Die Skination Österreich fiebert der Ski-Weltmeisterschaft entgegen, die nächste Woche beginnt. Sportübertragungen dominieren den öffentlichen Raum. Kritisieren kann man die Auswüchse medial vermittelten Sports. Kritik am Kern der Sache ist das allerdings nicht, sagt der Philosoph Liessmann.
Die Durststrecke ist beendet! Nach einem Jahr ohne WM und Olympia steht die Ski-WM in Val d'Isère vor der Tür. Von 2. bis 15. Februar wird in den französischen Alpen um Medaillen gekämpft. Bitte nicht, mögen manche denken. Doch der mediale Massensport kennt schon lange kein Entrinnen mehr. Über alle Kanäle dringt er in die Poren. Der ORF überträgt 60 Stunden live. Medienwirksame Sportarten sind Wirtschaftsfaktoren. Doch sie sind auch Sozialfaktoren, sie gehören zur kulturellen Selbstbeschreibung einer Gesellschaft. Was steckt hinter dem Spektakel? Welche Mechanismen werden wirksam? Im Interview erklärt der Philosoph, Essayist und Kulturpublizist Konrad Paul Liessmann, was er am alpinen Großereignis unerträglich findet, welche Kritik man daran üben kann und worin die tiefe Wahrheit im Sport liegt.
Die Furche: Sind Sie skiinteressiert, Herr Liessmann?
Konrad Paul Liessmann: Das war ich einmal, vor vierzig Jahren. Es war nicht zu umgehen. Damals wurde in der Schule der Unterricht abgesagt, wenn ein Skirennen war, und alle saßen vor dem Radio.
Die Furche: Heute schaut die Welt zu, wenn die Läufer für Medaillen alles riskieren. Wie moderne Gladiatoren?
Liessmann: Dieser Vergleich ist verlockend, aber natürlich höchst unpassend. Im Gegensatz zu den olympischen Spielen hatten die Gladiatorenspiele in Rom einen ganz anderen Charakter. In Rom ging es nicht um einen spielerischen Wettkampf, sondern um einen Kampf auf Leben und Tod. Was den Vergleich aber so verführerisch macht, ist das Prinzip Brot und Spiele. In dieser Hinsicht ist nicht das olympische Stadion, sondern die römische Arena Modell unserer medialisierten Schaukultur.
Die Furche: Im Spitzensport wird Erfolg verherrlicht und Scheitern ausgeblendet. Spiegelt sich darin ein kapitalistisches Ethos?
Liessmann: Es ist eher etwas, das es in anderen Gesellschaftsordnungen auch gibt, nämlich das Spiel mit Sieg und Niederlage. Es gibt ja - denkt man an Johan Huizinga oder Roger Caillois - die Theorie, dass der Mensch als homo ludens verschiedene Arten des Spielens kennt, und eine davon ist der Wettkampf. Da geht es eben um Sieg und Niederlage, um nichts sonst. Es stimmt übrigens nicht, dass dabei das Scheitern ignoriert wird. Es gibt ja auch im Sport tragische Helden. Derjenige, der mit Zwischenbestzeit ein Tor vor dem Ziel einfädelt, hat manchmal genauso viel Aufmerksamkeit wie der Sieger. Wenn man nur an Hermann Maiers legendären Sturz in Nagano denkt. Kein Mensch weiß mehr, wer damals gewonnen hat.
Die Furche: Wobei es im Skizirkus unzählige Leute gibt, die unbekannt scheitern.
Liessmann: Sobald ich Wettkampfspiele will, habe ich es mit dem Problem zu tun, dass nicht alle gewinnen können. Das ist ja das Wesen des Sports. Wer das als ungerecht empfindet, muss den Wettkampf abschaffen und medienwirksame, sozialverträgliche Kommunikationsspiele erfinden. Ganz einfach wird das nicht.
Die Furche: Wann wird der Mensch vom Zweck zum Mittel? Wenn Einschaltquoten wichtiger sind als alles andere?
Liessmann: Natürlich haben sich durch die Medialisierung des Wettkampfes die Strukturen der Wettkämpfe und ihrer Organisation stark geändert. Wer attraktive Bilder liefern will, muss sich den Gesetzen des Fernsehens beugen. Und natürlich werden Sportler dann funktionalisiert. Sie befriedigen nicht nur das Verlangen der Zuschauer nach Helden und Siegern, sie fungieren auch als Werbeträger. Wenn sie auftreten wie wandelnde Litfasssäulen, voll geklebt mit Logos, als wäre jeder Körperteil an eine Firma verpfändet, ist das die Konsequenz. Auf mich wirkt das eher peinlich, es funktioniert übrigens nur im Sport. Schriftsteller, die mit den Logos ihrer Verlage im Fernsehen auftreten, sind dann doch eher selten.
