"Hauptsache mir geht's gut!"
Sie seien egoistisch, vergnügungssüchtig und politikverdrossen. Oft wird Jugendlichen vorgeworfen, sie hätten keine Werte und Ideale. Stimmt das?
Sie seien egoistisch, vergnügungssüchtig und politikverdrossen. Oft wird Jugendlichen vorgeworfen, sie hätten keine Werte und Ideale. Stimmt das?
Was kostet die Welt, fragt sich der 15jährige, zieht sich seine überweiten Hosen an und legt seine Lieblings-CD auf. Ganz laut, das Fenster ist offen. Die Formulierung ihrer Gedanken, Wünsche und Träume transportieren Jugendliche vorrangig via Musik. Hier kann man es laut herausschreien, seine message, die Zukunftsangst. Ja, Zukunftsangst.
Geben es sogar schon Politiker zu, daß es die nächste Generation um einiges schwerer haben wird, als ihre Eltern. Egal was man auch lernt, einen Arbeitsplatz bekommt man so und so nicht. Für die Älteren ist man dann gleich der faulenzende Nichtstuer. Und die Liebe, ja das ist ein seltsames Spiel. Wenn es nicht einmal die Eltern geschafft haben, einen Rosenkrieg mit anschließender Scheidung zu vermeiden, wie soll es dann der Sprößling schaffen, sich eine heile Welt zu basteln. Vorbilder werden rar.
Auf scheinbar unpolitischen Love Parades und Techno-Raves treffen sich die Jugendlichen und tauchen flüchtend in virtuelle Scheinwelten ein. Sie bewegen ihre Körper zu laut dröhnenden Beats, eindrucksvolle Lasershows unterstützen das futuristische Ambiente. Die Welt um sich herum vergessen, für ein paar Stunden. Warum nicht? Am nächsten Tag trifft man sich in der Wartehalle beim Arbeitsmarktservice wieder.
Zu den größten Zukunftsängsten junger Menschen zählt die Arbeitslosigkeit. Angst vor Arbeitslosigkeit haben besonders die 14- bis 15jährigen (68 Prozent, Fessel Studie). Sie stehen in diesem Alter meist erstmalig vor der Entscheidung, welchen Beruf sie einmal ergreifen sollen. Aufgrund der Arbeitsmarktlage können viele nicht ihren Wunschberuf verwirklichen. Auch werden beispielsweise Lehrlingen nicht alle Berufe angeboten, die Jugendliche anstreben - und das zermürbt. Die Berufstätigkeit der Jugend läuft eben nicht so problemlos ab, wie man es sich wünschen würde und wie Politiker es versprechen (man erinnere sich nur an Bundeskanzler Viktor Klimas Versprechen im vergangenen Jahr: "Kein 15jähriger soll im Herbst ohne Lehrstelle oder Ausbildungsplatz bleiben").
Musik, Sport, Mode und Schönheit ist Österreichs Jugend um ein Vielfaches wichtiger als Politik. Schließlich haben sie andere Probleme, als den Versprechungen der Politiker zu lauschen. Was haben sie schon davon? Jung, frei, ungebunden - und ohne Verantwortungsbewußtsein?
Nein, schließlich ist es ja nicht so, daß sie nicht bereit wären mitzuarbeiten. Beispielsweise sammelten vergangene Woche an die 200 Vorarlberger Schüler im Rahmen eines "Schülerkongresses", Vorschläge zu Themen wie "Jugendmitbestimmung" und "Politische Bildung". Eines der Ergebnisse: Sie wollen ihren Lebensraum mehr als bisher mitgestalten.
Auch etwa die Tiroler Landesschulsprecherin Daniela Stepp weiß, daß ihre Altersgenossen ernst genommen werden wollen. Bisher seien aber alle Versuchsmodelle wenig zufriedenstellend verlaufen. Es ist nun einmal so, daß sich die Jugendlichen derzeit nicht von der Politik entsprechend ihren Anliegen vertreten fühlen.
