Umgekipptes Machtgefüge

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Hinter markigen Sprüchen verbirgt sich große politische Leere. Wenn der Machterhalt der Parteien zum Selbstzweck wird, droht nur mehr ein Zerrbild der Demokratie.

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Hinter markigen Sprüchen verbirgt sich große politische Leere. Wenn der Machterhalt der Parteien zum Selbstzweck wird, droht nur mehr ein Zerrbild der Demokratie.

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Die Arsenale jener geistigen Auseinandersetzung, die konstruktive Politik benötigt, sind leer geworden. Auf allen politischen Seiten. Vieles spricht dafür, daß die kritische Situation, in die unsere Demokratie nun geraten ist, ihre weit zurückreichenden Ursachen hat. Eine Konstruktion der Machtausübung ist nun zerstört, die über Jahrzehnte aufgebaut wurde, und zu einer allgemeinen Lähmung des Idealismus führte. Die Koalition der Parteien und die Sozialpartnerschaft waren zwei Seiten jener Medaille, die sich Frau Austria als Schmuck um den Hals gehängt hat und gleichzeitig als Amulett gegen jede Unbill im Staate trug. Was bis vor kurzem auf den Schalen der austarierten Waage lag, ist die Realität von gestern. Die (bisher) großen politischen Kräfte haben den Anschluß an die Herausforderungen der Zukunft verloren.

Den größten Verlust an politischer Potenz erfuhr der Sozialismus. Seine Nachkriegsphase war geprägt von einem klassenkämpferischen Enteignungssozialismus. Spätestens seit Bruno Kreisky trat an seine Stelle der Verteilungssozialismus. Beide Modelle konnten sich nicht bewähren. Heute sind Englands Premierminister Tony Blair und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder Leitfiguren einer Internationale geworden, die Marktwirtschaft und ausgewogene öffentliche Haushalte predigt. Bisherige Ziele und Gegnerschaften mußten weggeräumt und neue Ideen verbreitet werden. Bei kritischer Betrachtung kommt man zum Schluß, daß nun die "Antifaschismus-Sozialdemokratie" als Begründung eigener Unentbehrlichkeit zum ideologischen Hauptrezept wurde.

Verflüchtigte Ideale Freilich entwickeln Feindbilder - seien es Kapitalisten, Sozialdemontierer und eben nun Rechtsradikale - ihre gefährliche Eigendynamik. Sie werden zum Gegenstand der stets am Konflikt orientierten Berichterstattung von Medien im In- und Ausland. Ängste werden instrumentalisiert. Insofern blieb man den alten Rezepten treu. Grundsatzorientierte Sacharbeit kann darunter nur leiden.

Was die ÖVP betrifft, ist kein solcher problematischer Wandel politisch-idealistischer Ziele zu registrieren. Sie ist ihren Grundsätzen treu geblieben, doch haben sich diese im Laufe der Zeit immer mehr verdünnt. Neben halbherzigen, bald wieder vergessenen Ansätzen ("Ökosoziale Marktwirtschaft") blieb kaum etwas über, was bei dieser Partei das Bild einer angestrebten lebenswerten Gesellschaft erkennen läßt. Ihre Tragik wurde, daß niemand so recht weiß, warum er sie eigentlich wählen soll. Bloßer wirtschaftsorientierter Pragmatismus kennzeichnet heute die einst große bürgerliche Gesinnungsgemeinschaft. Sie erschöpfte sich intellektuell jahrzehntelang in der Rolle, Widerpart(ner) der Roten zu sein. Eigenständige Positionen gab es zuletzt wohl in der Familienpolitik, der restliche Bereich christlich-sozialer Ambitionen trocknete aber aus. Der Herzogenburger Probst Maximilian Fürnsinn hat der ÖVP die Leviten gelesen, als er ihr zurief: "Betonen Sie, bitte, deutlicher das Christliche!" Er scheint damit nicht mehr ausgelöst zu haben, als Betretenheit.

Dieses Gesamtbild verlorener Politikfähigkeit fand seine Entsprechung in den großen Verbänden von Wirtschaft und Arbeit. Heute werden Nachrufe auf die Sozialpartnerschaft gehalten - nicht ohne Grund. Auf der Wirtschaftsseite will man eine schlankere und effizientere Interessenvertretung. Bei den Arbeitnehmern wurde versucht, durch Ausweichen auf neue Gebiete wie etwa Konsumentenschutz, aber auch durch hartnäckiges Beharren auf bisherigen, jedoch mittlerweile überholten Positionen, die eigene Bedeutung zu retten.

