Pensionsreform - © Foto: Unsplash/James Hose Jr

Mythen der Pensionsreform

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Das heutige Pensionssystem sei unfinanzierbar, ein massiver Eingriff daher notwendig. Im Folgenden ein Beitrag zur Reformdebatte, der die Prämissen dieser Behauptung abklopft.

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Das heutige Pensionssystem sei unfinanzierbar, ein massiver Eingriff daher notwendig. Im Folgenden ein Beitrag zur Reformdebatte, der die Prämissen dieser Behauptung abklopft.

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In der Pensionsdebatte geistern zahlreiche Mythen herum. So heißt es, das staatliche Pensionssystem stehe vor dem Kollaps. Kommen heute auf 1.000 Aktive 620 Pensionsbezieher, so hat der deutsche Pensionsexperte Bernd Rürup 1997 im Auftrag der Bundesregierung ausgerechnet, dass aufgrund der Alterung der Bevölkerung im Jahr 2030 jeder Erwerbstätige einen Pensionisten erhalten muss. Dieses "Horrorszenario" wird seither für die Unfinanzierbarkeit des Umlageverfahrens bemüht.

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Was Rürup nicht berücksichtigt hat: Der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter, die tatsächlich beschäftigt sind und Beiträge zahlen - die "Erwerbsquote" -, kann sich stark verändern. Und die Erwerbsquote ist in Österreich relativ gering. Die Wifo-Experten Christine Mayrhuber und Alois Guger haben 2002 ausgerechnet, dass es ausreichen würde, die Erwerbsquote bis 2030 an das heutige Niveau der Schweiz, Dänemarks oder Norwegens anzunähern, damit 2030, am Höhepunkt der demografischen Ungunst, auf 1000 Beschäftigte nicht 980 Pensionisten kommen (Rürups Horrorszenario), sondern "nur" 720. Damit wären bereits zwei Drittel des demografischen Problems gelöst (siehe Grafik).

Drehen an vielen Schrauben

Nach Wifo-Berechnung würde es dann ausreichen, die (ASVG-) Beitragssätze von heute 22,8 Prozent auf 25,5 Prozent anzuheben, um das heutige Pensionsniveau ungekürzt bis 2030 zu halten.

Angenommen, die Realeinkommen liegen in 30 Jahren doppelt so hoch wie heute (so wie sie heute doppelt so hoch wie vor 30 Jahren liegen), dann müssten wir nicht wie heute von 100 Euro Einkommen 22,8 an die Pensionsversicherung abliefern (es bleiben 77,2 Euro), sondern von dann 200 Euro 51: Es blieben 149 Euro.

Neben vorsichtigen Beitragserhöhungen ließe sich an zahlreichen weiteren Schräubchen drehen:

  • Die Arbeitgeberbeiträge könnten auf Wertschöpfungsbasis umgestellt werden, damit Pensionen und Krankenversicherung nicht von der schrumpfenden Lohnsumme, sondern von der steigenden Wertschöpfung abhängen.
  • Der Bundeszuschuss (derzeit bei 20,5 Prozent) könnte in seinem gesetzlichen Rahmen von 33 Prozent ausgeschöpft werden.
  • Ein Teil der Beiträge könnte von der Arbeitslosen- in die Pensionsversicherung (bei sinkender Arbeitslosigkeit) umgeschichtet werden.
  • Die Pensionssysteme könnten harmonisiert werden.

Bei Bedienung all dieser "Schräubchen" wären die Umlage-Pensionen nicht nur auf heutigem Niveau bis 2030 finanzierbar, es könnten auch noch die bestehenden Lücken (Mindestsicherung, Frauenpensionen) geschlossen werden.

Die privaten Pensionssysteme sind sozial ineffizient.

Martin Schenk

Privat ist keineswegs sicher

Ein zweiter Mythos lautet: Privat angesparten Pensionen seien vor dem Zugriff der Politik sicher. Ob die von Natur aus instabilen Finanzmärkte das sicherere Ruhekissen sind, ist die andere Frage: Seit die Weltbörsen nach unten tendieren, gehen weltweit Fonds und Versicherungen bankrott.

In Großbritannien "berichtigte" eine der renommiertesten Lebensversicherungen, Equitable Life, alle Depots über Nacht um minus 16 Prozent - ohne Rücksprache mit den Versicherten. Auch die österreichischen Pensionskassen geraten ins Schlingern. Nachdem jahrelang zweistellige Renditen oder zumindest sechs Prozent versprochen wurden, geht es jetzt zu Tal. Heuer werden die Pensionen schon zum zweiten Mal gekürzt.

