In der Diskussion um die Streichung des Homosexuellen-Schutzalters sollte das Bemühen, die Jugend vor Verführung zu schützen, nicht im Feilschen um politisches Kleingeld untergehen.
Von der furche eingeladen, Gedanken zum Paragrafen 209 Strafgesetzbuch zu formulieren, tue ich dies im Bewusstsein, nicht über das Wissen von Juristen, Pädagogen, Theologen, Soziologen und Medizinern zu verfügen. Vielmehr wage ich zu diesem Thema, das viele Perspektiven in der Betrachtung für den Laien eröffnet, folgende sechs Fragen zu stellen:
* Ist die Annahme richtig, dass der Paragraf 209 aus der Intention heraus entstanden ist, männliche Jugendliche vor Verführung zur Homosexualität zu schützen ?
* Warum gilt dies nicht auch für Jugendliche weiblichen Geschlechts dieser Altersgruppe, deren Grenzziehung in der öffentlichen Diskussion umstritten ist ?
* Im Bewusstsein, dass es zeitliche Grenzen im Strafrecht geben muss, stellt sich die Frage, ob folgendes Szenario im Sinne der Erfinder des Gesetzes ist: Wenn nämlich laut Paragraf 209 "eine Person männlichen Geschlechtes, die nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit einer Person, die das vierzehnte aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist diese Person mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen". Unter Umständen konnte dieselbe Person jahrelang vor Erreichung des neunzehnten Lebensjahres die gleichen ihm zur Last gelegten Handlungen aber straffrei begehen, um möglicherweise nach einiger Zeit, dann nämlich, wenn der jüngere der beiden Personen das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, wieder in die Straffreiheit einzutreten.
* Müsste die Bemühung der Gesellschaft, Jugend vor Verführung zu beschützen (dieses Motiv dürfte ja dem Paragraf 209 zugrunde liegen) nicht in einer vertieften Behandlung dieser Frage durch Experten in Angriff genommen werden, statt um die Festlegung von ein, zwei Jahren hinauf oder hinunter des Schutzalters in der parlamentarischen Diskussion um politischen Kleingeldes willen zu feilschen?
* Müssten die gesellschaftlich relevanten Kräfte, deren Einfluss zur Gesetzgebung beiträgt, nicht dazu aufgefordert werden, einen Wertekatalog für die Gemeinschaft zu erstellen, der einerseits die Verantwortung der älteren Generation gegenüber der jüngeren in sittlichen Maßstäben, andererseits die eigene Verantwortung des einzelnen Jugendlichen für sein Leben in einer demokratischen Gesellschaft in Freiheit möglich macht. In einer Gesellschaft, die einerseits erst ab einer dreimonatigen Frist ungeborenes Leben schützt, andererseits junge Menschen im heiratsfähigen Alter in ihrer Eigenverantwortung für ihr Handeln durch Strafsanktionen schützen will. (Und das mit Fraktionsbeschlüssen in der Gesetzgebenden Versammlung.)
* Sollte nicht in kirchlichen Kreisen, ob Theologen oder Laien, ein vertiefender Dialog in Gang gebracht werden, der alles, was sich in Richtung Kultur des Todes bewegt, als Sünde erklärt und alles, was das Leben fördert, zur Tugend? Sollte nicht die missverständliche Interpretation Augustinus´ "Liebe und tue, was Du willst", nämlich einer hemmungslosen Freizügigkeit, einer Libertinage, dass "alles erlaubt ist, was gefällt", einer anderen Deutung dieses großen Satzes weichen: Menschen, die lieben wollen, oder glauben zu lieben, mit Verständnis zu begegnen und durch die vielfältige Landschaft unserer Seelen in der Lösung der Probleme, sei es Einzelner zueinander, aber auch Einzelner gegenüber der Gesellschaft, zu unterstützen?
Der Autor war Programmintendant im ORF-Fernsehen.
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