Wieviel wollen wir uns leisten?
Hauptaufgabe des Staates in der Familienpolitik muß die Vor- und Fürsorge bei armutsgefährdeten Familien sein.
Hauptaufgabe des Staates in der Familienpolitik muß die Vor- und Fürsorge bei armutsgefährdeten Familien sein.
Lassen wir einmal die Tatsachen für sich sprechen. Österreich hat ein umfangreiches und differenziertes System der Familienförderung. Zur direkten Familienförderung über Transferzahlungen und Steuerabsetzbeträge kommen noch reale Leistungen, wie die Schülerfreifahrt und freie Schulbücher und indirekte Förderungen, wie die beitragslose Mitversicherung der Familienmitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Im internationalen Vergleich zählt Österreich zu den Ländern mit der höchsten Familienförderung. Was aber nicht bedeutet, daß trotz der umfangreichen Förderung eine Armutsgefährdung nicht gegeben wäre. Was aber nicht zum Trugschluß führen sollte, man brauche nur alles zu erhöhen, dann würde alles wieder gut.
Denn wie Experten sehr glaubhaft versichern, sind für die Armutsgefährdung in erster Linie relativ hohe Lohnunterschiede und die fehlende Mindestsicherung in Teilen des Sozialsystems ausschlaggebend. Dazu kommt noch der Mangel an Kinderbetreuungseinrichtungen und die geringe Möglichkeit von Teilzeitbeschäftigungen, die deutlich unter den Standards in den übrigen Industriestaaten mit einem vergleichbaren Niveau des Sozialstaates liegen. Was bedeutet, daß es - um es technisch auszudrücken - eine niedrige Frauenerwerbsquote gibt.
Außerdem dominiert in der österreichischen Familienpolitik der Lastenausgleich zwischen jenen, die Kinder aufziehen, und den Kinderlosen gegenüber einer Verteilung, die stärker auf den sozialen Ausgleich Rücksicht nimmt und sich mehr an Bedürftigkeit orientiert. So kann etwa ein alleinverdienender Arbeiter mit zwei Kindern auf über 90 Prozent seines Bruttojahresverdienstes zurückgreifen, einem Single verbleiben nur etwas mehr als 70 Prozent.
Analysen zeigen auch, daß die Familienförderung zu den Selbständigen-Haushalten umverteilt. Auf Grund höherer Kinderzahlen und längerer Ausbildungszeiten in den gewerblichen und freiberuflichen Haushalten kommt es zu einer größeren Inanspruchnahme der Förderungen. Es gibt aber gleichzeitig einen geringeren Finanzierungsbeitrag. Es gibt eine Umverteilung zu Bauern mit geringen Durchschnittseinkommen aber vielen Kindern und zu gewerblichen und freiberuflichen Haushalten mit überdurchschnittlichen Einkommen.
Die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes bei die Familienbesteuerung betreffenden Bestimmungen des Einkommenssteuergesetzes machen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten immer etwas nervös. Dieses Unbehagen kommt nicht von ungefähr. Bis 1970 dominierte in Österreich die steuerliche Förderung in Form von Kinderfreibeträgen. Die Förderung nahm also pro Kind mit der Höhe des Einkommens zu. Mit der Regierung Kreisky wurde die steuerliche Förderung, die besser Verdienende begünstigte, beseitigt. Die Transferleistungen wurden unter gesundheits- und bildungspolitischen Gesichtspunkten ausgebaut. Diese Politik stand unter der Prämisse: Gleiche Förderung für jedes Kind.
Ihr ist die Sozialdemokratie heute noch verpflichtet. Kinder sollen unabhängig vom Einkommen möglichst gleich gefördert werden. So wurde auch nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofes 1991, der die Förderung für die oberen Einkommensschichten als unzureichend bezeichnete und wieder für eine schichtspezfische Förderung eintrat, von diesem Grundsatz nicht abgegangen. Die neu eingeführten Absetzbeträge wurde auch an jene ausbezahlt, deren Steuerlast geringer ist. Damit wird jedes Kind auch steuerlich gleich gefördert wie durch Transfers. Wobei nicht zu vergessen ist, daß diese Lösung zusätzliche Kosten in Milliardenhöhe nach sich zog.
Diskussionen über Familienförderungen sind immer auch ideologische. Wobei für die Sozialdemokratie immer klar war, wo sie ihre Schwerpunkte bei den Förderungen sieht: bei AlleinerzieherInnen, Familien mit weniger Einkommen, also in der Regel Jungfamilien. Denn eines zeigen alle empirischen Daten: Eine Familie ist umso mehr von Armut bedroht, je niedriger das Erwerbseinkommen einer Familie ist, je mehr Kinder in der Familie leben und je weniger Verdiener es gibt. Hier muß der Staat Vorsorge und Fürsorge treffen.