Den Herausforderungen einer immer dynamischer werdenden Weltwirtschaft wurde nur zögerlich Rechnung getragen. In gemessenen Chören begleitete man die eher matten Solisten unseres Staatstheaters. Eigentlich war die Ruhe Österreichs ein Ergebnis von Verlogenheit.

Wie kann es da wundern, daß ein geschickter Populist auftrat und rasch steigende Zustimmung fand, wenn er mit unbekümmerter Dreistigkeit das verständliche Unbehagen der Menschen artikulierte? Finger rücksichtslos in aufgebrochene Wunden des Sozialgefüges zu legen, war und ist sein ganzes politisches Programm. Was bei ihm nach Inhalten aussieht, erweist sich als unrealistisch. Es wird genau so bedenkenlos aufs Tapet gebracht, wie wieder fallen gelassen. Dieser Mangel an Seriosität wurde viel zu wenig herangezogen, um ihn auf der sachlichen Ebene der Politik zu bekämpfen. Stattdessen stilisierte man ihn zur politischen Gefahr schlechthin hoch.

Nie gegen Arbeiter Daß sich schließlich einer der bisherigen Kompagnons dennoch mit Haider zusammentat, um etwas zu bewegen, ließ das bisherige Gleichgewicht der Macht kippen. Nun ist man "rechts" auf riskanter Wegsuche, "links" müssen entleerte politische Räume wieder gefüllt werden. Die konsequent betriebene Dämonisierung des immer unangenehmer gewordenen Konkurrenten auf dem Wählermarkt zwingt dazu, seinen Erfolg als Katastrophe für das Staatsganze und unerträgliche Provokation aller demokratischen Kräfte darzustellen. Ein aufschlußreicher Rückblick sei unternommen: Ende Februar erklärte der Nationalratspräsident in einem "Presse"-Interview, es sei für ihn unvorstellbar, daß in Österreich jemand "gegen eine starke Arbeiterbewegung regieren" könne. Dies geschah freilich nicht jetzt, sondern 1978. Damals wurde Alexander Götz neuer Obmann der Freiheitlichen Partei und es gab Spekulationen über eine Zusammenarbeit der bürgerlichen Parteien. Anton Benya saß zu dieser Zeit als ÖGB-Präsident auch dem Parlament vor. Wie sich die Bilder gleichen! Heute scheint jene Situation eingetreten zu sein, die für Benya noch unvorstellbar war, und es sieht so aus, als ob man den schon so lang angedrohten gemeinsamen Widerstand von Sozialdemokratie und Gewerkschaften nun ungehemmt einsetzen wolle.

In diesem Sinne symbolträchtig war, wie der Wiener Bürgermeister kurz nach dem Regierungswechsel das Kostüm des obersten Fiakers ab- und einen leuchtend roten Schal umlegte. In dieser Adjustierung forderte er bei den Gedenkfeierlichkeiten für die Opfer des 12. Februar 1934 eine harte und bedingungslose Oppositionspolitik gegen die "schwarz-blaue Ausbeuterregierung".

Nur markige Sprüche Erfolgt also die Rückkehr zum alten Klassenkampf - die mobilisierte Straße eingeschlossen - um alles niederzuringen, was nicht rot oder grün ist? Hinter markigen Sprüchen wird freilich erst recht jener Mangel an attraktiven politischen Konzepten sichtbar, der Haider möglich machte. "Widerstand" heißt (vorerst?) die Parole. Was man bei einer rot-schwarzen Regierung der Staatsraison zuliebe anstandslos akzeptiert hätte, wird nun zum Anschlag auf die sozialen Interessen.

Mit dieser Verdrängung einsichtiger Sachpolitik durch Anheizen eines Kampfes um die Macht, droht ein Zerrbild parlamentarischer Demokratie zu entstehen. Besonnene, korrigierende Kräfte fehlen. Bemerkenswert ist, daß auch dem ehemals christlich-sozialen Element in der Arbeitnehmerbewegung nichts anderes übrig zu bleiben scheint, als der Schulterschluß mit den Streitern um angeblich bedrohte Rechte. Das Idyll ist zerstört, die Probe durch die Krise danach droht, nicht bestanden zu werden. Es müßten daher nun allseits neue Perspektiven gemeinsamer Verantwortung für die Lösungen der Probleme des Landes gesucht werden. Dynamik und Stabilität wären in Einklang zu bringen, Streitkultur und übereinstimmende, nach wie vor bestehende Grundpositionen zu pflegen. Die bemerkenswerte Politisierung unserer Gesellschaft sollte Gutes bewahren und Neues wagen.

Der Autor war von 1971 bis 1975 ÖVP-Generalsekretär, von 1978 bis 1987 Bundesobmann des ÖAAB.

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