Wie die Linken selber die Rechten fördern

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Von Brexit über (beinahe) Hofer bis Trump: Allerorten vernimmt man jede Menge Klagen und Entsetzen darüber. Allerdings findet wenig Ursachenforschung, die über den Verweis auf die ja leider tatsächlich triste Lage breiter Schichten hinausgeht, statt. Ein Gastkommentar.

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Von Brexit über (beinahe) Hofer bis Trump: Allerorten vernimmt man jede Menge Klagen und Entsetzen darüber. Allerdings findet wenig Ursachenforschung, die über den Verweis auf die ja leider tatsächlich triste Lage breiter Schichten hinausgeht, statt. Ein Gastkommentar.

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Seit der englischen Mehrheitsentscheidung für den Brexit und spätestens seit der Wahl des neuen Präsidenten der USA steht die Frage, was eigentlich die Rechte so stark mache, auf der Liste der drängenden Sorgen ganz oben.

Ich meine, dass die Linke unabsichtlich aber doch die Entstehung der sogenannten "Rechten" kräftig fördert. Ich denke dabei nicht nur an die gängige Meinung, dass zu viel Berichte über rechte Politiker (siehe etwa seinerzeit Jörg Haider) diesen selbst dann nutzen, wenn sie ausschließlich negativ sind. Ein darüber noch hinausgehender Vorwurf der Förderung klingt zunächst absurd. Trotzdem lassen sich dafür Argumente bringen, ohne dass man dafür besondere rhetorische oder logische Verrenkungen in Kauf nehmen muss.

Der Begriff der "Linken" ist natürlich unscharf. Aber er ist eng verbunden mit Kritik an allem Etablierten, insbesondere an der Herrschaft des Kapitals und damit an rein ökonomischen Machtstrukturen, die nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die politischen Prozesse steuern (Colin Crouch hat dafür den markanten Begriff der "Postdemokratie" geprägt), und darüber hinaus auch die persönlichen Lebensformen immer stärker tauschwirtschaftlichen Strukturen unterwerfen.

Analytisch ist die Linke gut...

Unbestreitbar gibt es eine massive Verschärfung der Ungleichheit, die Abhängigkeit vieler Arbeitsplätze von Entscheidungen, die irgendwo in fernen Konzernzentralen getroffen werden, und für die Mehrheit der Bevölkerung Löhne, die nur mühselig die Bezahlung der steigenden Mieten erlauben. Zugleich macht hohe Arbeitslosigkeit für die Betroffenen ein Leben in nur sehr bescheidenen Verhältnissen möglich, und es herrscht völlige Unklarheit darüber, ob die Dynamik der raschen weiteren Automatisierung nun neue Arbeitsplätze schaffen oder im Gegenteil zu einem weiteren massiven Abbau von Arbeitsplätzen führen wird. Das alles lässt sich mit der vermeintlichen Herrschaft des Kapitals ganz gut begründen. Die Analyse, die die Linke dazu bietet, verdient Respekt. Und es sind viele Angehörige gerade der ärmeren Schichten der Bevölkerung, die bei solcher Analyse ihre eigene Situation recht gut beschrieben finden.

Aber gerade die Plausibilität dieser Analyse hat unerwartete Nebeneffekte. Der eine ist, dass eine solche Fundamentalkritik Detaillösungen innerhalb des Systems grundsätzlich als ungenügend erscheinen lässt. Die traurige Pointe ist, dass ja genau solche das Hauptziel der etablierten demokratischen sozialistischen Parteien in Europa sind. Die konzentrieren sich auf punktuelle Lösungen -ein paar Euro mehr bei der Mindestsicherung, ein paar Tage mehr beim Urlaub oder bei den Kündigungsfristen. All das wird von den Begünstigten schon deshalb als ungenügend empfunden, weil sie am verhasst gemachten System nicht das geringste verändern und vor allem die vielen vorhandenen Unsicherheiten nicht verringern.

Im Gegenteil bringt das Streben nach politischer Macht, so legitim es für die Durchsetzung eigener Ziele ist, linke Parteien in ein ziemliches Dilemma. Sie werden damit nämlich in der Perspektive gerade der besonders Benachteiligten und Frustrierten nur Bestandteil des Systems und des herrschenden Establishments. Viel an Ablehnung und auch an Wählerverlust kommt von genau daher. Man sollte das Argument eines Trump-Wählers sehr ernst nehmen, der gesagt hat, seine Feinde seien Politiker, und er habe eben den Feind seiner Feinde gewählt.

Der zweite unerwartete Nebeneffekt hängt damit zusammen, dass die Linke gut in der Diagnose ist, aber beim Anbieten von Lösungen völlig versagt. Von einer Änderung dieses bösen Systems wird zwar ständig geredet, aber das Wohin bleibt nebulös. Eine gerechtere Gesellschaft will jeder, aber auch die müsste ja irgendwie strukturiert werden. Zur möglichen Alternative eines kommunistischen Systems hat Wolf Biermann eigentlich alles gesagt: Dass der Kommunismus nicht funktioniere, wisse inzwischen jeder. Aber selbst das würde ihn nicht stören. Schlimmer sei, dass der Kommunismus nicht nur in die Hölle führen könne, sondern zwangsläufig in die Hölle führen müsse. Biermann kannte das System, von dem er spricht. Und die Alternativen? Ein genossenschaftliches System, mit dem die Gewerkschaften in Österreich den Konsum und in Deutschland die Neue Heimat ruiniert haben? Eine Verstaatlichung, deren "Erfolge" von Österreich bis England hinlänglich bekannt sind? Oder der Sozialismus des Hugo Chávez, den selbst das ölreiche Venezuela nicht lange ausgehalten hat? All diese Konzepte sind historisch gründlich delegitimiert.

