Pfingstdialog zu "Reset Europe": Salz, Seele und keine Nostalgie
Die Pandemie hat nicht nur jeden Einzelnen, sondern auch das Projekt Europa an seine Grenzen gebracht. Beim diesjährigen Pfingstdialog „Geist und Gegenwart“ wurde (hybrid) diskutiert, ob es einen „Reset Europe“ braucht – und wie ein Neustart gelingen könnte.
Die Pandemie hat nicht nur jeden Einzelnen, sondern auch das Projekt Europa an seine Grenzen gebracht. Beim diesjährigen Pfingstdialog „Geist und Gegenwart“ wurde (hybrid) diskutiert, ob es einen „Reset Europe“ braucht – und wie ein Neustart gelingen könnte.
Erwachen, Öffnung, neue Lebendigkeit: Spätestens seit dem 19. Mai durchzieht diese Gemütslage das Land. Doch die Monate davor haben Spuren hinterlassen. Es bleiben Verwundungen, ja Traumatisierungen – und zugleich neue Einsichten über das, was wirklich zählt. Klar wurde: Resilienz ist eine wichtige Ressource. Und die heißersehnte „Normalität“ kann nicht so sein wie jene davor. Weder im individuellen Leben noch in Gesellschaft und Politik.
Auch dem „Projekt Europa“ wird nach dieser pandemischen Abnormalität Neues abverlangt. Und tatsächlich ist schon vieles im Gange: neben dem „Green Deal“ zur Abwendung einer Klimakatastrophe auch ein großer europäischer Aufbauplan. 1800 Milliarden Euro sollen Europa wieder auf den Weg bringen. Zudem wurde am 9. Mai in Straßburg – durch die Pandemie verspätet – die „Konferenz zur Zukunft Europas“ gestartet, bei der die Bürger(innen) Ideen austauschen sollen.
Doch wohin genau soll die Reise gehen? Ob es einen Aufbruch oder gar einen „Reset“ Europas braucht, wurde vergangene Woche beim neunten Pfingstdialog „Geist & Gegenwart“ im steirischen Schloss Seggau diskutiert. Und wie so vieles in diesem abebbenden Ausnahmezustand ging der von Land Steiermark, Diözese Graz-Seckau und Club Alpbach Steiermark getragene und seit 2005 biennal veranstaltete Gedankenaustausch hybrid vonstatten: Knapp 40 Referent(inn)en waren vor Ort, das Publikum blieb im digitalen Raum (Näheres auf www.pfingstdialog-steiermark.at, wo auch alle Vorträge nachzusehen sind, sowie im Sammelband „Reset Europe").
Gegen die „Selbstverzwergung“
Doch vorerst stellt sich die Frage nach dem Status quo. Wie sieht sie aus, die aktuelle europäische Gemütslage? Competitive Complaining – kompetitives Jammern: So beschreibt sie Martin Selmayr, ehemaliger Kabinettschef des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und nunmehriger Kommissionsvertreter in Österreich. Doch zu jammern gäbe es weniger Gründe als gedacht, betont Selmayr: Die USA, Großbritannien und Israel hätten anfangs zwar schneller geimpft, dennoch liege Europa in dieser Frage global gesehen an der Spitze – und zeige zudem durch den Export von Impfstoffen auch Solidarität. Statt „permanenter Selbstverzwergung“ brauche Europa also mehr Mut und Selbstbewusstsein. Auch der europäische Perfektionismus habe seinen Preis: Anders als Israel, das schnell den „grünen Pass“ eingeführt habe (welcher bei iPhones nicht funktionierte), nehme sich Europa Zeit für ausführliche, oft mühsame Debatten über Technologie und Datenschutz. Das koste Zeit – führe aber letztlich zu besseren und demokratieverträglicheren Lösungen. Was ihn zum dritten aktuellen Gemütsaspekt in Europa führt: „Wir sind erbärmliche Kommunikatoren!“, meint Martin Selmayr. Europa sei schließlich nicht nur wegweisend bei der Entwicklung von Impfstoffen gewesen, sondern durch die Exporte auch zur „Apotheke der Welt“ geworden. „Europa ist also nicht nur viel besser als sein Ruf, sondern hat auch Zukunft – wenn wir uns alle ein bisschen dafür anstrengen.“
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