Michael Landau: „Er singt viel schöner als ich“
Der eine wurde Priester und Caritas-Präsident, der andere Lehrer und Dirigent: Michael und Daniel Landau erzählen im Kulturcafé "tachles" über ihre Kindheit in einer jüdisch-katholischen Familie, Abgrenzung, Stolz und eine geschwisterliche Welt.
Der eine wurde Priester und Caritas-Präsident, der andere Lehrer und Dirigent: Michael und Daniel Landau erzählen im Kulturcafé "tachles" über ihre Kindheit in einer jüdisch-katholischen Familie, Abgrenzung, Stolz und eine geschwisterliche Welt.
Montags um 13 Uhr hat das „tachles“ eigentlich noch geschlossen. Erst ab 16 Uhr ist im Kulturcafé am Karmeliterplatz in der Wiener Leopoldstadt offiziell Betrieb. Für Hungrige gibt es dann polnische Pierogi, „Barszcz“ (rote Rübensuppe) und Palatschinken; für Kulturinteressierte (Klezmer-)Konzerte oder Lesungen; und für sozial Engagierte die Möglichkeit zur guten Tat: In Anlehnung an das neapolitanische Konzept des „Caffè sospeso“ konnte man im „tachles“ früher Kaffee spenden – und aktuell Monatskarten für geflüchtete Menschen oder Teilbeträge dafür.
Noch herrscht freilich Ruhe im Lokal. Nur Mischlingshündin Jessye bellt aufgeregt. „Solange noch geschlossen ist, wird verteidigt: Es könnte ja jemand das Essen wegnehmen“, meint Daniel Landau amüsiert. Mit dem „tachles“, das er gemeinsam mit den Besitzern Marcin Górski und Magdalena Mitura als Geschäftsführer betreibt, hat sich der Dirigent, (karenzierte) Lehrer und Bildungsaktivist einen Traum erfüllt. Gastgeber sein in einem Raum, in dem sich Menschen wohlfühlen können – das hat er sich schon immer gewünscht. Auch sein Bruder, Caritas-Präsident Michael Landau, kommt regelmäßig im „tachles“ vorbei. „Erstens, damit wir uns sehen“, sagt er. „Und zweitens, weil es hier die großartigsten Palatschinken in ganz Wien gibt.“ Diesmal haben sich die beiden freilich getroffen, um auf Einladung der FURCHE Tacheles zu reden: über ihre persönlichen Bruder-Erfahrungen; und über ihren je eigenen Einsatz für mehr gesellschaftliche Geschwisterlichkeit.
DIE FURCHE: Wir möchten dieses Gespräch mit einer zentralen Frage beginnen: Wer von Ihnen ist der Ältere?
Daniel Landau: Das sieht man doch hoffentlich! (lacht)
Michael Landau: Ich bin der Ältere, auch wenn man das nicht immer sieht. Vier Jahre Unterschied sind es exakt. Heute ist das kein Thema mehr, höchstens in dem Sinn, dass jüngere Brüder immer jüngere bleiben und man aufpassen muss, dass man nicht „kleiner Bruder“ sagt, was ja ab 50 Jahren nicht mehr so ganz passt.
Michael und Daniel - mehr als die beiden umfasst die Kernfamilie der Landaus nicht mehr. Der jüdische Vater, Erwin Landau, muss 1939 vor den Nazis fliehen und kommt 1947 nach einem Aufenthalt in Shanghai nach Österreich zurück; sein einziger Bruder geht nach Israel. Die Mutter Eva, selbst ein Einzelkind, ist katholisch. 1960 kommt Sohn Michael zur Welt, vier Jahre später Sohn Daniel.
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DIE FURCHE: Der Vater jüdisch, die Mutter katholisch: Wie kann man sich das Aufwachsen zweier Brüder in einer solchen Konstellation vorstellen?
