur so lange gut, bis er an seine Grenzen stößt?
Polt: Ja. Man kann sich auch übernehmen. Es kann ja gut ausgehen. Muss es aber nicht. Verstehst.
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