Abschalten lernen

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Bei Diagnose Krebs suchen viele Hilfe bei einer Beratung. Gespräch mit der klinischen Psychologin der "Krebshilfe Wien".

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Bei Diagnose Krebs suchen viele Hilfe bei einer Beratung. Gespräch mit der klinischen Psychologin der "Krebshilfe Wien".

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die furche: Wieviele Leute kommen denn im Laufe eines Jahres in die Beratung der "Wiener Krebshilfe"?

Karin Isak: Es gibt hier rund 4.000 Kontakte im Jahr. Viele laufen allerdings über das Telephon, einige auch über E-Mail. Aber natürlich gibt es auch viele persönliche Gespräche, etwa zwölf pro Woche. Unsere Aufgabe hier ist, vernetzend zu arbeiten. Ich schicke also etwa jemanden, der eine schwere Depression hat, zur medikamentösen Einstellung zum Psychiater. In einem Erstgespräch gebe ich den Betroffenen ein "Paket" mit, was weiter zu tun ist. Leute, denen es sehr schlecht geht oder die Sozialfälle sind, betreuen wir auch länger.

die furche: Welche Probleme haben Patienten, die während der Chemotherapie zu Ihnen kommen?

Isak: Eine Reihe von ihnen hat große Beschwerden, obwohl das heute zum Teil schon verhindert werden kann. Die Chemo geht auch relativ stark auf die Schleimhäute. Vielen macht der Haarausfall, der meistens eintritt, sehr zu schaffen. Dadurch haben die Patienten Probleme mit dem Körperbild, außerdem fühlen sie sich müde, abgeschlafft. Da geht es also vielfach um physische Zustände, die ein psychisches Unwohlsein mitbedingen. Viele verkraften es auch schwer, anderen Patienten zu begegnen, denen es auch schlecht geht. Dieses Erlebnis färbt oft auf das eigene Befinden ab. Mittlerweile gibt es auch in den Spitälern Hilfe in dieser Situation, etwa Psychologen, die sich bei der Chemo dazusetzen. Aber ebenso wie der Begriff "Krebs" sehr tabuisiert ist, wird auch die Chemotherapie unbedingt mit Erbrechen und Haarausfall assoziiert. Die Patienten gehen in das Geschehen schon mit dem Gefühl hinein: "Um Himmels willen! Es wird furchtbar." Jedenfalls schlägt sich das Geschehen sehr stark auf die Psyche - vor allem wenn der Patient nicht damit gerechnet hat, dass er auch nach der Operation auch noch viele Monate lang behandelt wird.

die furche: Gibt es Probleme auch dann noch, wenn die Behandlung beendet ist, also nach der Chemotherapie?

Isak: Ja, da treten immer wieder Depressionen auf. Von der Diagnose bis zur Beendigung der Behandlung dauert es sehr oft zwischen neun Monaten bis zu einem Jahr. Dann kann es bei der Rückkehr in den Alltag durchaus zu einer depressiven Phase kommen, die etwa auch wieder so lange dauert. Wer das durchmacht, dem würde ich eine ständige Psychotherapie empfehlen. Vielen Frauen tut dann eine wöchentliche Unterstützung sehr gut. Wichtig ist aber zu betonen, dass nicht jeder Fall eine solche Psychotherapie erforderlich machen muss. Vielfach stützt der Bekannten- und Verwandtenkreis sehr gut.

die furche: Und was raten Sie den Ehepartnern in dieser Phase?

Isak: Wenn es diesen auch schlecht geht, was oft vorkommt, dann sollten auch sie Hilfe suchen. In leichteren Fällen kann es reichen, irgendeine Form von Entspannungsübung zu versuchen. Die Angehörigen sind nämlich irgendwie Patienten zweiter Ordnung. Sie müssen lernen abzuschalten. Wichtig ist, dass sie ihr Leben weiterleben, auch eigene Interessen wahrnehmen und sich nicht ganz von der Sorge lähmen lassen. In einen möglichst normalen Alltag zurückzukehren, ist auch die Herausforderung für den von der Krankheit Betroffenen. Aber das dauert Monate. Eines muss man sich klarmachen: Das ganze Familiensystem ist in von einem solchen Geschehen betroffen. Kinder leiden zum Teil entsetzlich, wenn ein Elternteil so schwer erkrankt ist. Wenn sie dann in der Schule mit Versagen reagieren, sollte man wohl auch für sie Hilfe in Anspruch nehmen. Patienten und Angehörige überfordern sich meistens.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

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