Im zypriotischen Korucam/Kormakiti leben noch 100 von insgesamt 130 Maroniten, die nach der Inselteilung im Jahr 1974 im türkischen Nordteil Zyperns geblieben sind. Ihre Kinder sind wegen fehlender Zukunftsperspektiven längst in den griechischen Süden der Insel abgewandert. Nur eine politische Lösung des Zypern-Konflikts brächte sie zurück.
Schon am Ortseingang ist sichtbar, dass etwas anders ist als sonst im türkisch geprägten Norden von Zypern: Die Ortstafel ist dreisprachig, auf Türkisch wird man in Korucam, auf Griechisch und Englisch in Kormakiti willkommen geheißen. Das Dorf gilt als das historische Zentrum der zypriotischen Maroniten und ist eine von drei maronitischen Ortschaften im Norden, in denen diese Minderheit beheimatet ist.
Der Besucher des Kafenions, dem griechischen Kaffeehaus, ist wie eine Kopie des Vaters aus dem Film „Hochzeit auf Griechisch“. Zwar verwendet er kein Fensterputzmittel als Allround-Medizin, aber genauso wie Herr Portokalos weiß er Bescheid über die griechischen Wurzeln der Welt. „Wussten Sie, dass Jesus vermutlich Griechisch gesprochen hat?“, fragt er. Der Mann ist einer von rund 100 Maroniten, die noch in jenem kleinen Ort im türkischen Teil Zyperns leben. Er ist geblieben – aus Pflichtgefühl, wie er erzählt: „Als Schuldirektor konnte ich mein Dorf doch nicht im Stich lassen.“ Die Maroniten sind Katholiken und weil sie zu den griechischen Zyprioten gezählt werden, litten auch sie unter der Besetzung des Nordens durch die Türkei im Jahr 1974. Davor lebten noch über 1000 Maroniten im Norden, heute sind insgesamt nur noch 130 da.
Erst Vertreibung, dann Isolation
Das Schicksal der Maroniten ist geradezu symbolisch für die Folgen des Zypern-Konflikts. Eigentlich war ganz Zypern mehrheitlich von griechischen Zyprioten bewohnt, so auch der Norden. Hier gibt es einige Dörfer, in denen ausschließlich griechische Zyprioten lebten. Die anderen Dörfer waren gemischt, die türkischen Zyprioten lebten als Minderheit unter den Griechen. Mit der Besetzung des Nordens durch die Türkei wurden diese Verhältnisse völlig umgeworfen, man schätzt, dass zwischen 160.000 und 200.000 griechische Zyprioten zur Flucht gezwungen wurden. Da die Heimat der Maroniten der Inselnorden ist, zeigen sich an ihrem Beispiel am deutlichsten die Folgen der Teilung: 97 Prozent der 6000 Maroniten, die heute auf der Insel leben, sind Flüchtlinge. Nach den Vertreibungen kam die Isolation: Der Norden wurde türkisch, fortan lebten die Maroniten in Enklaven und werden bis heute von der UNO mit Lebensmitteln versorgt. Ihre politischen Vertreter wählen sie im Süden, wohin sie auch ihre Kinder in die Schule schicken. Einzige Erleichterung: Auch vor Öffnung der Grenzen im Jahr 2003 konnten sie ihre Verwandten im Süden besuchen sowie zum Wählen dorthin fahren. Da die Maroniten im Norden großteils von der Landwirtschaft leben, sind die jungen Leute aus Mangel an Jobs in den griechischen Süden abgewandert, übrig geblieben sind nur noch alte Menschen.
In Kormakiti steht eine von vier maronitischen Kirchen. An jenem Tag wird gerade eine Glasfreske wieder über der Eingangstür eingesetzt: „Das letzte Abendmahl“, erklärt der Schuldirektor. Der Reihe nach trudeln nach dem Pfarrer noch einige andere Bewohner im Kafenion ein, junge Menschen sind nicht dabei, einzig die zwei Kellnerinnen und ich senken den Altersdurchschnitt. „Bleiben Sie doch zum Mittagessen!“, lädt der Schuldirektor in typisch zypriotischer Gastfreundschaft ein. Mit einem Nein gibt sich die kleine Gemeinschaft nicht zufrieden: „Auch der Pfarrer möchte Sie gerne einladen“, insistiert er.