Die Furche: Dieses Gemenge aus Sport, Werbung, Nationalismus. So schlecht kann man das nicht managen, dass es nicht funktioniert, sagt ÖSV-Präsident Schröcksnadel. Bedarf es daran einer Kritik?
Liessmann: Der Sport liefert ein kollektives Identifikationsangebot auf einer eher harmlosen Ebene. Nehmen Sie die beflaggten Autos bei der Fußball-WM in Deutschland: Vor Jahrzehnten noch hätte man sich angesichts solch kollektiver Bekundungen gefürchtet, heute sind dies ästhetische Manifestationen, Belebungen des Straßenbildes. Als Selbstläufer funktionieren diese Mechanismen aber nur, solange es in medienwirksamen Sportarten Sieger gibt. Wenn man sich den Reputationsverlust anschaut, den Österreich im Fußball erlitten hat, weiß man: Da läuft gar nichts mehr von selbst. Kritisieren kann man Auswüchse des Systems. Doping, Manipulationen, oder wenn um des Spektakels willen vermeidbare Gesundheitsrisiken eingegangen werden - wobei ein gewisses existenzielles Risiko zum Wesen mancher Sportart gehört. Kritisieren kann man auch, wenn der Sport schamlos für politische Zwecke eingesetzt wird. Aber man muss sich auch klar sein, dass das keine Kritik am Kern der Sache ist.
Die Furche: Ein körperschonender Leistungssport ist unmöglich. Ein ethisches Problem?
Liessmann: Wenn ich einen Körper einer Wettkampfsituation aussetzen will, dann gibt es keine Schonung. Genau darum geht es ja: zu erkunden, zu welchen Leistungen der menschliche Körper überhaupt fähig ist. Das ist ja der tiefere anthropologische Sinn des Sports.
Die Furche: Wieso fesselt der Sport die Massen so?
Liessmann: Der Wettkampf hält eine ganz entscheidende Wahrheit für den Menschen bereit, die er sonst kaum noch bekommt: den Sieger. Man kann vom Wettkampf geradezu als Stunde der Wahrheit sprechen. Sportler bereiten sich jahrelang vor, sie sind die modernen Asketen, die ihren Körper kasteien - und alles im Hinblick auf einen Wettkampf, der in kurzer Zeit vorbei ist. Diese Sekunden entscheiden über die Wahrheit der Zeit zuvor. Ist richtig trainiert, gelebt worden? Oder war alles umsonst?
Die Furche: Aber der Weg dorthin ist doch auch Zufall, eine Lotterie.
Liessmann: Wenn es reiner Zufall wäre, würde wenigstens alle zehn Jahre ein Österreicher einen internationalen Hundertmeter-Sprint gewinnen. Die Idee des Wettkampfs lebt davon, dass es eben nicht um Glück, sondern um den Besseren geht. Wer den Kitzel des Zufalls sucht, spielt im Lotto oder an der Börse. Es gibt natürlich eine Reihe von Athleten, die nahezu gleich gut sind. Dann entscheidet die Tagesverfassung, und man kann Pech haben. Dass aber eine Handvoll Athleten über Jahre dominieren kann, zeigt, dass es nicht nur Glück und Zufall ist. Deshalb muss auch schon der Verdacht auf andere Formen der Manipulation bekämpft werden. Der schlechte Ruf des Boxens mag bis heute daher kommen, dass man sich "geschobene" Kämpfe allzu leicht vorstellen kann.
Die Furche: Beim Skifahren besteht das Problem ja nicht.
Liessmann: Dort ist die Gefahr angeblich gering. Weil es auch wahrscheinlich wenig bringt, einem Schweizer zu sagen, lass mal einen Österreicher gewinnen.
Die Furche: Sind Ski-Interviews und -Kommentare inhaltslose Endlosschleifen, die sich um die Sieger-Wahrheit drehen?
Liessmann: Das mediale Drumherum ist wirklich unerträglich geworden. Sowohl die Vorberichte und Interviews, bei denen nur Leerformeln reproduziert werden, und dann die Analysen, wo mit viel Technik und unfreiwillig komischer Rhetorik Expertentum simuliert wird. Das hat Blasencharakter. Darüber hinaus finde ich es völlig grotesk, dass bei manchen Sportarten mittlerweile Trainingsfahrten übertragen werden. Das Drumherum entspricht wohl nicht mehr dem Stellenwert des Ereignisses an sich. So wichtig ist der Sport dann auch wieder nicht.
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