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Mit dem Siegeszug der industrialisierten Landwirtschaft sind traditionelle, einheimische Tierrassen und Pflanzensorten vom Aussterben bedroht. Inzwischen erkennen jedoch nicht nur Nostalgiker deren Wert.

Als vor einigen Monaten Falstaff-Experten im Wiener Nobelrestaurant "Ambassador" zehn Rindfleischsorten verköstigten, reihten sie das Murbodner Rind unter die Allerbesten. Doch der Umstand, dass diese Rasse überhaupt auf den Tellern landen konnte, ist einigen wenigen Idealisten zu verdanken, die an ihren alteingesessenen Tieren auch in den 1960er und 70er Jahren festhielten, obwohl sie als Spinner und Ewiggestrige gebrandmarkt wurden. Erst in den 80er Jahren setzte langsam (auch bei politischen Entscheidungsträgern) ein Umdenken ein. "Diese Rassen sind Kulturgut, denn sie sind seit Jahrhunderten bei uns beheimatet", erklärt Wolfgang Unterlercher, Geschäftsführer des Vereins zur Erhaltung gefährdeter Haustierrassen (VEGH).

Gut Rind braucht Weile

Ebenfalls fast verschwunden waren Kärntner Brillenschafe, Pinzgauer Ziegen, Noriker-Arbeitspferde, Sulmtaler Hühner, Mangalitza-Wollschweine sowie etwa 30 andere gefährdete Haustierrassen. Sie alle verkörpern die Schönheit urwüchsiger Tiere, die in Verbindung zur Natur leben dürfen und noch nicht im Hinblick auf Milch-, Fleisch oder Eierrekorderträge in engen Ställen oder Legebatterien gezüchtet wurden. Die an die heimischen Gegebenheiten optimal angepassten Tiere seien robuste Allrounder, die oft als Arbeitstiere, Milch- und Fleischlieferanten in einem verwendet werden konnten, sagt Unterlercher.

Bei der alljährlichen Wahl des VEGH wurde heuer das Murbodner Rind zur "Rasse des Jahres" gewählt: "Jetzt halten wir österreichweit bei zirka 1.000 Kühen, dazu kommen noch Kälber und Zuchtstiere. Angefangen haben wir bei ein paar hundert", weist Franz Pittermann, Obmann des Vereins der Mubodnerzüchter, auf die Aufwärtsentwicklung hin. "Die Tiere sind langlebig, genügsam und eignen sich durch ihre starken Klauen sehr gut für die Almviehhaltung. Das Fleisch ist feinfaserig und hat durch das langsame Wachstum der Tiere eine hohe Qualität."

Auch der Umstand, dass die Kälber acht bis zehn Monate bei der Mutterkuh bleiben, trägt zur hohen Fleischqualität bei. Seitdem Pittermann Anfang der 90er Jahre vom Fleckvieh auf Murbodner umstieg, seien auch die Tierarztkosten stark gesunken, erzählt er. In den warmen Monaten befinden sich die Tiere auf der Weide, ansonsten bekommen sie "nur das, was bei uns wächst". Auch die Nachfrage der Bauern nach diesen Tieren hat in den vergangenen Jahren so zugenommen, dass sie das Angebot übersteigt. Immer mehr Bauern der Region seien stolz, wieder eine alte, einheimische Rasse in ihrer Herde zu haben. Und auch Gastwirte entdecken diese Kostbarkeiten:

Gastronomisch kostbar

Züchter aller seltenen Tierrassen arbeiten eng mit der ÖNGENE (Österreichische Nationalvereinigung für Genreserven) zusammen, die von der öffentlichen Hand finanziert wird und sich die Bewahrung der Erbanlagen heimischer gefährdeter Nutztierrassen zum Ziel gesetzt hat. Sie erstellte einen Rassenkatalog, führte Bestandsaufnahmen bei gefährdeten Haustierrassen durch und organisierte bundesweit die Zucht nach vorgegebenen Anpaarungsprogrammen, um eine Inzucht möglichst zu verhindern, und legte Samen- und Embryonendepots für die verschiedenen Rassen an.

Ein Teil dieser Maßnahmen stößt allerdings auch auf Kritik: "Grundsätzlich begrüße ich das Generhaltungsprogramm aus kulturellen Gründen und im Hinblick auf die Erhaltung wertvoller Gene für den Fall, dass sich künftig die Umweltbedingungen ändern", erklärt Alfred Haiger, ehemals Vorstand am Institut für Nutztierwissenschaften an der Boku Wien. "Aber man könnte das ausschließlich mit herkömmlichen Zuchtmethoden und in speziellen Fällen unter Zuhilfenahme der künstlichen Besamung machen."

