"Alte Menschen mit neuen Augen sehen"

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Harald Kubiena, Plastischer Chirurg und Begründer der Initiative "Dem Alter begegnen", über die Sehnsucht nach ewiger Jugend, die Suche nach neuen Körperbildern und den gemeinsamen Blick auf die Schätze des Alters - jenseits aller Pensionsdramatik.

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Harald Kubiena, Plastischer Chirurg und Begründer der Initiative "Dem Alter begegnen", über die Sehnsucht nach ewiger Jugend, die Suche nach neuen Körperbildern und den gemeinsamen Blick auf die Schätze des Alters - jenseits aller Pensionsdramatik.

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Die Demographie lässt keine Zweifel offen: Wir werden immer älter. Doch statt uns über diese neue Langlebigkeit zu freuen, verstärkt sich in der westlichen Welt der Jugendkult: Alter(n) wird als Zumutung empfunden, individuell wie gesamtgesellschaftlich. Die Initiative "Dem Alter begegnen" arbeitet demgegenüber an einer ganzheitlichen und positiven Sicht auf das Altwerden. Ins Leben gerufen wurde sie von Harald Kubiena, Experte für Integrative Wiederherstellende Chirurgie am Krankenhaus Göttlicher Heiland in Wien. Im FUR-CHE-Interview erklärt der 43-jährige Arzt und dreifache Vater, wie sich Altern heute neu denken lässt.

DIE FURCHE: Vor 120 Jahren hat Oscar Wilde im Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" der Sehnsucht nach ewiger Jugend - und ihren Abgründen - ein Denkmal gesetzt. Heute scheint der Stoff aktueller denn je, das Stück "Dorian Gray" ist ein Kassenmagnet im Akademietheater. Mit wieviel Jugendsehnsucht werden Sie als Plastischer Chirurg täglich konfrontiert, Herr Kubiena?

Harald Kubiena: Die Menschen, die zu mir kommen, haben diese Sehnsucht natürlich: schön zu sein, jung zu sein, verwandelt zu werden - im Idealfall zum Guten hin. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob sich alte Menschen tatsächlich nach der Jugendlichkeit zurücksehnen, die sie selbst erlebt haben. Ich jedenfalls sehne mich nicht nach meiner jugendlichen Jugendlichkeit zurück. Insofern ist diese Sehnsucht immer selektiv.

DIE FURCHE: Sie selbst haben die Initiative "Dem Alter begegnen" ins Leben gerufen, die eine "Neudefinition von alt werden" entwickeln will. Worum geht es Ihnen genau?

Kubiena: Wir wollen mit unserer Initiative deutlich machen, dass wir alle diesem Alterungsprozess unterworfen sind - und dass die Frage nur darin besteht, ob wir im Fluss des Lebens mit dem Strom oder gegen den Strom des Alterns schwimmen. Wir können uns dem gemeinsamen wie individuellen Älterwerden nicht entziehen. Was machen wir also aus diesem Geschenk, dass immer mehr Menschen auf ein längeres Leben in Gesundheit und Selbstbestimmung hoffen können? Das ist die Frage.

DIE FURCHE: Sie bieten auf Ihrer Homepage "ganzheitliche Kompetenz in der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper - zwischen Selbstbestimmung und Selbstunterwerfung unter die Imperative von Schönheit und Jugendlichkeit" an. Was heißt das?

Kubiena: Dazu muss man mit einer schwierigen Frage beginnen: Haben wir einen Körper oder sind wir ein Körper? Im Bebrüten dieser Frage steckt auch ein Teil der Antwort. Die Frage ist: Wer unterwirft da wen? Wer ist der Herr in diesem Körperhaus? Wer bildet den Körper, wer sind also die "Bodybuilder"? Und wer gibt die Richtung einer Veränderung vor? Wir sind von einer Flut von Bildern umgeben, von Images. Doch wenn wir den Körper dermaßen an diesen Bildern ausrichten, dann muss man fragen, was das eigentliche Selbst hinter diesem Körper noch wert ist. Viele der Menschen, die zu mir kommen und über die Veränderung ihres Körpers nachdenken, sind sich dieses Dilemmas bewusst. Wir versuchen dann im Gespräch oder bei Bedarf mit Körper-und Psychotherapeuten eine gemeinsame Antwort zu finden.

