Auch im UN-Anwärterstaat Palästina schafft ausländische Hilfe nicht immer Abhilfe - noch seltener kann sie eine selbstbestimmte Zukunft vorbereiten.
Am 23. September hat Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Antrag auf Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen gestellt. Auch wenn dem Ansuchen stattgegeben werden und Palästina als Staat anerkannt werden sollte, bleibt die Frage, wie sich das von Hilfsorganisationen übersäte Land eigenständig entwickeln und so seinem Wunsch nach Unabhängigkeit nachkommen kann.
"Wer die Probleme zwischen Israel und Palästina verstehen will, muss die politischen und finanziellen Bedürfnisse der Kolonialgeschichte des 19. Jahrhunderts verstehen.“ Chalid Al-Chamissi, ägyptischer Romanautor, Soziologe und Teil des kulturellen Flügels der Revolutionsbewegung in und um den Tahrir-Platz, verdeutlicht nicht nur, dass der Nahost-Konflikt nicht religiösen, sondern vielmehr ökonomischen Ursprungs ist - er wirft damit auch eine weitere Frage auf: Wenn England, Frankreich und Amerika als Verursacher der Nahost-Krise, die bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm, den Konflikt aufgrund wirtschaftlicher Interessen weiter schüren, warum entsenden dann genau diese Länder Hilfsorganisationen nach Palästina?
Privileg des Helfens
Wie auch immer die Nahost-Politik gelagert ist - Helfen erweist sich auch im Falle Palästinas mitunter als ein Privileg derer, die es sich leisten können. Mittels 2011 ausgerufenem Jahr der Ehrenamtlichkeit will die Europäische Union all jenen Dank zollen, die sich in ihrer Freizeit für andere engagieren, ohne dafür monetär entgolten zu werden. Neben den schätzungsweise zwischen 375.000 und 500.000 allein innerhalb der Kirchen und Religionsgemeinschaften freiwillig Engagierten (Erzdiözese Wien unter Bezugnahme auf Statistik Austria) prägen die heimische Hilfslandschaft auch zahlreiche Hilfs-Professionalisten, die sich "Helfen“ in die Sparte "Berufserfahrung“ in den Lebenslauf schreiben. Im Rahmen von Non-Governmental- beziehungsweise Non-Profit-Organisationen (NGO/NPO) wird Hilfe organisatorisch geplant, vor Ort umgesetzt und bereits im Heimatland konzipiert.
Doch genau darin sehen im Non-Profit-Bereich-Tätige mit Weitblick die Schwierigkeit. Dagmar Lassmann, langjährige Diakonie-Österreich-Mitarbeiterin und als solche verantwortlich für das vom Weltkirchen-Rat ins Leben gerufene Projekt EAPPI, distanziert sich von einem starren NGO-Apparat. "Wir überlegen uns derzeit keine konkreten Projekte in Österreich.“
Lokalstrukturen berücksichtigen
Nicht Konzeptentwicklung im Heimatland, sondern die Stärkung der lokalen Strukturen stehe im Vordergrund. Das Programm des Ökumenischen Rats der Kirchen (http:// www.eappi.org/) schickt Freiwillige in sieben Orte in der Westbank - in "Dörfer, für die es wichtig ist, dass jemand von außen vor Ort ist“. Wie EAPPI denn erfahren würden von dem, was gebraucht wird? "Die Dorfbewohnerinnen und -bewohner selbst fragen beim EAPPI-Büro in Jerusalem an.“ Hilfe dieser Art wird nicht am Reisbrett konzipiert, sondern an die Volontäre herangetragen, die auf Abruf bereit stehen und auf die Anrufe unmittelbar reagieren. In diesem Sinn ist auch Dagmar Lassmanns Kurzbeschreibung zu verstehen: "EAPPI ist keine NGO. EAPPI sind Menschen in Dörfern.“
Die Frage, welche Art von Hilfe es im 194. UN-Anwärterstaat Palästina aktuell bedarf, ist nicht einfach zu beantworten. Dass konzeptionelle Arbeit allein aber nicht alles ist, beweist das Beispiel "Tent of Nations“, der Initiative des palästinensischen Bauern Daoud Nassar, der im sogenannten C-Gebiet der Westbank lebt, wo sich mittlerweile 500.000 jüdische Israelis angesiedelt haben und damit die israelische Regierung ihrem Ziel, die Besiedelung auch in palästinensischen Autonomiegebieten voranzutreiben, Stück für Stück näher bringen, wie Nassar meint.
Da sein Bauernhof von Siedlungen mit teils radikalen Bewohnern umgeben ist und es zu bewaffneten Angriffen kam, holte sich Nassar internationale Volontäre auf sein Land, das er selbst nur in unterirdischen Höhlen und die Internationals nur in Zelten bewohnen dürfen.
Sinn der Brigaden ist, bewaffnete Übergriffe zu vereiteln. Sobald militante Israelis Europäerinnen und Europäer sehen, so Nassar, sehen sie von ihren Vorhaben ab - außer im Fall eines EAPPI-Mitarbeiters, der gleich am ersten Tag seines Hilfseinsatzes in der Westbank durch scharfe Munition verletzt wurde. Allerdings ist anzunehmen, dass dem Schützen nicht bewusst war, dass sich ein Nichtpalästinenser auf der Farm befindet - den derartige Übergriffe gibt es in der Westbank so gut wie nie.