"Am Zug sind jetzt die Arbeitnehmer"

19451960198020002020

Erhöhtes Karenzgeld, Abfertigung auch bei Selbstkündigung, Beschäftigung für Jugendliche, aber auch für ältere Arbeitnehmer sind Anliegen von Alfred Gajdosik, der unlängst Walter Schwimmer als ÖAAB-FCG-Fraktionschef in der Wiener Arbeiterkammer ablöste.

19451960198020002020

Erhöhtes Karenzgeld, Abfertigung auch bei Selbstkündigung, Beschäftigung für Jugendliche, aber auch für ältere Arbeitnehmer sind Anliegen von Alfred Gajdosik, der unlängst Walter Schwimmer als ÖAAB-FCG-Fraktionschef in der Wiener Arbeiterkammer ablöste.

Werbung
Werbung
Werbung

dieFurche: Welche Hauptziele haben Sie als Politiker?

Alfred Gajdosik: Meine Zielsetzung ist es, Menschen zu helfen. Mir geht es darum, in der Arbeiterkammer Besserstellungen für die Arbeitnehmer zu erreichen. Um drei Themen zu nennen: Mir geht es um das Modell Abfertigung plus, um die Jugendarbeitslosigkeit und die Einbindung der Schulabgänger in den Beruf sowie um die Eindämmung der Langzeitarbeitslosigkeit.

dieFurche: Die bündische Struktur der ÖVP gilt nach Wahlniederlagen immer als ein großes Problem dieser Partei. Sehen Sie das auch so?

Gajdosik: Ich meine, daß wir sehr wohl Bünde brauchen. Es gibt überall verschiedene Interessenvertretungen. Der ÖAAB setzt sich speziell für die Arbeitnehmeranliegen ein und ist einer der wichtigsten Bünde. Die Volkspartei kann nur dann Wahlen gewinnen, wenn sie eine Arbeitnehmerpolitik macht. Dazu braucht sie den ÖAAB. Dieser hat seine Sozialkompetenz gerade in der letzten Zeit bewiesen: Lange bevor die Lohnsteuerreform der SPÖ begonnen hat, hatten wir ein Papier vorgelegt. Das hat erst die Sozialisten wachgerüttelt. Oder das beschlußfertige Papier zur Abfertigungsfrage oder das Paket für ältere Arbeitnehmer. Ich merke in meinen Sprechstunden, daß die Leute wissen, daß wir vom ÖAAB diese Dinge eingebracht haben. Wenn man zu den Leuten geht, mit ihnen spricht, sich um ihre Anliegen kümmert, kann man auch punkten.

dieFurche: Bei den letzten Gemeinderatswahlen in Wien wählten die Arbeiterbezirke vor allem SPÖ und FPÖ. Glauben Sie, daß Ihre Arbeitnehmerpolitik wirklich honoriert wird?

Gajdosik: Das schlägt sich sicher bei Wahlen nieder.

dieFurche: Ist aus Ihrer Position ein Angriff auf die SP-Mehrheit in der Wiener Arbeiterkammer realistisch?

Gajdosik: Derzeit ist es prozentuell so, daß wir 17,9 Prozent haben, interessanterweise habe ich vor zwei Jahren, als Präsident Tumpl gewählt wurde, als Gegenkandidat 40 Prozent der Stimmen bekommen. Das beflügelt mich schon, und ich glaube, daß hier sicherlich für die Wahlen im Jahr 2000 nicht nur einiges drinnen ist.

dieFurche: Streben Sie ein Mandat im Gemeinde- oder im Nationalrat an?

Gajdosik: Meine Hauptrichtung ist eindeutig die Arbeiterkammer. Ich bin der Meinung, man sollte nur einen Job machen und den ordentlich. Ich habe begonnen als Vizepräsident, als einer von vier. Aber ich bin der einzige, der Sprechstunden abhält. Ich möchte mich auf diese Aufgabe konzentrieren.

dieFurche: Am ÖVP-Modell "Karenzgeld für alle" haben vor allem Arbeitnehmervertreter Kritik geübt. Wie stehen Sie dazu?

Gajdosik: Das Karenzgeld soll wieder auf zwei Jahre erhöht werden. Das ist die wichtigste Zeit, in der das Kind eine Mutter braucht. Man kann über Karenzgeld für alle reden, nur kommt es darauf an, wie man es finanziert. Das muß man durchrechnen. Der Familienlastenausgleichsfonds ist eigentlich nicht dazu da. Das ist Sache der Arbeitslosenversicherung.

dieFurche: Sind Ihnen also zwei Karenzjahre wichtiger als eine Valorisierung oder Karenzgeld für alle?

