Buch • Gian Domenico Borasio leistet nüchterne Aufklärung über das Lebensende und plädiert für einen natürlichen Tod.
Geburt und Tod, die Schwellen an den Rändern eines jeden Lebens, haben viel gemeinsam. "Beide laufen in den meisten Fällen am besten ab, wenn sie durch ärztliche Eingriffe möglichst wenig gestört werden“, schreibt Gian Domenico Borasio. "Und in beiden Vorgängen greift die moderne Medizin zunehmend häufiger, zunehmend invasiver und teilweise zunehmend unnötiger ein.“ In diese Wirklichkeit hinein hat Borasio ein Buch der leisen Töne aber glasklaren Argumente geschrieben. Es ist das Plädoyer eines Pioniers und Protagonisten der interdisziplinär ausgerichteten Palliativmedizin, die das Lebensende umfassender verstehen und gelassener gestalten will.
Mit diesem für viele angstbesetzten Thema und der von ihm gewählten Form der Auseinandersetzung hat Borasio offenbar einen Nerv getroffen. Nur so lässt es sich erklären, dass sein schmales Buch binnen kürzester Zeit zu einem Bestseller mit über 100.000 verkauften Exemplaren avancierte. Ab 2006 hat Borasio als Lehrstuhlinhaber für Palliativmedizin an der Universität München ein Netzwerk an Professuren geschaffen, das alle Bereiche der physischen, psychosozialen und spirituellen Sterbebegleitung in Forschung und Lehre integriert. Ihm ist es maßgeblich zu verdanken, dass sich heute alle Medizinstudierenden in Deutschland - und in Zukunft auch in der Schweiz, wo er jetzt lehrt - in ihrer Ausbildung mit der Begleitung Sterbender und ihrer Familien auseinandersetzen müssen.
Diffuses Feld der "Sterbehilfe“
Mit seinem Buch hat Borasio eine gut verständliche, kompakte Mischung aus nüchterner Information, praktischer Hilfestellung und pointierter Meinungsbildung geschaffen. Eingangs referiert er, welches Wissen wir heute über das Sterben haben und welche Strukturen der Sterbebegleitung es gibt. Sehr bald schon stellt er die Frage, was Menschen am Lebensende brauchen. Die vier von ihm genannten und näher beschriebenen Aspekte - Kommunikation, medizinische Therapie, psychosoziale Betreuung und spirituelle Begleitung - markieren die Eckpunkte von Palliativmedizin und Palliative Care. Auf dieser Grundlage diskutiert der Autor dann Problemlagen aus der medizinischen Praxis. Etwa die umstrittene Frage von Ernährung und Flüssigkeit am Lebensende. Auch das ebenso diffundierende wie diffuse Feld der so genannten "Sterbehilfe“ wird von ihm kompetent abgehandelt.
Im Schlussabschnitt - "Leben im Angesicht des Todes: Das Geschenk der Palliativmedizin“ - findet sich die wissenschaftlich belegte Feststellung, dass schwerkranke und sterbende Menschen besser wissen als Gesunde, worum es im Leben wirklich geht. Die Frage, die daran anschließt, ist ebenso schlicht wie drängend: "Was können wir tun, um diese Erkenntnis für uns selbst zu erreichen, bevor es ans Sterben geht?“
Über das Sterben
Was wir wissen, was wir tun können, wie wir uns darauf einstellen
Von Gian Domenico Borasio. 10. Aufl., Verlag C.H. Beck 2012, 208 Seiten, geb., € 18,50
Gian Domenico Borasio wird im Rahmen des Benefizabends "Am Ende. Leben“ der Styria Media Group AG zu Gunsten der Palliativstation im Krankenhaus der Elisabethinen Graz referieren. Moderation: Carina Kerschbaumer ("Kleine Zeitung“)
Freitag, 14. Juni 2013, 19 Uhr, Großer Minoritensaal, Mariahilferplatz 3, 8020 Graz.