35.000 Lückenfüller gesucht

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Rasend schnell wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt, wobei der rechtliche Rahmen dafür noch fehlt. Jens Kreuter, Zivi-Beauftragter, klärt auf.

Ein Freiwilligengehalt vs. Pflicht zum Sozialdienst: Hierzulande diskutierte Zivildienst-Alternativen hat Jens Kreuter zwangsläufig schon als untauglich entlarvt.

Die Furche: Sie haben 1985/86 den 18-monatigen "Anderen Dienst im Ausland“ abgeleistet. Warum?

Jens Kreuter: Nach der Schule wollte ich ein Orientierungsjahr einschieben und das für einen Auslandsaufenthalt nutzen. Dazu kam ein friedensethisches Motiv: Ich wollte staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer sein. Dabei wäre ich als angehender Pfarrer - ich plante bereits, Theologie zu studieren - überhaupt nicht wehrpflichtig gewesen. Es war fantastisch, meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln, indem ich z. B. mit Stress- und Konfliktsituationen umgehen lernte. Und natürlich viel über die Nahost-Region, die Menschen dort und ihre Religionen.

Die Furche: Seit Herbst 2006 sind Sie Bundesbeauftragter für den Zivildienst. Hätten Sie je eine so rasche Aussetzung der Wehrpflicht erwartet?

Kreuter: Nein, auch vor einem Jahr nicht. Die jetzige Situation beruht auf einer Entscheidung des Bundesverteidigungsministers. Formal ist die Wehrpflicht aufrecht, eine im Bundestag zu beschließende Gesetzesänderung tritt voraussichtlich im Juli in Kraft. Entscheidend war, dass Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg Ende Sommer 2010 erklärte, die Wehrpflicht sei sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen. Damit war sie auch juristisch nicht länger zu halten.

Die Furche: Der Zivildienst fällt damit ebenfalls. Seit Jahresbeginn sind nur Zivis im Einsatz, die freiwillig verlängert haben, ab Juli gibt es den Bundesfreiwilligendienst. Ein Schnellschuss?

Kreuter: Nein. Es ist richtig, das rasch durchzuziehen. Hätte man angekündigt, die Wehrpflicht in zwei Jahren auszusetzen, hätte es Probleme gegeben: Ganze Jahrgänge hätten versucht, die Einberufung zwei Jahre aufzuschieben. Das wäre eine für alle Beteiligten unangenehme Situation.

Die Furche: Zuletzt gab es jährlich etwa 90.000 Zivis. Ab Juli sollen sie durch 35.000 Freiwillige beiderlei Geschlechts ersetzt werden, neben weiteren 35.000, die schon bislang ein "Freiwilliges Soziales Jahr“ (FSJ) absolvierten. Werden Sie die Stellen alle voll kriegen?

Kreuter: Nicht auf Anhieb. Realistischer sind viele Dienstantritte im September, weil die jungen Menschen nach Schulabschluss erst Urlaub machen wollen. Aber zu den Zahlen: Bisher waren es 90.000 Zivildiener für je sechs Monate - wir verlieren 45.000 "Mannjahre“. Die sollen durch 35.000 ersetzt werden, womit die Lücke nicht ganz so groß ist. Die Träger des FSJ sagen seit Langem, sie hätten doppelt bis dreimal so viele Bewerber wie finanzierte Plätze. Nun kommen mehr Leute zum Zug.

Die Furche: Sie fürchten also nicht, dass der Gesundheits- und Sozialbereich diverse Aufgaben nicht mehr erfüllt?

Kreuter: Sie dürfen nicht übersehen, dass Zivildiener arbeitsmarktneutral eingesetzt werden sollten. Das heißt, herkömmliche Arbeitnehmer dürfen nicht durch Wehrersatzdienstleistende eingespart werden, da diese nur zusätzliche Arbeiten verrichten sollen. Wenn jetzt einer sagt, er müsse sein Altenwohnheim schließen, hat der in den letzten Jahren nicht korrekt gehandelt. Aber natürlich könnte manche Leistung wegfallen. Im Altenwohnheim typischerweise Spielnachmittage.

Die Furche: In Österreich wurde für den Fall, dass die Wehrpflicht fällt, statt dem Zivildienst ein Freiwilligendienst für 1300 Euro monatlich vorgeschlagen. Gute Idee?

Kreuter: Für uns kam das aufgrund der Kosten nicht infrage. Außerdem bleibt das Besondere eines Freiwilligendienstes auf der Strecke. So etwas wäre nach unserem Verständnis zu nah an einer klassischen Erwerbsarbeit. Sehr ehrenwert, aber eben etwas anderes als ein Freiwilligendienst. Eine solche Idee war in Deutschland auch aus Sorge vor der internen Gruppendynamik nicht vorstellbar - nach der hiesigen Diskussionslage wäre es schwer zu vermitteln, dass ein "Freiwilliger“ mehr verdient als ein regulärer Auszubildender mit der gleichen Tätigkeit..

Die Furche: Auch ein verpflichtender Sozialdienst für junge Frauen und Männer über einige Monate wird diskutiert. Ihre Meinung?

Kreuter: Den Vorschlag gab es auch bei uns, das war aber keine echte Option. Man muss sich klarmachen, dass ein Pflichtdienst nur funktioniert, wenn er durchgesetzt wird. Und weil es, wie schon bei der Wehrpflicht, immer Leute gibt, die nicht wollen, müsste man die mit der Polizei abholen und einsperren. Und da stellt sich die Frage, ob ein Staat so eine Sanktion androhen darf, nur um sein Sozialwesen billiger zu gestalten.

* Das Gespräch führte Bernhard Madlener

Zur Person

Jens Kreuter (45) ist seit 2006 Bundesbeauftragter für den Zivildienst im deutschen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Der gebürtige Bayer studierte Rechtswissenschaften sowie Evangelische Theologie (Promotion) und ist seit 2000 ausgebildeter Pfarrer. Kreuter ist verheiratet und hat drei Kinder.

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