Daniel L.: Sowohl der Vater als auch die Mutter waren nicht übertrieben religiös. Der Papa hat erst kurz vor seinem Tod 2011 begonnen, die jüdischen Vorschriften genauer einzuhalten, und war auch öfter in der Synagoge. Auch ins Maimonides-Zentrum, einem Altersheim hier in der Nähe, ist er gern gegangen, um dort Menschen zu besuchen und zu unterhalten. Und die Mutter hat abends mit uns ein kleines Gutenachtgebet gesprochen. Das geht mir heute noch durch den Kopf, obwohl ich nicht extrem betaffin bin.
Michael L.: Das Gutenachtgebet gehört auch für mich zu den frühen Kindheitserinnerungen. Und dass der Vater so eine Freude daran gehabt hat, im Maimonides-Zentrum Menschen zu besuchen, war prägend. Auch zu Weihnachten haben wir Menschen zu uns eingeladen, die alleine waren. Unsere Eltern haben uns also viel Freiraum gelassen, was Religion betrifft, aber sie haben uns ethische Grundhaltungen mitgegeben: Dass man etwa nicht im Streit schlafen geht, sondern sich vorher versöhnt.
Daniel L.: Und dass es wichtig ist, für Schwächere einzustehen. Ob man das nun in einem religiösen oder menschenrechtlichen Kontext sieht, ist ja egal – aus meiner Sicht zumindest. Es geht darum, für Gerechtigkeit um ihrer selbst willen zu kämpfen – und sie nicht als Gnade zu verstehen.
Michael L.: Im Zweiten Vatikanischen Konzil hat man das so formuliert: „Man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist.“
Daniel L.: Das ist schön. Wobei das mit der Gerechtigkeit unter Brüdern oft schwierig ist. Ich denke nur daran, wie wir als Familie alle heiligen Zeiten gemeinsam essen waren, eine Platte für drei bestellt haben und dann zwischen uns ein Gerangel darüber ausgebrochen ist, welches Schnitzel das größere ist.
Der Michi war ein besserer Schüler als ich, und einige Professoren haben mit Seufzer zu mir gemeint: ,Mein Gott, wann wirst du endlich wie dein Bruder?‘
Streit unter Brüdern ist unvermeidlich. Ebenso der Versuch der Abgrenzung und Profilbildung. Michael Landau studiert Biochemie, tritt noch während seiner Studienzeit in die Katholische Kirche ein und lässt sich taufen. Schließlich studiert er Katholische Theologie und wird 1992 in Rom zum Priester geweiht. Sein Bruder Daniel beschreitet andere Wege. Er absolviert eine Ausbildung zum Dirigenten, studiert Betriebswirtschaftslehre, wird Diplompädagoge für Musik und Mathematik sowie AHS-Lehrer (im Moment ohne Gehalt karenziert). Sein Engagement für Bildungsinitiativen – vom Bildungsvolksbegehren bis zu „jedesK!ND“ – führt ihn zwischenzeitlich zu den Wiener Grünen. Wie sein Bruder lässt er sich taufen. „Beim Michi ist das halt ein wenig ausgeufert“, meint er süffisant.
DIE FURCHE: Geschwister sind Vertraute, aber auch Rivalen. Viele suchen sich Nischen, in denen sie sich profilieren können. Wie war bzw. ist das bei Ihnen?
Michael L.: Der Daniel kann eine ganze Menge an Dingen, die ich nicht kann. Er singt etwa viel schöner als ich. (lacht)
Daniel L.: Das stimmt nicht mehr.
Michael L.: Ich habe jedenfalls großen Respekt dafür, was er von Kunst und Musik versteht. Und ich bin sehr stolz auf ihn. In meiner Schulzeit haben mich die Naturwissenschaften sehr interessiert. Das war ihm nicht so nah. Dafür hast du viele künstlerische Sachen gemacht. Aber Rivalität habe ich nie gespürt, jeder hat seine Felder gehabt, in denen er gut und gern unterwegs war.