Auch die Behauptung, Private machten es billiger, erweist sich als Mythos. Denn im Umlageverfahren fließen von 100 Euro Beiträgen 98,2 Euro an die Versicherten zurück. Die Verwaltungskosten machen 1,8 Prozent der Beiträge aus. Bei privaten Versicherungen und Fonds kommen aufgrund hoher Werbeausgaben und des angestrebten Gewinns "zweistellige Kosten" zustande, so der Pensionsexperte Bernd Marin. Eine gewöhnliche Lebensversicherung etwa schluckt 12 bis 15 Prozent der Beiträge. Um nach der Ansparphase den Kapitalstock in eine lebenslängliche Rente umzuwandeln ("Verrentung"), gehen noch einmal bis zu 25 Prozent des gesparten Kapitals drauf.

Außerdem wird in der Umlagepension der Beitrag durch den Arbeitgeber verdoppelt, während in der Privatpension die Arbeitnehmer alleine ansparen müssen. Schließlich muss durch den (teilweisen) Systemwechsel eine Generation zweimal zahlen: einmal für die auslaufende Umlage-Generation und zusätzlich für die eigene Privatpension.

Viel Altersarmut in den USA

Eine ausreichende Privatpension können überdies nur diejenigen ansparen, die regelmäßig mehr verdienen, als sie konsumieren. Das wird immer mehr zur Ausnahme. "Atypische Beschäftigungsverhältnisse wie Teilzeit, geringfügige Beschäftigung oder Leiharbeit werden immer mehr zur Regel", meint der Sozialexperte der Armutskonferenz, Martin Schenk. Hinzu kommt, dass private Versicherer weder Kindererziehungs- noch Arbeitslosenzeiten anrechnen, das macht die Privatrenten noch magerer. "Die privaten Pensionssysteme sind sozial ineffizient", resümiert Schenk, weshalb in Großbritannien und den USA eine hohe Altersarmut herrsche. Und was fast niemand weiß: Frauen bekommen für gleich hohe Beiträge eine geringere Privatpension als Männer, weil sie eine längere Lebenserwartung haben.

Fraglich ist auch, ob die Pensionsreform eine Entlastung des Budgets bringt. Der Pensionsexperte der Arbeiterkammer Wien, Erik Türk, berichtet, dass private Pensionen so stark mit Steuerbefreiungen angereizt werden müssen, dass dem Staat enorme Steuerausfälle entstehen. Diese betragen in Großbritannien drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Wieso müssen nach 50 Jahren ununterbrochenem Wachstum der Wirtschaft und der realen Pro-Kopf-Einkommen plötzlich alle sparen?

Bis 80 arbeiten?

Zum Vergleich: In Österreich beträgt der Zuschuss in die gesetzliche Pensionsversicherung zwei Prozent des BIP. Hinzu kommen die Prämien in die Privatpension. Sollten alle 3,1 Millionen Beschäftigten in Österreich das Regierungsangebot der Zukunftsvorsorge voll ausschöpfen und jährlich 180 Euro an Prämie lukrieren, würde das Budget mit 550 Millionen Euro belastet. Die gegenwärtige Reform bringt dem Budget 700 Millionen Euro.

Es bleibt das großes Fragezeichen: Wieso müssen nach 50 Jahren ununterbrochenem Wachstum der Wirtschaft und der realen Pro-Kopf-Einkommen plötzlich alle sparen und werden breiten Bevölkerungsschichten die Einkommen gekürzt? Wer sind die Gewinner? Eine indirekte Antwort kommt von "Österreichs international prominentestem Ökonomen", wie die Presse Erich Streissler vorstellt: "Kapital kann man nur gering besteuern", schreibt der emeritierte Professor, "weil es sonst ins Ausland abwandern würde".

Das war nicht immer so. Bis in die siebziger Jahre war Kapital in der EU äußerst immobil und konnte gerecht besteuert werden. Der Wirtschaft ging es damals gut: Die Wachstumsraten lagen über denen von heute, es herrschte nahezu Vollbeschäftigung. Dennoch hält Streissler nichts davon, dem Kapital die Fluchtwege in Steueroasen zu versperren, um Steuergerechtigkeit und Budgetüberschüsse wiederherzustellen. "Österreichs international prominentester Ökonom" hat einen anderen Vorschlag: "Jeder sollte bis 80 arbeiten."

Christian Felber

Der Autor ist Sprecher von "attac" Österreich.

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