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Probleme von Migranten im Pensionsalter wurden bisher wenig beachtet.

Über vierzig Jahre ist es her, dass Max Frisch den Satz formulierte, man habe Arbeitskräfte gerufen und es seien Menschen gekommen. Und hinzufügte: "Sie verzehren nicht unseren Wohlstand, sie sind im Gegenteil selbst ein wichtiger Teil davon."

Viele ehemalige Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter haben mittlerweile das Pensionsalter erreicht, eine Vielzahl von ihnen hat vor, auch das Alter in Österreich zu verbringen. Ein neues Buch, das die Ergebnisse empirischer Forschungen versammelt, liefert nun erstmals für Österreich ein differenziertes Bild der komplexen Lebensverhältnisse von Arbeitsmigranten im Alter.

Die wichtigsten Forschungsergebnisse in Kürze. Erstens: Ältere Migranten sind im Alter mit einer Verdichtung der Problemlagen konfrontiert; kompensatorische Ressourcen wie informelle Stützungssysteme oder kulturelle Orientierungen erleichtern die Lebensführung.

Zweitens: Älterwerden in der Fremde ist durch eine Reihe von Ambivalenzen gekennzeichnet; Hoffnungen und Ängste, Gefühle der Zugehörigkeit und Unzugehörigkeit, Wünsche nach Aktivität und sozialem Rückzug stehen nebeneinander. Drittens: es besteht ein erheblicher Bedarf an interkulturell geöffneten Angeboten; die Einrichtungen der Altenarbeit sind auf die spezifischen Bedürfnisse der älteren Migranten vielfach nicht vorbereitet.

In nahezu allen Lebensbereichen fühlen sich ältere Migranten subjektiv stärker belastet als einheimische Senioren. Es sind vor allem gesundheitliche Beschwerden, die zu schaffen machen. Belastend wirken auch Diskriminierungserfahrungen. Zudem ist der Blick in die Zukunft des Älterwerdens in der Fremde mit Ungewissheit befrachtet. Körperlich verschleißende Erwerbsarbeit und niedrige Einkommen, schlechte Wohnverhältnisse, aber auch psychosoziale Aspekte wie die Trennung von der Familie, Fremdheitsgefühle und soziale Ausgrenzung im Migrationsland bilden Gründe dafür, dass Migranten dem Alter mit Sorge entgegensehen. Unsicherheit besteht besonders in Hinblick auf die fehlende Absicherung bei Krankheit und Pflege.

Eingebettet in verwandtschaftliche und ethnische Bezugsgruppen können gesellschaftliche Marginalität, materielle Nöte und Zukunftssorgen leichter ertragen, aber auch kritische Lebensereignisse bewältigt werden. Traditionelle Wertpräferenzen, die im Alter an Zentralität gewinnen, stützen die Funktion von Verwandtschaft und Familie, weshalb öffentliche Einrichtungen und soziale Dienste meist erst in Anspruch genommen werden, wenn alle anderen Möglichkeiten der informellen Betreuung ausgeschöpft sind. Die ethnisch weitgehend homogenen und familienzentrierten Beziehungsnetze sind jedoch störungsanfällig. Über fragile Netze verfügen insbesondere Hochaltrige und Alleinlebende.

Das Älterwerden der Migranten ist ein Aspekt des allgemeinen Strukturwandels des Alters: eine in ethnisch-kultureller Hinsicht (nach Kriterien wie Sprache, Religionszugehörigkeit, nationale Herkunft) weitgehend homogene Bevölkerungsgruppe wandelt sich zunehmend in ein Mosaik heterogener Lebenswelten.

Auf diesen sozio-demografischen Wandel sind viele Einrichtungen der Altenarbeit noch nicht vorbereitet. Sozialrechtliche Barrieren, aber auch Sprach-und Verständigungsprobleme erschweren den Zugang. Es sind Maßnahmen erforderlich, um institutionelle Barrieren zu erkennen und abzubauen und die Potenziale und Handlungsfähigkeit der Betroffenen zu stärken. Neben der Einrichtung muttersprachlicher Information, dem Einsatz interkulturell qualifizierter Fachkräfte und der Anpassung von Diensten an spezifische (auch kulturelle) Bedürfnisse kommt der aktiven Unterstützung der individuellen und kollektiven Handlungsfähigkeit der Migranten entscheidende Bedeutung zu.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Wien.

Nach der Gastarbeit. Prekäres Altern in der Einwanderungsgesellschaft. Braumüller Verlag, Wien 2006. 249 Seiten, kt., € 24,90

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