Die politische Orientierung erfolgt großteils über Medien. Es gibt Transparenz wie nie zu vor. Via Multimedia erlebt man alles aus nächster Nähe. Wobei sogar die inszeniert ist - und das wirkt ernüchternd. Das tägliche Auftreten, das Affentheater der Politiker führt dazu, daß die Jungen die Politiker für interessengeleitet, unglaubwürdig und unehrlich halten. Das geht auch aus einer österreichischen Jugendstudie hervor. Immerhin verneinen zwei Drittel die Aussage, daß "unsere Politiker ihre Sache im großen und ganzen recht gut" machen. "Null Bock auf die Spinnereien", lautet schlichtweg die Reaktion.
Vertrauen bringen Jugendliche noch am ehesten für Umweltschutzorganisationen auf, die relativ glaubwürdig für eine "gute" Sache auftreten. Institutionen wie Greenpeace schenken sie gerne ihre Stimme - agieren sie doch gemäß dem jugendlichen Gemüt auflehnend und provozierend - und ideologiefrei. Parteien sind megaout und uncool. Und zwar jede.
Auch in der Schule ist für politische Bildung kein Platz. Höchstens in Form von Freifächern, die im letzten Moment wegen sogenannter Sparmaßnahmen gestrichen werden. "Politische Bildung kommt auf jeden Fall zu kurz, schon in der Ausbildung der Lehrer", bestätigt ein Absolvent der Pädagogischen Akademie.
Die Abgewandtheit der Jugend von der Politik untermauert eine Salzburger Befragung: Nicht einmal jeder zweite Jugendliche kann einen Salzburger Landes- oder Gemeindepolitiker beim Namen nennen. In der Landeshauptstadt kennen nur 14 Prozent den Bürgermeister. Und nicht ein einziger der Jungbürger will Politiker werden.
So ist es kein Wunder, daß parteinahe Jugendorganisationen immer mehr an Zuspruch verlieren, die Überalterung der Parteien ist eine Folge davon. Bis vor etwa 15 Jahren erfolgte die politische Sozialisation häufig über Vorfeldorganisationen der Parteien. Mit deren inkludierten Freizeitangeboten lieferten sie gleich die entsprechende Weltanschauung mit. Heute ist das anders. Sportliches Freizeitvergnügen gibt es jede Menge. Zwar ist das nicht billig, aber um so cooler, freiwillig im Zehnerblock buchbar und mit keiner politischen Anschauung verbunden.
Die Mehrzahl der 15- bis 18jährigen - genauer gesagt an die zwei Drittel - hat das Gefühl, gar keinen Einfluß darauf zu haben, was Politiker bestimmen. Sie sind frustriert, demotiviert und fühlen sich nicht ernst genommen. "Ihre Bedürfnisse haben bei der Politik der Erwachsenen keinen Platz", bestätigen uns Jugendforscher das Szenario. "Dabei zerbrechen sie sich bereits in jungen Jahren über weit entfernt liegende Dinge wie Pensionsvorsorge den Kopf". Das Gejammer der Eltern hat sich also auch auf das Seelenleben der Pubertierenden niedergeschlagen. Der generelle Zukunftsoptimismus von jungen Menschen ist gemischten Gefühlen gewichen, jetzt ist "Schluß mit lustig".
Die Parteien versuchen nun mit der Herabsetzung des Wahlalters junge Parteifreunde und Wähler zu gewinnen. Eine Ausweitung der demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten nennen sie es. Bereits mit 16 Jahren sollten sie die Möglichkeit haben, Volksbegehren zu unterschreiben. Dies wäre ein erster Schritt, Jugendlichen zu zeigen, daß sie ernst genommen werden.
Aber nur mit einfachen Slogans kann man die Teenager nicht aus den Diskotheken locken. Auch "Partei-Clubbings" werden keine Überzeugungsarbeit leisten. Keinesfalls täuschen sie über politische Verfehlungen hinweg. Auf der Nudelsuppe schwimmen die Jungen schließlich auch nicht daher. Es ist sogar so, daß sie heutzutage meist besser informiert sind, mehr wissen, als noch vor 20, 30 Jahren ihre Altvorderen.
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