Und wie Umfragen zeigen, sind den Befragten die doch eher spitzfindige Auslegungen des Verfassungsgerichtshofes und deren Auswirkungen ziemlich egal. Was sie interessierte, war eine praktische Hilfeleistung. Die Befragten traten für die Förderung indirekter Transferleistungen ein, also für Unterstützungen bei der Wohnungssuche und der Wohnung, für die Schaffung von Kindergartenplätzen und Tageshorten sowie für verbilligte Fahr- und Eintrittspreise. Nur ein Drittel der Befragten meint, daß Familien durch die Erhöhung der Familienbeihilfe gefördert werden könnten. Hier geht es jetzt nicht darum, wie gut die eine oder andere Maßnahme verteilungspolitisch ist, sondern rein um den Umstand, daß offensichtlich der Sinn von Familienbeihilfen angezweifelt wird.
Wie soll nun ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes verstanden werden, das zwar politische Folgen zeitigt, dessen politische Stoßrichtung jedoch - um es sehr vorsichtig zu sagen - mehr als umstritten ist. Und dies nicht nur in der Sozialdemokratie. Denn der Streit geht wohl darum, wie der Lastenausgleich zu erfolgen hat. Wie viel Horizontalität und wie viel Vertikalität will man denn? Denn schon ist ein neuer Streitpunkt am Horizont der Auseinandersetzung über die Familienbesteuerung zu sehen. Oder etwas polemisch ausgedrückt: eine neue Ungleichbehandlung! Wenn nämlich der Unterhaltspflichtige nicht im gemeinsamen Haushalt wohnt - also bei geschiedenen oder unverheirateten Eltern. Zivilrechtsexperten weisen darauf hin, daß man die Familienbeihilfen noch so anheben kann, aber die neue sachwidrige Ungleichbehandlung zwischen Unterhaltspflichtigen, die mit Mutter und Kind im Familienverband leben, und solchen, die es eben nicht tun, damit nicht aus der Welt geschafft werden kann. Geschiedene Väter gibt es mehr als genug, auch solche, die Unterhalt zahlen. Also wird es nicht lange dauern, bis eine Beschwerde einlangt.
Wird der Verfassungsgerichtshof wieder in ein paar Jahren ein Erkenntnis fällen, um diese Steuerbelastung zu beseitigen? Irgendwann werden wir um eine Grundsatzdiskussion nicht herum kommen, wieviel Familienförderung der Staat überhaupt betreiben will. Und kann! Also wieviel Familienförderung können wir uns überhaupt leisten, wenn die Staatskassen nicht gerade übertrieben voll sind? Das darf doch bei der Förderung der Familien kein Thema sein, mögen manche sagen. Doch, ist es.
Denn wenn die Armutsgefährdung der Familien, insbesondere alleinstehender beziehungsweise geschiedener Mütter sowie Familien mit großer Kinderzahl, relativ hoch ist, wie empirische Daten belegen, dann wird man mit einer rein formalen Betrachtung, wie der Inhalt des Einkommenssteuersystems sein muß, nicht das Auslangen finden. Wenn Richtersprüche in Zeiten knapper Budgets dazu führen, daß es zu einer massiven Umverteilung zugunsten besser verdienender Familien kommt, ist das wirklich im Sinne der österreichischen Bundesverfassung?
Der Autor ist ist geschäftsführender Chefredakteur der sozialdemokratischen Monatszeitschrift "Die Zukunft".
Zum Thema Familienförderung, Teil II Letzte Woche formulierte an dieser Stelle der Vorsitzende des Katholischen Familienverbandes, Andreas Dobersberger, seine Kritik an den Modellen der Regierungsparteien zur Familien-Steuerreform. Und provozierte damit dem Vernehmen nach kurioserweise just bei der ÖVP Empörung, obwohl die kleinere Koalitionspartei bei Dobersberger erwartungsgemäß viel weniger gezaust worden war als die SPÖ.
Apropos: Diese Woche hat es auch mit einem Vertreter aus dem Bereich der Sozialdemokratie geklappt. Manfred Lang, Chefredakteur des SP-Vordenkerorgans "Zukunft" (das nicht unbedingt die offizielle Parteilinie vertritt), erläutert das Unbehagen seiner Gesinnungsgemeinschaft an Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes zum Thema Familienbesteuerung. Mit Dobersberger verbindet ihn die Einsicht, daß es sich bei dem Thema um eine der ideologisch sensibelsten Materien handelt. Sonst nicht viel. RM