Mit "Ruhm, Tod und Unsterblichkeit" befasst sich das in dieser Woche stattfindende 7. Philosophicum Lech. Im Mittelpunkt steht die Frage nach Strategien des Umgangs mit der Endlichkeit in nachreligiösen, säkularen Gesellschaften. Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, spiritus rector der Tagung am Arlberg, nimmt im Furche-Gespräch dazu Stellung.
Die Furche: "Ruhm", "Tod", "Unsterblichkeit" - das sind große Worte, die nicht so recht in unsere nüchtern-technokratische Zeit zu passen scheinen. Der Tod, so heißt es, werde verdrängt, an die Unsterblichkeit mögen wir nicht mehr recht glauben, und der Ruhm ist in einer Zeit, in der - laut einem Diktum von Andy Warhol - jeder für 15 Minuten ein Star werden kann, kurzlebig...
Konrad Paul Liessmann: Wir haben es in der Tat mit Begriffen zu tun, die in der Zivilisations- und Kulturgeschichte eine entscheidende Rolle gespielt haben. Vor allem der Tod ist nach wie vor ein factum brutum, dem wir nicht entgehen können, da hilft alle Verdrängung nichts. Der Einsicht, dass wir sterbliche Wesen sind, können wir uns auch in der modernen Zeit nicht verschließen. Mich interessiert die Frage, was sich in einer modernen, säkularen, wissenschaftlichen Zivilisation im Umgang mit diesem Phänomen verändert hat: Was haben wir an Gegen- oder Auffangstrategien gegenüber dieser Faktizität des Todes entwickelt? Wir akzeptieren den Tod ja nicht einfach. Sterben zu müssen, ist einfach ein Skandal, ein skandalon - und es ist das in der Moderne mehr denn je. Ich sehe hier vor allem zwei solcher Strategien: eine wissenschaftliche und eine mediale. Zum einen haben wir die medizinisch-wissenschaftlichen Versprechungen, dass der Tod, wenn schon nicht besiegbar, so doch noch weiter hinauszögerbar sein werde. Das Stichwort hiezu lautet "Anti-Aging" - es geht darum, erstens, möglichst spät zu sterben und, zweitens, trotz des hohen Alters nicht zu vergreisen. Die ganzen Bemühungen der Bio- und Gentechnologie, der Reproduktionsmedizin laufen ja auch darauf hinaus - nicht nur den Beginn, sondern auch das Ende des Lebens in den Griff zu bekommen. Die zweite Strategie ist das Streben nach Ruhm. Der Ruhm war immer schon die säkulare Variante der Unsterblichkeit. Was Perikles in seiner berühmten Rede auf die Gefallenen des Peloponnesischen Krieges formuliert hat, beschreibt im Kern, worum es geht: "Mitwelt und Nachwelt werden mit Stolz auf euch blicken". Das heißt, es geht um eine Form der Überwindung der reinen Zufälligkeit und Begrenztheit des eigenen Daseins.
Die Furche: Wer sind die Helden unserer Tage, auf die die Nachwelt mit Stolz blickt?
Liessmann: Man muss sich ansehen, wie sich die Dinge entwickelt haben: Der Ruhm in der Antike war an ganz bestimmte Leistungen für die Gemeinschaft geknüpft. Ruhm kam jenen zu, die etwas für das öffentliche Ansehen der Polis, für den Bestand von Strukturen getan hatten - Staatenlenker, Kriegshelden, aber auch Künstler, Dichter... Wir in unserer modernen Mediengesellschaft haben die Strategie des Berühmtwerdens als Versuch, mit der Endlichkeit fertig zu werden, noch intensiviert. Aber der entscheidende Unterschied ist: Wir haben dabei Ruhm durch Prominenz ersetzt. Im Vordergrund steht nicht die Leistung, durch die man sich ins Gedächtnis der Menschheit eingraviert, sondern das Streben nach einem Maximum an Aufmerksamkeit.
Die Furche: Ruhm ist per definitionem immer nur etwas für wenige. Aber was ist mit jenen, denen der Ruhm, das Prominent-Werden versagt bleibt?
