Bolzenschuss - © Illustration: Florian Zwickl

Hirschfelder: „Essen ist zur Performanz-Bühne geworden“

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Heute stehe einer lauten Minderheit, die sich für weniger Fleischkonsum einsetzt, eine leise Mehrheit gegenüber, die den Fleischverzehr immer noch hochhält, sagt der Kulturanthropologe Hirschfelder.

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Heute stehe einer lauten Minderheit, die sich für weniger Fleischkonsum einsetzt, eine leise Mehrheit gegenüber, die den Fleischverzehr immer noch hochhält, sagt der Kulturanthropologe Hirschfelder.

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Obwohl sich der Diskurs hin zu weniger Fleischkonsum verschoben hat, bleibt der Fleischverzehr als kultureller Akt weiterhin bedeutend, sagt Gunther Hirschfelder, Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg.

DIE FURCHE: Herr Hirschfelder, mit der Covid-19-Pandemie sind vor allem die Fleisch produktion und insbesondere Wildtiermärkte und der Eingriff des Menschen in die Natur in den Fokus unseres Diskurses geraten. Sind wir am Ende der Effizienzsteigerung angekommen, und wird uns diese nun zum Feind?
Gunther Hirschfelder:
Ich glaube, wir haben derzeit mehrere Diskussionsstränge. Einerseits geht es um Gesellschaftsdiskurse, die wir schon länger führen, also um die Fragen „Wie wollen wir uns ernähren?, Wie soll die Tierhaltung in Zukunft aussehen?“ etc. Doch die Diskussion hat eine Stellvertreterfunktion. Wir suchen in Zeiten einer globalen Komplexität und bedrohlicher Probleme eine Folie, auf der wir den Diskurs austragen können. In einer Zeit, in der Lebensstile immer wichtiger geworden sind, liegt die Frage nach der Ernährung nahe. Daher fokussieren wir uns jetzt darauf. Andererseits suchen wir uns medial ein Feindbild, das keines sein darf. Landwirte und Tiererzeuger arbeiten in der Regel gesetzeskonform und in einer langen Traditionslinie. Und wir stempeln die Landwirte jetzt zum Sündenbock ab. Unsere Ernährungssituation ist jedoch historisch gewachsen. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konnte die Landwirtschaft die Bevölkerung eher schlecht als recht versorgen. Aufgrund technischer Fortschritte haben wir es geschafft, dass sie uns in Deutschland und Österreich satt macht, und jetzt vielleicht auch zu satt macht. Doch wir haben immer noch die kulturelle Erinnerung historischer Hungererfahrungen eingraviert. Seit dem Beginn der Menschheit hat Fleischkonsum eine große Bedeutung für uns. Daher kann man die Ernährungsweisen, die wir jetzt diskutieren, auch nicht so einfach ändern. Wir wissen zwar, dass Fleischkonsum einen hohen Ressourcenverbrauch nach sich zieht und problematisch ist, dennoch verortet man dieses Wissen theoretisch, als hätte es nichts mit einem persönlich zu tun.

DIE FURCHE: Haben diese vielen technologischen Fortschritte, die wir in der Fleischverarbeitung erlebt haben, mit der Zeit unser Verhältnis zum Tier, unseren Respekt vor den Tieren zerstört?
Hirschfelder: In der Mitte des 19. Jahrhunderts konnte man der bäuerlichen Welt quasi nicht aus dem Weg gehen. Die Tierhaltung hat in den Städten stattgefunden, diese waren unhygienisch, voller Tierkot. Ja, wir haben uns als Gesellschaft von der Tierhaltung und der Fleischproduktion entfremdet. Aber „Entfremdung“ ist ein normativer Begriff. Wir haben uns auch von der Baumwollverarbeitung entfremdet. Das ist nicht unbedingt etwas Problematisches. Problematisch wird es nur dann, wenn wir uns als Gesellschaft über banale Dinge aufregen, da Inhalte zunehmend zu einer Ware geworden sind. Wenn Journalisten heutzutage eine Schlagzeile produzieren wollen, ist es unendlich schwerer, eine Insiderstory über einen Finanzkonzern oder über Sozialpolitik zu schreiben, da man hier spezielles Wissen benötigt. Viel einfacher ist es, einen Bauernhof zu besuchen und sich über die Tierhaltungsmethoden aufzuregen, weil man dies auch leichter versteht. Aber auch hier muss man sagen, einer Kuh ist es egal, ob im Stall 50 weitere Kühe stehen oder ob sie alleine im Stall ist. Wer sich mit der Geschichte der Tierhaltung beschäftigt, weiß, dass die Stallhaltung im 19. Jahrhundert unter fürchterlichen Bedingungen stattgefunden hat. Das hat nichts mehr mit einem modernen Viehbetrieb von heute zu tun. Heute ist es eigentlich viel besser als vor 100 Jahren. Spannend wird jedoch eine neue Diskussion. In der Forschung werden zunehmend emotionale Fähigkeiten und die emotionale Intelligenz von Tieren untersucht. Das könnte uns in Zukunft zu ganz neuen ethischen Diskursen führen.

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