DIE FURCHE: Die medialen Altersbilder, die uns derzeit geliefert werden, zeigen entweder geglättete Stars oder gebrechliche Körper in Pflegebetten. Bilder von glücklichen "Lebenssatten" sind rar. Sie wollen neue Alternsbilder entwerfen. Wie kann das gelingen?

Kubiena: Wir können uns der Bilderflut nicht entziehen, aber wir wollen einladen, alte Menschen mit neuen Augen zu sehen. Es kann auch ganz heilsam sein, eine andere Sinnesperspektive einzunehmen - etwa die körperliche Berührung oder auch die Wahrnehmung von Beziehungsfarbwelten. Ich glaube, dass es da sehenswerte Bilder gibt, die man nicht unbedingt mit den Augen sieht.

DIE FURCHE: Leopold Rosenmayr, mittlerweile 90-jähriger Doyen der Alternsforschung, hat Ende Jänner im Interview mit dem "Presse-Spectrum" gesagt: "Man müsste den Mut haben, den Menschen zu sagen: Das Älterwerden ist kein Vergnügen". Er selbst habe die Beschwerlichkeit des körperlichen Daseins unter- bzw. die geistige Leistungsfähigkeit überschätzt

Kubiena: Auch ich habe niemanden gefunden, der es als schön bezeichnet, den Alterungsprozess am eigenen Körper mitzuerleben oder sich dabei zu beobachten, wie soziale Bindungen verschwinden und geliebte Menschen wegsterben. Worum es aber geht, ist, das Potenzial zu heben, das von diesen Gebrechlichkeiten verschüttet ist. Das kann schon darin bestehen, dass eine 25-jährige Krankenschwester einer 95-jährigen Frau einen roten Lippenstift aufträgt und ihr dadurch zu ungeahnter Vitalität verhilft. Insgesamt geht es darum, die Vereinzelung im Alter aufzubrechen und ein neues "Wir" hineinzubringen. Das erleichtert nicht nur den Alternsprozess, dadurch entsteht auch ein Pool an wertvollem Erfahrungswissen, den auch Junge anzapfen können.

DIE FURCHE: Gibt es dafür Beispiele? Kubiena: Ja, aus der Bedürftigkeit alter Menschen im Umgang mit den Verrichtungen des Alltags einerseits und der Neugier junger Softwareentwickler andererseits sind etwa am "Austrian Institute of Technology" (AIT) altersgerechte Assistenzsysteme für ein selbstbestimmtes Leben ("Ambient Assisted Living") entstanden. Solche Win-Win-Situationen zu entwickeln, ist eine der Aufgaben unserer Initiative.

DIE FURCHE: Sie fahren zusätzlich auch vier Mal jährlich zu Operationseinsätzen in Krisengebiete und Entwicklungsländer. Hat das Ihren Blick auf das Altern verändert?

Kubiena: Natürlich. Wenn ich aus Westafrika komme, wo Kinder auf Grund von Gesichtserkrankungen ausgestoßen werden oder das Erstgebärendenalter bei unter 15 Jahren liegt, erscheinen mir unsere "Probleme" als Chancen. Zugleich erlebe ich in anderen Kulturkreisen großen Respekt vor den Älteren - also vor jenen Menschen, die durch alle Täler durchgegangen und als Troubleshooter ihres Lebens herausgekommen sind. Diese Alten sind dort vielleicht auch deshalb eine Kostbarkeit, weil sie so selten sind. Bei uns, wo es eine Fülle an Alten gibt, verstellt das Gedränge rund um Themen wie Pensionssicherung und Pflegenotstand die Sicht auf diese Schätze. Deshalb schlage ich vor, dass wir einander die Räuberleiter machen und drüberschauen. Aber das geht eben nur gemeinsam.

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