Werbung
Werbung
Werbung

dieFurche: Was sagen Sie als Sexualforscherin zum Fall des elfjährigen Raoul, der seine kleine Schwester sexuell belästigt haben soll und dafür vor Gericht muß?

Rotraud A. Perner: Da wird eine Handlung brutal verfolgt, von der niemand weiß, ob sie überhaupt stattgefunden hat. Für mich geht dieser Fall auch in Richtung Fremdenfeindlichkeit. Es geht dabei aber nicht nur um den Ausländerstatus des Kindes, sondern auch darum, wie wird auf Andersartigkeit reagiert? Beobachtet man jemanden argwöhnisch, vernadert ihn dann und ähnliches ...

dieFurche: Könnte hier ein Fall von "abnormer" Sexualneugier vorliegen und wie hätte man richtigerweise darauf reagieren müssen?

Perner: Ich kann mir durchaus vorstellen, daß der Elfjährige neugierig war. Einander die Hose runterziehen ist unter Elfjährigen ja üblich. Das sind vorpubertäre Spiele. Hier müssen die Erwachsenen eingreifen.

So ein Fall wäre bei uns aber höchstens eine Sache für das Jugendamt, aber keinesfalls für den Staatsanwalt. Die Eltern und das Kind bräuchten Hilfe, Rat und Informationen nach dem Motto: "Lieber Bub, tu so etwas nicht! Du kannst Schlimmes anrichten!" Die Frage ist allerdings, warum über das Opfer, seine Schwester, kaum etwas zu lesen ist. Wie geht es ihr eigentlich? Wie hat sie die ganze Sache empfunden?

dieFurche: Kommt es bei diesem kindlichen Treiben mit der Sexualität oft zu Übergriffen oder Gewalttaten?

Perner: Selbstverstänlich gibt es auch Gewalttaten unter Kindern. Ich kenne Fälle, wo ein Neunjähriger einer Sechsjährigen ein Matchbox-Auto in die Scheide schiebt oder ähnliches. Das sind Übergriffe. Aber man muß aufpassen: was ist ein Übergriff und was nicht? Wenn einem behüteten Mädchen die Hose runtergezogen wird, kann es traumatisiert werden, während ein anderes Mädchen in derselben Situation sich zu wehren weiß und einfach zurückhaut. Aber es spielen sich in diesem Bereich mitunter schon Sachen ab, die - meist von den Eltern - als riesige Tragödien empfunden werden und entsprechend sind die Reaktionen.

dieFurche: Wissen Kinder eigentlich ganz genau, wann sie etwas Schlimmes tun?

Perner: Kinder wissen das in der Regel ganz genau. Sie spüren ganz intuitiv, wo sie Grenzen verletzen. Schon im Kindergartenalter wissen sie, was toleriert wird und was nicht.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung