"G’sunde“ Watsche trotzt Gewaltverbot

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Im Juli wäre der Kinderschutzpionier Hans Czermak 100 Jahre alt geworden. Eine Bilanz zum Jubiläum zeigt, dass Gewalt noch immer den Alltag vieler Kinder prägt.

1989 wurde in Österreich das Gewaltverbotsgesetz eingeführt, dessen Grundstein vom Kinderarzt Hans Czermak gelegt wurde. Heute, 24 Jahre nachdem das Gesetz verabschiedet wurde, wendet laut einer Statistik der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit die Hälfte der österreichischen Eltern nach wie vor körperliche Strafen an. "Mein Großvater hat damals geglaubt, dass wir das Gesetz in 20 Jahren gar nicht mehr brauchen werden, weil dann in Österreich alles perfekt laufen wird“, meint Czermak-Enkel Georg Streit. Das Gegenteil ist der Fall: Nur ein Drittel der Eltern weiß überhaupt über das Gesetz, das Gewalt gegen Kinder verbietet, Bescheid. "Die Zahlen nehmen zwar stetig ab, aber es ist trotzdem ein erschütterndes Ergebnis“, sagt Liga-Präsident Klaus Vavrik. Zudem sei die oft angewandte Strafe des Liebesentzuges nicht in der Statistik enthalten. "Das ist eine stille Form von Gewalt, die in ihrer Auswirkung enorm ist“, erklärt Vavrik. Störungen und Sozialphobien könnten durch diese Art der Bestrafung entwickelt werden.

Vorbildliches Schweden

Dass es in Sachen Kindererziehung auch ganz anders aussehen kann, zeigt das Vorbildland Schweden: Im Gegensatz zu Österreich wurden dort über lange Zeit intensive Aufklärungskampagnen betrieben, was letztendlich dazu beigetragen hat, dass sich die Gewaltrate in der Kindererziehung enorm reduzierte und Schweden heute das geringste Ausmaß an Gewaltanwendung vorweisen kann. Laut Vavrik hätten vor allem gezielte Kampagnen auf Alltagsprodukten, wie etwa Milchpackungen, zu einem ausgeprägten Unrechtsbewusstsein der schwedischen Eltern geführt. "Die Österreicher hingegen haben gar nicht das Gefühl, dass sie ein Gesetz brechen“, betont er. Im internationalen Vergleich bilden Frankreich und Spanien die Schlusslichter. Spanien setzte erst im Jahr 2008 ein Kinderschutzgesetz durch, in Frankreich sind Schläge und Ohrfeigen in der Erziehung bis heute gängig und gesetzlich nicht verboten. Wichtig sei vor allem, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen, unterstreicht Georg Streit: "Der geschlagene 5-Jährige schlägt den 2-Jährigen, weil es der Papa ja auch tut. Das pflanzt sich immer weiter fort.“ Auch die vorherrschende Meinung, dass eine "g’sunde Watsche“ manchmal sein müsse, wie es der Extremsportler und wegen Körperverletzung verurteilte Felix Baumgartner erst kürzlich gegenüber der "Bild“-Zeitung formulierte, hält Streit für äußerst problematisch: "Was ist, wenn man nicht so eine starke Persönlichkeit ist? Wenn man labiler ist und vielleicht sogar schon als Kleinkind oder Säugling geschlagen wird? Dass das nicht schadet, kann mir keiner erzählen.“

Um die Situation der Kinder in Österreich zu verbessern, fordert die Liga für Kinderschutz intensive Aufklärung und Bewusstmachung des Verbotes seitens der Regierung. "Mein Großvater Hans Czermak hat immer gesagt, dass jeder eine Lobby hat: Hunde, Pensionisten, Sportler. Alle haben einen offiziellen Vertreter, nur Kinder nicht“, bringt Streit das Problem auf den Punkt. Zudem würde die Vernetzung verschiedener Kinderschutzeinrichtungen oft von gesetzlichen Schweigepflichten behindert. "Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit von Justiz, Kinderschutzeinrichtungen, Krankenhäusern, Exekutive, Sozialarbeitern und der Wohlfahrt. Die einzelnen Player sind zwar vernetzt, aber sie kommunizieren zu wenig miteinander“, bedauert Liga-Präsident Vavrik. Beklagenswert sei zudem der Umstand, dass sich NGOs und private Stiftungen um den Kinderschutz in Österreich kümmern müssten. Vavrik fordert daher den Ausbau des Systems der "Frühen Hilfen“. Hier sollen Familien, die mit der Belastung der Kindererziehung nicht alleine umgehen können, frühzeitige Unterstützung von Pädagoginnen oder Hebammen erhalten. So wäre eine automatische Beobachtung der belasteten Familien möglich, "aber mit helfendem Aspekt und dem Glauben daran, dass man die Situation der Kinder verbessern kann“, so Vavrik. Durch dieses System würden auch die Kindesabnahmen durch das Jugendamt und die Gewaltausübung reduziert. Gleichzeitig würde auch der Staat von derartigen Einrichtungen profitieren: "Jeder investierte Euro in der Kindheit wird, zum Beispiel durch nicht notwendige Therapiekosten, etwa 16-fach im Laufe des Lebens zurückgebracht“, erklärt Vavrik.

Der Friede im Kinderzimmer

Für die Zukunft der österreichischen Kinder erhofft sich die Kinderschutz-Liga eine Annäherung der Verhältnisse an das schwedische Vorbild. "Das war auch dort ein Prozess, der sich über Jahre erstreckt hat. Das öffentliche Bewusstsein über das Gesetz in Österreich von 32 auf 50 Prozent zu steigern, wäre aber schon in kurzer Zeit möglich“, ist sich Vavrik sicher. Auch Georg Streit betont, warum öffentliches Bewusstsein den Kindern nur zugutekommen kann: "Geschlagene Kinder schlagen häufig selbst wieder. Man muss den Frieden also im Kinderzimmer machen.“ Man müsse einmal "dazwischenfahren und diese Spirale der Gewalt unterbrechen“, so Streit. Beim Kinderschutz gehe es nämlich auch darum, zu kommunizieren, dass Erziehung auch ohne Handgreiflichkeiten möglich ist, schließlich seien Kinder die Erwachsenen von morgen.

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