Liessmann: Wesentlich scheint mir vor allem Folgendes: Zum Ruhm gehören auch die Rühmenden, berühmt wird man nur, wenn man gerühmt wird. In der Mediengesellschaft aber heißt rühmen "voten" - abstimmen. Heute hält man keine Laudationes, verfasst keine Elogen - heute wird abgestimmt. Eine Form des Votings ist ja schon das Zuschauen: Jede Seitenblicke-Gesellschaft braucht jemanden, der blickt. Das ist der Anteil der Sterblichen an der Unsterblichkeit.
Die Furche: Ist unter diesen Umständen, da einem ständig suggeriert wird, dass das "Leben ein Hit" ist, die eigene Durchschnittlichkeit nicht viel schwerer zu ertragen - weil persönliche Erfahrung und die von der Mediengesellschaft produzierten Bilder weit auseinanderklaffen?
Liessmann: Das ist genau eine der Paradoxien unserer Zeit: Es kann einerseits natürlich gar nicht anders sein, als dass der Großteil der Menschen durchschnittlich lebt - andererseits wird ständig vermittelt: Du bist eine Aktie, du kannst deinen Wert steigern. Tatsache ist aber auch: Es ist heute ungleich leichter, wenigstens punktuell einen Sprung aus der Anonymität zu machen. Früher war praktisch die einzige Möglichkeit: Man wurde zum Leserbriefschreiber. Heute kann sich jeder eine Homepage basteln. Damit gewinnt er potenziell die Aufmerksamkeit von rund einer Milliarde Menschen. Freilich gibt es Millionen solcher Homepages, die faktisch nie von jemandem besucht werden. Die einsame Homepage - das wäre auch etwas, worüber man einmal nachdenken könnte.
Die Furche: Ist der Druck auf den einzelnen größer, wenn er als religiöser Mensch weiß, für sein Leben Rechenschaft ablegen zu müssen, oder, umgekehrt, wenn er ohne Glauben an ein Weiterleben nach dem Tod das "Leben als letzte Gelegenheit" (© Marianne Gronemeyer) wahrnimmt?
Liessmann: Die Lehre von Fegefeuer und Verdammnis, der Gedanke, dass ein einzelner Fehltritt Höllenqualen bedeutet, ist eigentlich unerträglich. So gesehen hatte die augustinische, dann von Luther aufgenommene Gnadenlehre etwas zutiefst Humanes: dass es nicht darauf ankommt, was man in den 40, 50 Jahren seines irdischen Lebens macht, sondern die unerforschliche Gnade Gottes das letztlich Entscheidende ist. Nicht minder unerträglich ist das "Leben als letzte Gelegenheit": nichts versäumen zu dürfen, alles erleben zu müssen, weil ich ja nur dieses eine, begrenzte Leben habe. Analog zur Gnadenlehre werden aber auch hier Ausweichstrategien bereit gehalten, vor allem die: Wir müssen nicht alles selber tun, es reicht auch, wenn wir anderen dabei zuschauen, wie sie es tun. Das ist die unglaublich entlastende Funktion des Fernsehens, die noch gar nicht hinreichend gewürdigt worden ist.
Das Gespräch führten Cornelius Hell und Rudolf Mitlöhner.
Philosoph vor und hinter dem Arlberg
Konrad Paul Liessmann, 1953 in Kärnten geboren, ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Durch seine prononcierte Einmischung in aktuelle Debatten hat er sich als Essayist und Kulturkritiker einen Namen gemacht; vor allem seine ORF-CDs "Denken und Leben" (I bis III) zeugen von seinem Bestreben, Philosophie einer breiteren qualifizierten Öffentlichkeit zu vermitteln. Ebendiese Grundüberzeugung stand auch Pate, als er gemeinsam mit dem Schriftsteller Michael Köhlmeier 1997 das Philosophicum in Lech am Arlberg ins Leben rief: ein Denkertreffen im mondänen Schiort, eine hochkarätig besetzte Tagung vor eindrucksvoller landschaftlicher Kulisse im Herbst. Das "Böse", moderne Kunst, "Alt und Neu", "Krieg", "Eros", zuletzt die "Kanäle der Macht" waren bisher die Themen, dieses Jahr (11. bis 14. September) geht es um "Ruhm, Tod und Unsterblichkeit". Das Dossier von Furche Nr. 39 wird dem Philosophicum gewidmet sein.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!