Daniel L.: Als älterer Bruder kann man in dieser Frage in eine gewisse Generosität verfallen. Aber als jüngerer bewertet man das etwas anders. Ich würde es nie unter „Rivalität“ subsumieren, aber es gab tatsächlich Felder, in denen der Michi einfach brillant war und die für mich dann nicht so erstrebenswert waren. Er hat etwa schon früh begonnen, sich in Rhetorik zu verwirklichen und sich im Sinne einer Verantwortung für andere Menschen zu politisieren. Das könnte schon zu einer Verzögerung meiner Politisierung geführt haben. Ein anderer Klassiker waren die Noten: Der Michi war – zumindest im Notenspiegel – ein besserer Schüler als ich, und einige Professoren haben mit einem Seufzer zu mir gemeint: „Mein Gott, wann wirst du endlich wie dein Bruder?“
Michael L.: Was ziemlich unnötig ist.
Daniel L.: Allerdings. Es war auch nicht wirklich motivierend. Ich war ein anständiger Schüler und habe mich relativ leicht getan, aber mir hat in der Schule der Ehrgeiz gefehlt.
Rund ein Mal wöchentlich kommt Michael Landau (rechts) ins Kulturcafé „tachles“, das sein Bruder Daniel als Geschäftsführer betreibt.
So unterschiedlich die Brüder sind – ihre späteren Tätigkeitsfelder scheinen sich zu ergänzen. Daniel Landau unterstützte etwa den von Caritas, Konzerthaus und Sängerknaben gegründeten Verein „Superar“, wo Kinder miteinander musizieren, singen und auch auftreten. Auch die „Lerncafés“ der Caritas, in denen Kinder aus benachteiligten Familien unterstützt werden, findet Daniel Landau wichtig. 54 solcher Cafés gibt es heute, 98 Prozent der betreuten Kinder schließen das Schuljahr positiv ab. Das eigentliche Ziel müsse aber ein Schulsystem sein, das alle Kinder mitnimmt und solche Einrichtungen unnötig mache, meint er.
Daniel L.: Kindern und Jugendlichen eine Stimme geben und sie ermächtigen, das ist wesentlich für Bildung. Das gilt nicht nur für die Lerncafés, sondern auch für die „Fridays for Future“, an denen Schülerinnen und Schüler für eine andere Klimapolitik demonstrieren. Ich will alles dafür tun, dass diese jungen Menschen Gehör finden und ihre berechtigten Anliegen vorbringen können.
Michael L.: Empathie, Einfühlung – das ist sowohl in Gesellschaft wie in Familie wichtig. Wir dürfen uns unsere Empathiefähigkeit nicht rauben lassen, also das Gefühl dafür, ein Stück weit vom Anderen in sich selbst und sich selbst im Anderen zu entdecken – und danach zu handeln. Über Jahrzehnte ist es Österreich ganz gut gelungen, diesen Familiensinn auf die Gesellschaft zu übertragen. Aber in letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass das in Frage gestellt wird.
DIE FURCHE: Man könnte es auch so sehen, dass in der Gesellschaft gerade jene Stimmung herrscht, die es auch unter Geschwistern häufig gibt: nämlich das Gefühl, dass der Andere bevorzugt wird und man selbst trotz Leistungen zu kurz kommt. Die Regierung entspricht dem nun und kürzt die Mindestsicherung. Was sagen Sie dazu?
Michael L.: Die Angst, zu kurz zu kommen, steckt ein Stück weit im Menschen drinnen. Aber ich sage immer wieder: Keiner Mindestpensionistin geht es besser, wenn es einer kinderreichen Familie schlechter geht.
Daniel L.: Mir gehen dazu drei ganz pragmatische Dinge durch den Kopf. Erstens: Ist gleich auch gerecht? Diese Frage müssen wir uns stellen. Und ich glaube das überhaupt nicht! Gleichheit steht wahrer Gerechtigkeit vielmehr oft im Weg. Zugleich weigere ich mich, mir vorschreiben zu lassen, wie ich „Leistung“ definiere: Es nur betriebswirtschaftlich verstehen, greift ja viel zu kurz. Und drittens stelle ich Menschen, die jemandem etwas neiden, gern die Frage: Würdest du mit dem Anderen tauschen wollen? Es gibt tatsächlich Leute, die Rollstuhlfahrern neiden, dass sie im Turnunterricht nicht die selben Leistungen erbringen müssen wie andere. Natürlich gibt auch ein, zwei, drei Prozent Menschen, die Unterstützungen ausnützen. Aber dafür den anderen 97 Prozent, die ein schweres Schicksal haben, noch zu nehmen, finde ich menschenunwürdig.
