Als wäre Kafka ein Schwarzer
Ayi Kwei Armahs Parabel auf Afrikas Hoffnungslosigkeit.
Ayi Kwei Armahs Parabel auf Afrikas Hoffnungslosigkeit.
Der Roman "Die Schönen sind noch nicht geboren" des im heutigen Ghana (vormals britische Kolonie Goldküste) 1939 geborenen Ayi Kwei Armah gibt eine eindringliche, unvergessliche Antwort auf die Frage, welche Bedeutung der afrikanischen Literatur für Leser außerhalb des Kontinents zukommt.
Der Roman, der bereits 1968 erschienen ist, liegt nun in Übersetzung als Taschenbuch vor. Die Anonymität menschlichen Lebens und menschlicher Verzweiflung bekommt in diesem in der afrikanischen Literatur zum Klassiker gewordenen Werk ein Gesicht, so, als wäre Kafka ein Schwarzer gewesen. Armah hat ein abgrundtief pessimistisches Buch geschrieben, in dem er die hoffnungslose Situation eines Bahnbeamten schildert, die sich in Form von Stimmungen materialisiert, die in der mikroskopisch geschilderten Umgebung des Arbeitsplatzes und der Wohnung ihren Niederschlag finden.
Dabei ist es recht gleichgültig, ob der Schauplatz Ghana, Berlin oder Washington heißt. Nur dass die Ghettos der Ausweglosigkeit im einen Fall Landstriche umfassen und im zweiten "nur" Randgruppen betreffen. Der Dreck ist allgegenwärtig: "Neben dem Holz gab es die Menschen, so viele Hände und Finger, die dem Holz auf seinem Gang zur Verfäulnis halfen. Finger der linken Hand, auf ihrer rücksichtslosen Fahrt von einem rasch abgewischten After über das Geländer hinauf, wenn die Besitzer der Finger aus den Toiletten unten zu den Büros oben stiegen. Finger der rechten Hand, noch feucht vom nicht abgeschüttelten Urinrest und von fadem Schenkelschweiß. Die schwieligen Hände der Boten suchten, nachdem sie ihre Nasen hineingeschneuzt hatten, einen geeigneten Platz, um den festgeriebenen Rotz unterzubringen. Nachmittagshände, nicht ganz sauber gewischt von der Palmsuppe und den Kenkey-Resten. Das Holz würde für immer den Sieg davontragen."
Die Hauptperson bleibt anonym. Sie arbeitet im Zugverkehrs-Kontrollamt, telegrafiert mit weit entfernten Posten über die Abfahrtzeit von Lastzügen. In ihrem Teufelskreis von Nutzlosigkeit, Schulden und neuen Darlehen hinterlässt sogar das Pfeifen des Zuges ein Gefühl anhaltender Traurigkeit. Um überhaupt überleben zu können, gibt es nur die Möglichkeit, in einen anderen Teufelskreis einzusteigen, Bestechungsgeld zu nehmen, um zum Beispiel Frachtzüge früher als geplant einzuschieben. Eine andere Möglichkeit ist, "Brücken abzubrechen und sich an den Früchten des Betrugs gütlich zu tun." Keinen dieser beiden Wege wählt der Held der Geschichte, und so ist er mit den vorwurfsvollen Blicken der Familie konfrontiert.
Hoffnung auf Befreiung existiert nicht, denn nach all den Kämpfen und politischen Versuchen geht es offenbar nur noch darum, den "Weißen näher zu sein": "Männer, die nichts von Politik verstehen, fressen sich voll mit Ideologie, versessen auf den Geldsegen, der dann auf sie herabfällt". Die Schwarzen, die an die Macht kommen, haben einen Lebensstil, der bestürzender ist als das Leben, das die Weißen jemals geführt haben. Aussichtslosigkeit destilliert zu purem Pessimismus: "Es gibt also keinen Unterschied. Keinen Unterschied zwischen den Weißen und ihren Affen, den Juristen und den Kaufleuten und jetzt den Affen der Affen, unseren Parteibonzen. Und wenn ihre Herrschaft zu Ende ist, wird es auch keinen Unterschied geben. Die neuen Männer werden wie die alten sein."
Der als Politiker zu Reichtum gekommene Bekannte des Eisenbahnangestellten muss nach einem Umsturz fliehen, zurück bleibt der anonyme Protagonist mit der Einsicht: "Ob die Fäulnis und die Schwäche nicht doch der ewige Fluch Afrikas waren... Einmal würde sich dieser Tod aller Hoffnungen in der ganzen Welt ausbreiten." Nur eine afrikanische Parabel?
Die Schönen sind noch nicht geboren.
Roman von Ayi Kwei Armah, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2000, 216 Seiten, brosch., öS 218,- / e 15,81 DM 29.80, öS 000,-/e 000,
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