Das ist der springende Punkt. Die Kritik wird übernommen, die Schlussfolgerungen sind andere. Die Verlierer des Systems und der Globalisierung glauben der Analyse, aber nicht der angebotenen Medizin. Sie wenden sich lieber hilfesuchend den alten einfachen Lösungen zu, den Grundsätzen von Law and Order, der Hoffnung auf einen starken Mann, der für Recht und Ordnung sorgen soll. Da nutzen die Hinweise auf historische Beispiele und ihre schrecklichen Folgen leider gar nichts. Denn solche Vorstellungen sind schlicht und einfach dem Verständnishorizont der Betroffenen näher, und vor allem sehen sie keine plausible Alternative. In manchen Bezirken Wiens und Österreichs sind bei den Wahlen bis zu 70 %der Arbeiter von den Sozialisten weg hin zur FPÖ gewandert. Wer sie alle deswegen gleich ins rechte Eck stellt -einer Versuchung, der leider nur wenige Intellektuelle widerstehen -, vernachlässigt nicht nur die spezifischen Lebensbedingungen von immer mehr Menschen, sondern übersieht auch schlicht und einfach die Mechanik des Prozesses von der Analyse zur Reaktion.

Teure Weltverbesserung

Und noch ein dritter Mechanismus wird gerne übersehen. Immer mehr Gesetze und Verordnungen sollen den Konsumenten und die Umwelt besser schützen. Natürlich stößt das vor allem bei der Linken auf breite Zustimmung, schließlich soll genau auf diese Weise unsere Welt Stück für Stück verbessert und die globale Erwärmung wenigstens gebremst werden. Allerdings wird die Mechanik dieser Gesetzesmaschinerie nicht immer verstanden. In Brüssel sind derzeit nicht weniger als rund 15.000 Lobbyisten aktiv. Ein paar kommen von Umwelt-und Konsumentenschutzorganisationen, aber die meisten doch von der Industrie. Und die haben ihr Handwerk gelernt. Konsumentenschutz und Umweltschutz werden bei ihnen zum immer beliebteren Vorwand für gut versteckte Konzerninteressen.

Dann kommen Regelungen zustande, die -nur zum Beispiel - Glühbirnen massiv verteuern, natürlich angeblich wegen ihrer Langlebigkeit und daher im Interesse der Konsumenten. Wer wird da schon so kleinlich sein und sich über das wenige Quecksilber in den neuen Lampen aufregen? Und aus lauter Sorge um den Konsumenten und die Umwelt verschärft und verteuert man alle Prüfverfahren derart massiv, dass sich kleinere Betriebe die gar nicht mehr leisten können. Das gilt nicht nur für Stoffe, die im weitesten Sinne als Chemikalien bezeichnet werden könnten wie etwa Desinfektionsmittel oder Waschmittel oder Seife, sondern auch beispielsweise für medizinische Geräte zur Wärmebehandlung durch Infrarot. Die muss man nunmehr extrem teuer in Deutschland prüfen lassen, österreichische Institute und Universitäten sind dafür angeblich nicht mehr qualifiziert genug. Zu viele Regelungen und Vorschriften sind so gestaltet, dass sie von Großbetrieben sehr wohl, von Kleinbetrieben dagegen kaum mehr erfüllt werden können. Um die Zerstörung von Kleinbetrieben und von Arbeitsplätzen braucht sich der Kapitalismus gar nicht mehr bemühen. Diese kräftig von Linken mitgestaltete, ach so menschenfreundliche Politik nimmt ihm die Arbeit ab.

Wunderhübsche Hass-Diskurse

Wir durften gerade lernen, dass so manche internationale Konzerne in Europa, angeblich sogar legal, weniger Steuern zahlen als so manche Geschäftsführer ihrer Tochtergesellschaften. Erbarmungslose Anwendung der vollen Tarife und strenge Steuerprüfungen sind -neben den Registrierkassen -eher ganz gewöhnlichen Kleinbetrieben vorbehalten. Hier findet so richtig Umverteilung statt, aber von unten nach oben. Die Betroffenen sind extrem frustriert. Jeder darf raten, wohin sie sich politisch zuwenden, und was sie ihren Mitarbeitern erzählen.

Multinationale Unternehmen sind beweglich genug, um immer wieder mit der Schließung von ganzen Fabriken -und damit der Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere Länder -glaubwürdig drohen zu können. Politik ist tatsächlich erpressbar. Aber sie hat dazu selber beigetragen, indem sie so ziemlich überall die Schaffung und auch die bloße Erhaltung von Arbeitsplätzen durch Kleinbetriebe laufend erschwert. Wer die Macht des Kapitals beklagt, sollte auch darüber nachdenken, wer es ständig mächtiger macht. War Merkels Sager von der "marktfähigen Demokratie" am Ende mehr als ein schlimmer Versprecher?

Sehen die Linken all diese Mechanismen der Produktion von immer mehr Frustration und Hass - nicht zuletzt auf das eigene System - nicht, oder wollen sie es nicht sehen? Es gibt derzeit wunderhübsche Diskurse darüber, wie man dem Hass begegnen soll. Sollte man nicht etwas mehr auch darüber nachdenken, wie er produziert wird?

| Der Autor war Bankmanager, ist heute Gesellschafter einer Vermögensverwaltungsgesellschaft und daneben als Publizist tätig |

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