Hitze- und kältefest

Haiger stellte sich vor einigen Jahren der Wahl zum ÖNGENE-Präsident und machte damals klar, dass er strikt gegen das weitere Einfrieren von Embryonen zum Zwecke des Embryonentransfers sei - und wurde nicht gewählt, nicht zuletzt aufgrund dieser Bedingung, wie er glaubt: "Der Embryonentransfer ist Voraussetzung dafür, dass man Säugetiere genmanipulieren kann." Zwar ziehe die ÖNGENE derzeit noch keine gentechnischen Veränderungen bei Tieren in Betracht, aber es sei nicht auszuschließen, dass sich das in Zukunft ändern könnte, warnt der Wissenschaftler.

Ebenfalls der Zucht alter Nutztierrassen hat sich Christoph Wiesner in Göllersdorf bei Hollabrunn verschrieben. Auf dem "Arche-Hof" leben fast nur alteingesessene "Urviecher". Besonders die Mangalitza-Wollschweine haben es dem jungen Bauern angetan: "Durch ihre schwarz-pigmentierte Haut brauchen sie keinen Sonnenschutz, sie können immer im Freien sein und werfen sogar im Winter bei Minusgraden ihre Jungen", beschreibt er die Robustheit der Tiere, die ebenfalls sehr genügsam sind.

Nicht nur das langsame Wachstum habe die Wollschweine europaweit von den Bauernhöfen verdrängt, sondern auch ihr hoher Fettanteil von rund 70 Prozent, erklärt Wiesner. Die Bedenken diesbezüglich seien jedoch meist nach dem ersten Bissen wie weggewischt, verweist der Bauer auf den köstlichen Geschmack dieses Schweinernen. Kein Wunder: Während Mastschweinen heute bereits nach vier Monaten der Garaus gemacht wird, bekommen Mangalitzaschweine rund 18 Monate Zeit zum Wachsen - in der sie es mitunter "saugut" haben: Die Ferkel tollen am Hof und im Kukuruzacker, die Alten dürfen in der Erde wühlen und sich im Schlamm suhlen. Nur bei der Vermarktung stehe man noch am Anfang, meint Wiesner.

Die "Arche Noah", ein Verein in Schiltern, Bezirk Langenlois (NÖ) hat sich auch dem Erhalt alter Genreserven verschrieben: Da geht es hauptsächlich um heimische, traditionelle Pflanzensorten. Sie waren optimal an die Gegend angepasst und lieferten mit ihren relativ sicheren Erträgen Essen rund ums Jahr. Statt der Ertragssicherheit rückte auch beim Obst- und Gemüsebau die Ertragshöhe in den Mittelpunkt des Interesses. So verschwanden Bohnäpfel, Grafensteiner, Speckbirnen, Herztomaten, Braunkohl, Kaffeezichorien und Haferwurzeln wie auch tausende andere Obst- und Gemüsesorten. Von den 3.000 bis 5.000 Apfelsorten, die es in Österreich noch vor 100 Jahren gab, sind einige hundert übriggeblieben, von denen wiederum nur ganz wenige den Weg in den Supermarkt schaffen.

In den 80er Jahren begannen besorgte Hausgärtner und Bauern, Pflanzensamen einzutauschen. Aus dieser Tauschbörse entstand der Verein Arche Noah, dessen Archiv rund 7.000 Sorten umfasst. Viele der Pflanzen können im Schaugarten im Schloss Schiltern noch bis Mitte Oktober besichtigt werden. Samen und junge Obstbäume stehen zum Verkauf.

7.000 Sorten im Archiv

Doch nicht nur im Altgemüse-Eldorado Schiltern haben traditionelle Sorten ihren Platz, sondern auch so mancher Bauer nimmt sich der an die Landschaft hervorragend angepassten Pflanzen an. Einer von ihnen ist Peter Lassnig aus Gänserndorf: Haferwurz, gelbe Rote Rüben und auch einige exotische Arten wie die aus Nordafrika stammende Erdmandel wachsen auf seinem Hof. Der von ihm betriebene höhere Aufwand (u.a. lässt er Pflanzen abblühen, um Samen selbst zu gewinnen) könne sich nur bei Selbstvermarktung und einem angemessenen Preis rechnen, erklärt er. Und unter dem Motto "kulinarische Kindheitserinnerungen auffrischen" laden 14 Waldviertler Gastronomiebetriebe jedes Monat zur Geschmacksexpedition mit alten Gemüse-, Getreide- und Obstsorten. Vom 11. bis 19. September werden beispielsweise (fast) vergessene Bohnen und Zwetschken genussvoll arrangiert.

Die Frage, ob Bauern, die alte Tierrassen halten oder alte Pflanzensorten kultivieren, überleben können, ist für Haiger - jedenfalls was die Tiere anbelangt - leicht beantwortet: "Zum einen ist die staatliche Förderung bedeutend. Zum anderen hat der Konsument eine große Macht: Wenn er bereit ist, angemessene Preise zu zahlen, werden auch diese Bauern von ihren Produkten leben können."

Der Autor ist freier Journalist.

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