Michael L.: Ich möchte das unterstreichen. Ja, wir tragen als Menschen natürlich Verantwortung für uns selbst. Aber wir haben auch Verantwortung füreinander, weil es uns nur miteinander gut gehen kann. Es geht darum, Lebensrisiken, die den Einzelnen überfordern, gemeinsam zu tragen.Ich selbst bin heute Nettozahler ins Sozialsystem, aber am Anfang meines Lebens war ich Nettoempfänger und irgendwann werde ich auch wieder pflegebedürftig und deshalb Nettoempfänger sein.
Rivalität habe ich nie gespürt. Jeder hat seine Felder gehabt, in denen er gut und gern unterwegs war.
DIE FURCHE: Die Frage, wer die Eltern pflegt, birgt unter Geschwistern oft Konfliktpotenzial. 1999 ist Ihre Mutter nach langer Krankheit gestorben, Sie haben sie abwechselnd besucht. Was hat das für Ihre Bruderbeziehung bedeutet?
Michael L.: Es hat uns noch einmal ein Stück näher zueinander geführt. Der Tod der Mama war für mich auch Ausgangspunkt dafür, mich für die Familienhospizkarenz zu engagieren. So wie Eltern das Recht haben, ihre Kinder ins Leben zu begleiten, sollen Kinder das Recht haben, ihre Eltern aus dem Leben hinauszubegleiten.
Daniel L.: Kurz bevor der Papa 2011 gestorben ist, sind wir auch vor medizinisch schwierige Entscheidungen gestellt worden, und ich war sehr dankbar, dass es einen Menschen gegeben hat, auf den ich mich verlassen konnte. Umso grotesker ist es, wie sich manche Geschwister nach dem Tod von Eltern gegenseitig in die Haare geraten, Stichwort Erben. Ich hab dich auch grenzenlos dafür bewundert, dass du nach dem Tod der Eltern jeweils auch den Gottesdienst mitübernehmen konntest. Das war sehr heftig, aber auch bestärkend.
Schwestern und Brüder – so heißt es häufig in der Liturgie. Wieviel Geschwisterlichkeit braucht es, um Christ zu sein? Es ist die letzte Frage an Michael und Daniel Landau an diesem Nachmittag, schon verirren sich die ersten Gäste ins „tachles“.
Daniel L.: Ich bin zwar getauft, aber nicht im klassischen Sinn religiös. Und ich weiß auch nicht, ob ich noch Mitglied der katholischen Kirche wäre, wenn es die Caritas nicht gäbe! Ich habe mich kirchenpolitisch schon so oft geärgert, zuletzt wieder über den emeritierten Papst Benedikt, und außerdem stehen sich die Religionen oft gegenseitig so im Weg.
Michael L.: Für mich hängt Glaube ganz wesentlich mit Freiheit und Verantwortung zusammen. Glaube wird hier und heute konkret – oder gar nicht. Am Ende des Lebens stehen wir nicht vor der Frage, was wir an Einkommen oder Prestige hatten, sondern wenn ich die biblischen Texte ernst nehme, geht es darum, ob wir aufeinander geachtet haben, ob wir füreinander wie Geschwister waren. Deswegen weiß ich auch nicht, ob mein Bruder im Kern nicht viel religiöser ist als er das jetzt benennt. Aber das diskutieren wir einmal ohne Mikrophon.
Geschwister in der Bibel
Geschichten über Zwist und Liebe
Von Margot Käßmann
Herder 2019
176 Seiten, geb., € 16,50
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