Alter schützt vor Arbeit nicht

Werbung
Werbung
Werbung

Wie der hohen Anzahl an Invaliditätspensionen beizukommen wäre, ist bekannt. Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt schleppend, obwohl sie dringend ist.

Die "Aktivität und Gesundheit im Alter sind nicht nur für unsere Bürger sowie für die Tragfähigkeit unserer Sozialsysteme von zentraler Bedeutung. Sondern sie bergen auch ein großes Potenzial für die Wirtschaft.“ John Dalli, EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, sieht in der Alterung der Bevölkerung eine der größten Herausforderungen Europas. Alarmiert wurden Dalli und andere durch den für die Wirtschafts- und Finanzminister der EU erstellten "Ageing Report“.

Verdoppelung der Älteren

Die Zahl der EU-Bürger im Alter von über 65 Jahren wird sich von heute 87 Millionen bis 2060 auf 148 Millionen verdoppeln. Um die Systeme und die Menschen darauf vorzubereiten wurde in Brüssel, charakteristisch genug, umgehend die "Europäische Innovationspartnerschaft für aktives und gesundes Altern“ geschaffen.

Ein Plan listet Aktionen für Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf, dieser Tage wurden konkrete Maßnahmen vorgestellt. Sie verfolgen mehrere Ziele: Der Beitrag der älteren Mitbürger zur Gesellschaft soll den Druck auf die Sozialsysteme verringern und letztlich zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beitragen.

Die Kritik der Bürgerferne der EU hat man sich offenbar zu Herzen genommen: die EU-Kommission startet jetzt im April einen Internet-basierten "Marktplatz für innovative Ideen“ (ec.europa.eu/active-healthy-ageing). Diese interaktive Online-Plattform soll helfen, Partner zu finden, Netzwerke aufzubauen, "good practices“ auszutauschen und Ideen sowie Expertise rasch zu verbreiten. José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission fordert: "Wir brauchen Innovationen, um Europa auf einen Pfad des Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen zu bringen und um die Herausforderung unserer alternden Gesellschaft zu bewältigen. Die Innovationspartnerschaft soll Schubladendenken überwinden, Hindernisse beseitigen und Ergebnisse liefern, die für unsere Bürger und Unternehmen wichtig sind.“

Die neue Innovationspartnerschaft will einer weiteren Kritik der EU, namentlich jener an der Undurchschaubarkeit des Förderwesens, entgegentreten. Alle Förderinstrumente mit dem Ziel "mehr Aktivität im Alter“ sollen zusammengeführt werden. Ansatzpunkte dazu gibt es mehrere: Basis sind das Europäische Programm für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP), das 7. Forschungsrahmenprogramm und der Aktionsplan Gesundheit und Gesundheitsdienstleistungen.

Bundesplan für Senioren

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Neelie Kroes, forderte "alle Akteure auf, die mit dem demografischen Wandel verbundenen Herausforderungen direkt anzugehen“. Genau das hat Österreich versucht zu tun.

Der von Sozialminister Rudolf Hundstorfer im Jänner durch die Koalition geschleuste "Bundesplan für Senioren und Seniorinnen“ trudelte im März im Parlament ein. Ziel des Projektes: "Österreich auf die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die sich durch den demografischen Wandel ergeben, vorbereiten und die entstehenden Chancen bestmöglich nutzen“, so Hundstorfer.

Die Kapitel erfassen die gesellschaftliche Partizipation älterer Menschen ebenso wie die ökonomischen Lage, den Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung. Im Kapitel "Ökonomische Lage, soziale Differenzierung und Generationengerechtigkeit“ tritt der Bundesplan explizit für eine Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters durch längeren Verbleib im Arbeitsleben ein, bleibt dann allerdings allgemein.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssten arbeitsmarktpolitische Instrumente entwickelt und Anreize für längeres Arbeiten durch ein Maßnahmenpaket - vom Bewusstseinswandel und einer "gesunden Arbeitswelt“ bis hin zu Änderungen im Pensions- und Arbeitsrecht - geschaffen werden. Als besonders bedeutsam gilt die Entwicklung von alters- sowie generationengerechten Arbeitsbedingungen und betrieblichen Gesundheitsstandards.

Dazu präsentierte Sozialminister Hundstorfer das Arbeits- und Gesundheitsgesetz "fit2work“: Dieses wurde bei der Regierungsklausur in Loipersdorf beschlossen und ist in Umsetzung. Ziel ist die Beratung bei gesundheitlichen Problemen am Arbeitsplatz, um Arbeitsunfähigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Das Arbeitsmarktservice, die Sozialversicherung, das Bundessozialamt und Arbeitsinspektion werden darin zu Kooperation verpflichtet. Wie notwendig dies ist und wie wirksam dies sein kann, belegen Studien und Erfahrungen aus Daten und Taten in Oberösterreich.

Wie das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) aus den Daten der Gebietskrankenkasse Oberösterreich analysierte, sind spätere Invaliditätspensionisten schon Jahre vorher kränker als andere Personen. Unselbstständig Beschäftigte, die eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension in Anspruch nehmen, suchten bereits in den sechs Jahren davor deutlich häufiger den Arzt auf, erhielten öfter und mehr Medikamente, waren auch häufiger in stationärer Krankenhauspflege.

Andreas Khol, Obmann des Seniorenbundes, reagierte umgehend auf diese vor wenigen Tagen durch das Wifo veröffentlichte Analyse: Da die Warnsignale für Invaliditäts-Pensionierungen schon lange vor Pensionsantritt vorlägen, solle noch im heurigen Sommer "endlich ein Frühpensionsmonitoring eingeführt werden“, forderte Khol. In diesem Monitoring sollten "alle Ursachen, Begründungen, Befundungen, Alter, Art der Erwerbstätigkeit, Branche, Unternehmensgröße und Region erfasst“ und dann "quartalsweise anonymisiert veröffentlicht werden.“ Nur wenn diese Eckdaten bekannt seien, könnte zielgerichtete Maßnahmen gesetzt werden. Das würde es möglich machen, das "fit2work“-Programm bundesweit umzusetzen.

Das Land Oberösterreich zeigt, wie es gehen könnte. Die Landesregierung startete heuer im Februar ein Coaching, um Ältere länger in Arbeit zu halten. Es wurde konkret geholfen: Eine alleinerziehende Frau erhielt vor dem drohenden Burnout praktische Hilfe, ihr Netzwerk auszubauen, um so Entlastung zu erhalten. Taxilenker, die unter einem Mangel an Toiletten litten, können kostenlos Toiletten in Gastronomiebetrieben nutzen. In einem Handwerksbetrieb wurden die Anforderungen an Ältere gesenkt: Der Druck auf sie wurde gemindert, doch ihre Erfahrung hat die geringere Leistungsfähigkeit bereits wettgemacht.

Vorkehrung lohnt, nicht nur im Einzelfall: Während in der OECD der Anteil an Invaliditätspensionen bei 13 Prozent liegt, beträgt er in Österreich 30 Prozent. Frühpensionisten haben zudem eine verminderte Lebenserwartung, ergab eine Analyse von Daten österreichischer Männer durch die Universität Zürich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung