Kinder in Subsahara-Afrika: Gestank, Geschrei, Gewalt
Millionen Mädchen und Buben leben in Subsahara-Afrika auf der Straße. Einer von ihnen war der Kongolese Jean-Paul (12). Über eine Kindheit im Elend und die Chance auf ein Entkommen anlässlich des „Tages des afrikanischen Kindes“ am 16. Juni.
Millionen Mädchen und Buben leben in Subsahara-Afrika auf der Straße. Einer von ihnen war der Kongolese Jean-Paul (12). Über eine Kindheit im Elend und die Chance auf ein Entkommen anlässlich des „Tages des afrikanischen Kindes“ am 16. Juni.
Jean-Paul stockt. Schon von weitem hört der Bub das Geschrei und die vom Schnüffeln überdrehten Stimmen. Bald beißt Gestank in seiner Nase. Es ist eine säuerliche Mischung aus Schweiß und Urin. Fest klammert er sich an die Hand, als es die Böschung von der Route du Golf hinuntergeht und er erstmals die Gruppe sieht: einen Haufen Burschen und ein paar Mädchen. Alles ist so, wie er es einst zurückließ.
Verbeulte Autos brausen über die Brücke auf einer der wenigen intakten Straßen von Lubumbashi. Sie führt durch ein besseres Viertel, vorbei an Villen aus der belgischen Kolonialzeit, bevor sie den aufgestauten Kipopo-See quert. Unten, zwischen den Pfeilern, kauern dicht gedrängt Kinder auf Pappkartons.
Nachts, sagt Jean-Paul, wenn der Himmel seine Pforten öffnet und dicke Tropfen wie Gewehrsalven zu Boden prasseln, ist es dort am schlimmsten. Jean-Paul ist zwölf Jahre alt und ein aufgeweckter Bub mit wachen Augen. Er hasst alles an diesem Ort. Den Geruch, das Geschrei, die Gewalt. Und die Hackordnung, die ihm, dem Kleinen, nur einen Platz unten, nahe am Wasser und halb im Regen ließ, während die Größeren weiter oben im Trockenen schliefen. Jean-Paul hat viele Nächte dort unten verbracht. Wie lange die erste her ist, weiß er nicht mehr. Denn die Straße lässt dich die Zeit vergessen. So lautet deren erstes Gesetz.
Unterschlupf in diesem Moloch
Der Kongo sei ein reiches Land mit armen Menschen, sagen einem dessen Bewohner. Erst von den brutalen belgischen Kolonialherren geschunden und geplündert, später unter den eigenen korrupten Herrschern ausgeblutet und ausgezehrt. Lubumbashi, ganz im Süden des riesigen Staates gelegen, ist die zweitgrößte Stadt und ein ausufernder Moloch. Ihn zu durchqueren, ist die Mission der Salesianer Don Boscos. Sobald es dunkel wird, starten sie einen betagten Kleinbus und suchen die Plätze auf, an denen die Kinder Unterschlupf finden. Im Kegel der Scheinwerfer tauchen die ersten von ihnen auf. Mindestens 4.000 dürfte es in Lubumbashi geben. Jean-Paul war lange eines von ihnen.
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