Die Entwicklungshilfe ändert sich gerade grundlegend, man versucht, auch Betroffene in die Programmgestaltung einzubinden. Von einer wirklichen Partnerschaft kann aber noch nicht gesprochen werden.
Die Entwicklungshilfe - oder politisch korrekter die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) - ist noch weit entfernt von einer ehrlichen Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Die Big Player der EZA sind die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF). Die Strategie dieser beiden großen Institutionen in Sachen EZA wird immer wieder angepasst. Die letzte große Reform war die Einführung der Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP). Sie sind Teil der UNO-Milleniums-Ziele und sollen mitunter dafür sorgen, dass bis 2015 der Anteil der Armen an der Weltbevölkerung um die Hälfte sinkt. Als arm gilt, wer weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Der neue Ansatz der PRSPs ist der, dass auch die betroffenen Gruppen in die Erarbeitung der Hilfsprogramme miteingebunden werden sollen.
Theorie trifft Praxis
Auf dem Papier hört sich dieser Paradigmenwechsel gut an, wenn nicht mehr der Norden allein zu wissen glaubt, was gut für die Entwicklung des Südens ist. Doch Gabriele Slezak, Afrikanistin an der Universität Wien und verantwortlich für die Länderdokumentation bei der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung, hat ihre Zweifel, ob die Einbindung der betroffenen Bevölkerungsgruppen, wie man sich das theoretisch vorgestellt hat, überhaupt funktioniert. Denn die Entwicklungsländer wurden gebeten, innerhalb eines halben Jahres ein Strategiepapier vorzulegen. Eine viel zu kurze Zeitspanne, denn der Postweg oder die Kommunikation mittels Internet ist nur unzureichend geeignet, um beispielsweise mit einer nichtstaatlichen Organisation (NGO) auf dem Land Kontakt aufzunehmen, oder an Menschen in den Slums heranzukommen. Hierfür sind persönliche Kontakte notwendig, sprich Menschen, die sich die Mühe machen, und die hilfsbedürftigen Gruppen eines Landes aufsuchen, um mit ihnen von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Somit wisse die Zivilbevölkerung noch immer nicht darüber Bescheid, welche Hilfe ihr eigentlich zusteht, bzw. was sie von welchem Geber zu erwarten hat. Wäre dies bekannt, so wäre das ein gutes Mittel, um die Korruption zu bekämpfen, denn eine informierte Bevölkerung, die versprochene Hilfeleistungen nicht bekommt, beginnt zu handeln, meint Slezak.
Auch die Direktzahlungen an afrikanische Regierungen sind heute wieder verstärkt im Kommen. Die Gelder dürfen meist nur in einem bestimmten Bereich verwendet werden - zum Beispiel Grundbildung - und es müssen Berichte verfasst werden, welche Auswirkungen die Verwendung der Mittel hatte. Hierbei ergeben sich laut Slezak zwei Probleme: Zum einen rutschen die Entwicklungsländer in eine Abhängigkeit, denn es wird natürlich auch mit diesen Mitteln gerechnet, zum anderen werden die Budgets der Länder sehr instabil, denn wenn sich die EZA-Politik der Geberländer ändert, wird auf einmal ein Bereich nicht mehr so stark gefördert und ein andere wiederum mehr. Der Eingriff in die Politik der souveränen Staaten von Seiten der Geberländer ist somit enorm. Slezak ist auch überzeugt, dass die Empfängerländer nicht den Mut haben, Änderungswünsche zu artikulieren, aus Angst, die Gelder ganz zu verlieren.
Für Benedikt Metternich, Leiter der Entwicklungsprogramme beim Institut zur Cooperation bei Entwicklungs-Projekten (ICEP), ist der Trend hin zu den Budgethilfen ein pragmatischer Weg der westlichen Staaten, um die EZA zu vereinfachen. Denn es ist leichter, einem Staat Geld für einen Bereich zur Verfügung zu stellen, als dieselbe Menge an 700 NGOs vor Ort zu verteilen, was auch bedeutet, dass nicht nur ein Bericht, sondern 700 Tätigkeitsberichte gelesen werden müssen. Er ist aber davon überzeugt, dass eine nichtstaatliche Organisation am effektivsten mit den EZA-Geldern umgeht, sofern es sich um eine gute NGO handelt. Und das ist für ICEP auch der kritische Punkt, da die Organisation nicht mit eigenem Personal vor Ort tätig ist, sondern immer mit lokalen Institutionen zusammenarbeitet. Das heißt, es muss aus der Fülle der potenziellen Partner jene herausfiltern, die - wie IMANI, eine Mikrofinanz-Organisation in Kenia (siehe Kurzinterview unten) - effizient und nachhaltig wirtschaften. Eine Kunst, wie Metternich sagt. In puncto Mikrokredite ist Metternich skeptisch, ob diese das Allheilmittel in der Entwicklungshilfe darstellen. Sie seien vielmehr ein Teil - wenngleich ein hochwirksamer - eines ganzen Maßnahmenpaketes, das vor allem Bildung und die Erhöhung der Nachhaltigkeit der einzelnen Maßnahmen miteinbezieht. Denn wenn jemand arm ist und seine Kinder nicht in die Schule schicken kann, so werden auch seine Kinder arm bleiben. Und wenn NGOs in den Entwicklungsländern nicht über kurz oder lang soweit sind, dass sie sich finanziell selber tragen können, werden sie auch nicht aus dem Abhängigkeitsverhältnis rauskommen. Denn, wenn das Geld aus dem Ausland nicht mehr eintrifft, können die unterstützten Projekte dieser NGOs nicht weiter bestehen.
Die wahre Demokratie
Slezak ist auch der Meinung, dass man behutsam mit der Meinung umgehen soll, dass nur die europäische Vorstellung von Demokratie und Staat die einzig wahre ist. Denn die Erkenntnis, die sie aus Projekten in Afrika hat, ist die, dass es zum Beispiel in den Sprachen Bambara und Dschula für das Wort Demokratie ganz andere Übersetzungen gibt. Es gibt Ethnien in Westafrika, deren Tradition es ist, Dinge nach genau festgelegten Regeln auszudiskutieren. Demokratie kann auch nach solchen lokalen Regeln funktionieren. Sie plädiert auch dafür, dass auch solch hehre Ziele wie etwa Menschenrechte und die Gleichberechtigung von Mann und Frau - die zu verfolgen zwar löblich sei -, einem Staat nicht vorgeschrieben werden sollen.
Caritas-Präsident Franz Küberl spricht sich bei der EZA für eine ehrliche Partnerschaft aus, es müsse auf den Schwächeren Rücksicht genommen werden. Vor allem, wenn es um wirtschaftliche Beziehungen geht. Weiter ist für ihn die Erfolgsgeschichte des Marshallplanes in Europa wegweisend für eine grundlegende Änderung der Entwicklungshilfe à la "Global Marshall Plan". Die Generation von heute müsse sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Sonst werden die kommenden Generationen die gleichen scharfen Fragen stellen, wie die Kinder der Weltkriegs-Generation, die wissen wollten, wie es möglich war, dass das NS-Regime mit seinen schrecklichen Folgen entstehen konnte. "Elektrische Zäune und Soldaten zum Schutz der Reichen vor den Armen sind keine Lösung."
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