Bevor die Gäste zulangen, erheben sich alle und der Pfarrer spricht ein Gebet. Es gibt Meze: Der Reihe nach kommen Speisen auf den Tisch, Salat und Vorspeisen, gefolgt von den verschiedensten Fleisch-Leckereien und Obst zum Abschluss. „Sprechen Sie Französisch?“, fragt der Pfarrer und freut sich, dass er ab nun ohne Übersetzung weiter sprechen kann. „Ich habe im Libanon studiert, müssen Sie wissen, daher kann ich diese Sprache.“ Dort nämlich ist der Sitz der maronitischen Kirche und von dort aus sowie aus Syrien und aus Israel kamen die Maroniten seit dem 8. Jahrhundert in mehreren Einwanderungswellen auf die Insel.
Arabisch sprechende Maroniten
Apropos Sprache: Als ich neugierig das angeregte Gespräch verfolge, sagt mir der Pfarrer nicht ohne Stolz: „Im Übrigen sprechen die Maroniten nicht Griechisch, sondern einen arabischen Dialekt.“ Ob auch er ihn spreche? „Natürlich, ich bin hier zu Hause.“ Nur noch die Bewohner von Kormakiti und deren Angehörige sprechen diese Mischsprache, weshalb diese auch Kormakiti-Arabisch genannt wird. Wie die meisten arabischen Mundarten wird zypriotisches Arabisch nicht geschrieben, weshalb die Sorge besteht, dass der Dialekt früher oder später überhaupt verschwinden wird. Aber nicht nur die Sprache, auch die maronitische Gemeinschaft könnte früher oder später in der griechisch-zypriotischen Volksgruppe aufgehen.
Seitdem Mehmet Ali Talat im türkischen Teil die politische Führung übernommen hat, hat sich die Situation im Norden verbessert: „Einige Häuser wurden seither renoviert“, erzählt der Schuldirektor. Auch Antonis Hadji Roussos, der politische Vertreter der Maroniten im Süden, bestätigt, dass die Lage unter der neuen Regierung leichter geworden ist. Zufrieden aber ist er längst nicht, denn nach wie vor können sich die Maroniten in nur zwei von vier Dörfern frei bewegen, nämlich in Kormakiti und Karpashia. Das Dorf Agya Marina ist seit 1974 überhaupt unzugänglich, das türkische Militär hat dort ein Camp aufgeschlagen. Auch in Asomatos, dem vierten maronitischen Ort im Norden, gibt das türkische Militär den Ton an, gerade zwei Maroniten leben noch hier. Das Dorf ist nur sonntags für die Messe zugänglich, um es betreten zu können, muss man einen Reisepass vorzeigen.
Griechisch sprechende Türken
Daher setzen die Maroniten große Hoffnungen in eine politische Lösung, damit die Flüchtlinge in ihre Dörfer zurückkehren können. „Damit würde die Gefahr der Assimilierung abgewendet“, hofft Haji Roussos. Anders als viele Zyprioten zählt er die Maroniten zu den Optimisten, die an ein Gelingen der Verhandlungen glauben. Trotzdem will er auf Nummer Sicher gehen und appelliert an die türkisch-zypriotische Seite, den Maroniten als Geste des guten Willens schon jetzt die Rückkehr in ihre Dörfer zu ermöglichen.
Auch in Kormakiti wünscht sich die Runde am Mittagstisch ein Ende der Teilung. Mit den Türken hat man sich, so gut es geht, arrangiert: Die Arbeiter, die das Glasfresko in die Kirche eingesetzt haben, sind türkische Zyprioten, die auch im Kafenion zu Mittag essen – wenn auch an einem anderen Tisch. „Sie haben vielleicht bemerkt, dass auch sie Griechisch sprechen“, meint der Schuldirektor. So war es früher auf ganz Zypern, als Minderheit beherrschten die meisten türkischen Zyprioten die Sprache der Mehrheit.
Dieses Früher wird von vielen Zyprioten als Argument angerufen, dass sie es doch auch jetzt schaffen müssten, wieder zusammenzuleben – so auch von Haji Roussos: „Wenn es eine Lösung gibt, könnten die Maroniten in Frieden mit dem Rest der zypriotischen Bevölkerung – Griechen, Türken, Armeniern, Latinern – leben. Kurz, das Leben würde wieder so weitergehen wie früher“, meint er. So wie früher wird es wohl so schnell nicht werden, denn der Norden wird wohl bis auf Weiteres türkisch geprägt bleiben. Aber neben einer Lösung für die offenen politischen Fragen könnte die strenge Teilung immerhin ein Ende finden und wieder ein bisschen mehr Normalität einkehren – und zwar nicht nur für die Maroniten.