Werbung
Werbung
Werbung

Auch das Outing geht mit der Zeit. Früher hatte es seine Heimat in TV-Talkshows, heute im Internet. Dabei kommt seit neuestem der Datenschutz ins Spiel.

Ich habe einen Fehler gemacht und möchte etwas beichten." Selbstkritik - eigentlich eine gute Sache. Wäre der Satz nicht das Motto einer Folge von "Britt", einer nachmittäglichen Talkshow auf SAT1. Denn was geht die Öffentlichkeit das an? Und wieso stellt sich jemand mit sowas einem johlenden Fernsehpublikum?

Gut, dass wir das Schlimmste bereits hinter uns haben. Denn die Daily Talkshows waren ein Kind der Neunziger. Im Jahr 2000 standen sie auf dem Höhepunkt, während die erste Staffel von Big Brother die öffentliche Selbstentblößung in nie geahnte Höhen trieb. Von da an ging's bergab. Heute gibt es nur noch fünf Möglichkeiten zur täglichen Dosis Peinlichkeit zu kommen. Mit "Die Barabara Karlich Show" leistet sich der ORF eine davon. Mittlerweile wird das Programm der Privatsender von Dokusoaps und Gerichtsshows dominiert. Denn seine Seele entblättern kann man längst woanders besser: im Internet.

Der Umbruch passierte 2004. Es war das Jahr, in dem die Ikone der Talkshow-Moderatoren, Arabella Kiesbauer, mit dem Resümee "Wir haben alle Tabus gebrochen" das Handtuch warf und ihre Show beendete. Und es war das Jahr, in dem das Internet in eine neue Phase eintrat. Vom "Web 2.0" war ab nun die Rede. Dank der raschen Verbreitung schneller Internetzugänge begannen immer mehr Leute, am World Wide Web mitzubauen. Aus reinen Konsumenten wurden immer öfter Produzenten. Auf einmal schrieb jeder ein Online-Tagebuch ("Blog") und begann Fotos und kurze Filme von sich zu veröffentlichen. Berichte von Persönlichem fingen an, das Netz zu erobern. So wie einst die Talkshows das Fernsehen.

Die Ära der Daily-Talks erreichte das deutschsprachige Fernsehen 1992 in Person von Hans Meiser und seiner ersten Show. Die Sendung "Britt" - wie alle Daily Talks nach der Moderatorin benannt - ist eine der wenigen, die es heute noch gibt. Ingo Stabler, der Redaktionsleiter von "Britt", sagt über die Motivation der Gäste zur Furche: "Die Leute, die zu uns kommen, wissen einfach keinen Rat mehr, wie sie aus bestimmten Konfliktsituationen herauskommen sollen. In unserer Show wollen sie endlich Gewissheit bekommen." Ulrich Schmitz sieht das etwas anders. Der Kölner Medienpsychologe hat bei der Kandidatenauswahl der Reality-Show "Big Brother" geholfen. "Bei Leuten, die in Talkshows auftreten, kommen viele Aspekte zusammen. Wichtig ist meist die Zeigelust, das Verlangen, im Mittelpunkt zu stehen" (siehe Interview unten).

Die Daily-Talkshows leben von der Authentizität ihrer Gäste. Freud, Leid und Demütigung müssen immer real sein. So versichert auch Stabler: "Wir wollen das wahre Leben abbilden - mit echten Gästen und echten Geschichten."

Dabei verfolgen die Talkshows zwei Wege. Die erste, aggressive Variante hat sich auf das gegenseitige Fertigmachen vor der Kamera spezialisiert. Meist wechseln sich nur wüste Beschimpfungen ab; ein Gespräch kommt selten, ein Handgemenge manchmal zustande. Dagegen kommt die zweite Variante fast bieder daher. Sie konzentriert sich auf Beziehungsprobleme und immer ähnlich klingende Geständnisse vor der Kamera. Auch hier geht es um Emotionen, aber eher um Mitleid, Liebe und Angst. Wie für die aggressive Variante gilt auch hier: Die Gründe zur Teilnahme sind so verschieden wie die Gäste.

Missbrauch des Vertrauens

Es gibt den Patienten, der seine Probleme lösen will, den Möchtegern-Fernsehstar, den Einsamen, den Neugierigen und viele mehr. Die Moderatoren behaupten zwar gern Gegenteiliges, doch die Hoffnungen der Teilnehmer werden oft nicht verwirklicht. Wer Selbstwert gewinnen will, verliert ihn, wer über seine Probleme spricht, macht sich lächerlich.

Vor einigen Jahren begann in Deutschland die Diskussion über die "Neue Unterschicht". Der Fernseh-Entertainer Harald Schmidt machte den Ausdruck "Unterschichtenfernsehen" populär. Die These, die in dieser Diskussion aufkam: Den Leuten, die auf den Bühnen der Talkshows Platz nehmen, geht es meistens nicht gut. Den Zusehern oft auch nicht. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Geheilt wird das Leid dadurch aber nicht, selbst wenn sich die Talkshows um Lebenshilfe bemühen.

Hans Zeger, Datenschützer vom Wiener Verein Arge Daten, benennt das Problem: "Dieser Trend ist für mich ein Ausdruck von Verzweiflung. In einer Welt, die immer komplizierter wird, versuchen die Menschen, ihre Identität zu gewinnen. Das ist früher in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz passiert, doch heute kennen viele ihre Nachbarn nicht mehr oder haben keine Arbeit." Dabei spricht Zeger gar nicht über die Talkshows, sondern das Internet. Das ist inzwischen zur größten Kontaktbörse der Welt geworden. Auf der Suche nach Arbeit, Freunden oder Frau möchte sich jeder gut präsentieren. Auf einschlägigen "social networking" Seiten lassen sich Profile anlegen, auf denen man neben Namen und Geburtsdatum auch Fotos und Hobbys angeben kann. Die Freigabe selbst privatester Informationen passiert oft mit erstaunlicher Leichtfertigkeit. "Was man einmal im Internet veröffentlicht hat, dessen Verbreitung lässt sich nicht mehr kontrollieren", so Zeger. Viele Firmen geben die Namen potenzieller Mitarbeiter mittlerweile in Suchmaschinen ein - und sind von den letzten Partyfotos nicht sehr begeistert.

Für Zeger hat grundsätzlich jeder das Recht, seine Privatangelegenheiten in aller Öffentlichkeit auszubreiten. Die Frage ist nur, ob das immer intelligent und nicht Ausdruck zunehmender Vereinsamung ist. Und ob dieser freiwillige Seelenstrip in Talkshows, Reality-Shows und im Internet nicht der zunehmenden Überwachung den Boden bereitet. Datenschützer Zeger: "Die Leute, die im Internet ihre Daten preisgeben, machen das im Vertrauen, dass sie Leute kennen lernen. Dieses Vertrauen wird von der Politik zunehmend missbraucht, nach dem Motto: Woanders geben die Leute auch ihre Daten her, sie können also nichts dagegen haben."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung