Der Arzt, Psychotherapeut und Bestseller-Autor Rüdiger Dahlke erklärt im FURCHE-Interview, was der zunehmende Druck in der modernen Arbeitswelt mit jungen Menschen macht.
Als Begründer der ganzheitlichen Medizin beschäftigt sich Rüdiger Dahlke mit der (Be)-Deutung von Krankheitsbildern. Mit der FURCHE hat er über überhöhte Leistungsanforderungen, ungerechte Entlohnung und die Auswirkungen dieser Missstände auf das Leben junger Menschen gesprochen.
Die Furche: Worunter leiden junge Leute in der Arbeit, die bei Ihnen Hilfe suchen?
Dahlke: Die häufigsten Diagnosen lauten Burn-out und Depression. Schon die Arbeitssuche wird immer mehr zum Problem. In Ländern wie Spanien oder Italien finden junge Leute überhaupt keine adäquate Arbeit mehr. Die haben studiert und verdienen fast nichts. Wenn man sich ewig auf etwas vorbereitet und dann bekommt man nicht die Chance, das Erlernte umzusetzen, führt das langfristig zu einer großen Enttäuschung und Frustration. Die meisten Jungen müssen dann irgendeine andere Arbeit annehmen, um Geld zu verdienen, die aber ihre Seele nicht nährt.
Die Furche: Wie kommt es schon bei jungen Menschen zum Zusammenbruch?
Dahlke: Je mehr die Arbeit nur ein beliebiger "Job“ ist, umso mehr geht es in Richtung Burn-out und Seeleninfarkt, wie ich das nenne. Viele verbrennen relativ schnell in einer Arbeit, die mit ihrem Wesen, ihren Interessen und Stärken gar nichts zu tun hat. Weil Politiker nur mehr nach dem schnellen Job-Wunder suchen, fehlt der Gesellschaft der lange Atem, herauszufinden, wofür junge Menschen wirklich geeignet sind. Gravierende Konflikte ergeben sich, wenn man nicht den eigenen Beruf ergriffen, sondern sich am erstbesten Strohhalm festgehalten hat oder nur den Vorstellungen der Eltern gefolgt ist. Haben Eltern bereits den definitiven Lebensplan für ihr Kind beschlossen, können die Kinder nur den Vorgaben folgen oder in Opposition gehen. Beide Wege sind nicht die eigenen. Junge Leute sollten dem nachgehen, was sie wirklich "anmacht“. Denn dann sind sie "angeschaltet“ und können ungeahnte Kräfte entfalten, die sich in einem beeindruckenden Neurotransmitter-Cocktail spiegeln.
Die Furche: Äußerst sich ein Burn-out je nach Alter unterschiedlich?
Dahlke: Jemand, der mit Mitte 50 ausgebrannt ist, hat die Option der Frühpension, um dem Arbeitsstress zu entkommen. Jemand um die 30 kann sich nicht einfach zurückziehen, sondern muss sich eine Alternative überlegen und suchen. Viele Burnout-Betroffene ahnen, dass es keinen Sinn macht, wieder an denselben Arbeitsplatz zurückzugehen, sondern dass sie sich neu orientieren müssen. Aus diesem Grund kommen in letzter Zeit auch immer mehr junge Männer in meine Seminare. Viele brauchen mehrere Burn-out-Fälle, bis sie begreifen, dass es so nicht mehr weitergeht.
Die Furche: Was genau stresst junge Menschen so sehr?
Dahlke: Die rauschen heute mit einer ganz anderen Taktfrequenz durch den Alltag. Sich einen Film anzuschauen, der vor 20 Jahren ein Erfolg war, ist heute kaum mehr auszuhalten: Die Szenen sind zu langsam geschnitten, zu langweilig. Schon Schüler sind ständig mit dem Abarbeiten von Terminen beschäftigt. Die machen ihre eigene Sekretärin, sind dauernd beschäftigt und nie ungestört. Junge können zwar mit den neuen Technologien besser umgehen, geschädigt werden sie davon aber genauso wie die Älteren. Mit den Handys werden wir noch eine fürchterliche Katastrophe bekommen: Es ist inzwischen nachgewiesen, dass die Strahlung die Gehirntumor-Rate steigert, die Abwehrkräfte schwächt et cetera.Die Furche: Wie wirkt sich der steigende Leistungsdruck auf Jugendliche aus?
Dahlke: Zum einen sind sie materiell übersättigt aufgewachsen, zum anderen wird das Geld immer knapper. Objektiv geht es den meisten materiell zwar gar nicht schlecht, aber die Stimmung ist erbärmlich. Junge Leute haben heute soviel Leistungsdruck und gleichzeitig so wenig Chancen. Als ich vor 40 Jahren maturiert habe, war das eine gemütliche Geschichte. An derselben Schule sind zwei junge Menschen kürzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Sie waren in der Klasse vor der Matura, litten unter dem enormen Leistungsdruck durch das Numerus-Clausus-System. Ein Lehrer hat offenbar besonders viel Druck ausgeübt. Mein Studium war noch halbwegs überschaubar. Ich habe Medizin, Psychologie und ein bisschen Theologie studiert. Das würde heute gar nicht mehr funktionieren.
Die Furche: Unbezahlte Praktika und Scheinpraktika werden immer mehr zur Norm. Welchen Stellenwert hat finanzielle Anerkennung?
Dahlke: Anerkennung für die geleistete Arbeit ist für das Selbstwertgefühl wesentlich und zeigt sich im Gehalt. Die verschiedenen Begriffe, die es für das Gehalt gibt, spiegeln diese Wertung wieder: Im Wort "Honorar“ steckt der lateinische Begriff "honor“ drin, also die Ehre. Eine "Entlohnung“ bedeutet schon weniger Anerkennung. Banker kriegen eine "Entschädigung“, weil sie mit ihrer menschenverachtenden Arbeit großen Schaden anrichten. Einen "Verdienst“ hingegen muss man sich verdienen, indem man einer Sache dient. Heute werden absurde Berufstitel wie Key Account Manager erfunden, die im Prinzip gar nichts aussagen. Die Firmen stellen die Leute einfach mit Berufstiteln statt mit Geld zufrieden.
Die Furche: Welche Chancen sehen Sie in den Problemen, mit denen junge Menschen durch die Arbeit konfrontiert sind?
Dahlke: Junge Leute müssten von sich aus mehr darauf achten, ihrer Berufung zu folgen und Sinn zu stiften. Weil die Firmen den Druck nicht reduzieren werden, müsste der Anstoß zur Veränderung von den Leuten selbst kommen. Die so viel beschuldigte Gesellschaft besteht ja nur aus Individuen. Leider führt die heraufbeschworene Unsicherheit und Angst um den Praktikums- oder Arbeitsplatz zu äußerst egoistischen Verhaltensweisen statt zu einer Solidarisierung der Betroffenen. Immer mehr werden die Menschen versuchen, Auswege aus der Tretmühle zu finden und auszusteigen. In unserem TamanGa-Zentrum in der Südsteiermark hatten wir 300 Bewerbungen für 20 Plätze. "Immer mehr vom selben“ - diese Devise hat der österreichische Therapeut Paul Watzlawick schon vor Jahrzehnten als äußerst kontraproduktiv entlarvt. Auf alten Pfaden ist keine wesentliche Änderung oder gar Besserung zu bewirken. Deswegen müssten junge Menschen einen radikal anderen Weg einschlagen.
Nächste Woche in der FURCHE: Rüdiger Dahlke über das Massen- phänomen Burn-out.