Gajdosik: Die Höhe des Karenzgeldes gehört schon längstens valorisiert. Seit 1986 wurde es das letzte Mal erhöht. Wir liegen derzeit bei einem Betrag von 5.900 Schilling, bei Alleinstehenden sind es 7.800. Das zu valorisieren, ist für mich weitaus wichtiger als das Karenzgeld für alle. Ein für mich denkbarer Zeitpunkt wäre der Beginn der Steuerreform am 1.1. 2000.

dieFurche: Sie haben ein Modell erarbeitet, Abfertigungen auch bei Selbstkündigung zu gewähren ...

Gajdosik: Das ÖAAB- sprich ÖVP-Modell wurde mit der Wirtschaft akkordiert. Es wäre unterschriftsreif. Offen ist nur ein Punkt: Die Saisonarbeiter. Hier gibt es Gespräche auf höchster Sozialpartnerebene mit der Regierung.

dieFurche: Kürzlich erregten Sie mit Kritik am Arbeitsmarktservice (AMS) Aufsehen ...

Gajdosik: Einige Arbeitsämter arbeiten sehr gut, einige verwalten nur und vermitteln nicht. Das Berufsförderungsinstitut hat 180 Millionen Schilling für Umschulungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt bekommen, Räume angemietet, Lehrer geholt, bekommt aber keine Leute vom Arbeitsamt für diese Umschulungen. Das sind Dinge, die ich dem AMS ankreide.

dieFurche: Teilen Sie Befürchtungen, daß in Zukunft nur noch eine Minderheit einen fixen Arbeitsplatz haben wird?

Gajdosik: Ich glaube sehr wohl, daß die zukünftige Generation einen Arbeitsplatz haben wird, aber einen anderen als heute. Allein bis zum Vorjahr haben wir 29 neue Lehrberufe geschaffen: EDV-Kaufmann, Solartechniker, Gruppenlehrberufe wie den Möbelinstallateur. Man wird nicht mehr 40 Jahre in seinem Beruf bleiben können, wird zwei- bis dreimal umlernen müssen.

dieFurche: Von den Arbeitnehmern wird heute ständig Flexibilität und Mobilität gefordert. Was ist von den Arbeitgebern zu fordern?

Gajdosik: Ich kreide den Unternehmen sehr stark an, daß die Löhne sinken. Es gibt viele Fachkräfte, die nicht genommen werden. Jeder Betrieb versucht, ungeschulte Leute einzustellen, um weniger zahlen zu müssen. Kollektivvertragslöhne werden in Wahrheit unterlaufen. Ein Phänomen, wo ich momentan kein Rezept weiß. Wenn die Betriebe das noch lange spielen, wird es bald keine Fachkräfte mehr geben. Wenn man von unserem bewährten System abgeht, befürchte ich, daß wir ein System a la Amerika bekommen.

Es bedeutet nichts anderes als Taglöhner, Wochenlöhner, geringfügige Beschäftigung. Das läßt sich nicht nach Europa umlegen Da muß man die Unternehmen einbremsen, nicht nur in Österreich. Das gehört auf europäischer Ebene gemacht.

dieFurche: Erwarten Sie eine Arbeitszeitverkürzung?

Gajdosik: Es wird sicher zu einer Arbeitszeitverkürzung kommen. In Wahrheit haben wir sie ja durch die Zunahme von Teilzeitbeschäftigungen, die vielen aushilfs- und tageweisen Beschäftigungen. In fünf bis acht Jahren wird es zu einer Arbeitszeitverkürzung kommen, aber nicht durch einen Generalkollektivvertrag wie in Italien und Frankreich. Die sagen, ab 1. 1. 2000 gibt es für alle Branchen eine 35 oder 32 Stundenwoche. Das wäre falsch. Man muß das branchenweise in Kollektivverträgen verhandeln.

dieFurche: Müssen heute nicht viele, oft auch unbezahlt, Überstunden machen, während andere keinen Job haben?

Gajdosik: In Wahrheit gehört ein Überstundenverbot. Durch die Flexibilisierung und Durchrechnungszeitraummodelle, die beim Handel bis zu einem halben Jahr gehen, gibt es in Wahrheit keine Überstundenbezahlung mehr. Alles kann ausgeglichen werden. Ich glaube, daß es im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes mehr als genug für die Wirtschaft gegeben hat. Dementsprechend haben sich die Gewinne erhöht. Wirtschaft und die Industrie stehen so gut wie noch nie da. Jetzt muß auch wieder für die Arbeitnehmer etwas geschehen. Speziell bei Überstunden muß etwas passieren. Wir haben immerhin 250.000 Arbeitslose im Schnitt.

dieFurche: Wie sehen Sie die Problematik der Lehrlinge und der älteren, von Kündigungen in ihrer Existenz bedrohten Arbeitnehmer?

Gajdosik: Was die Lehrlinge betrifft, ist für die Wirtschaft sehr viel passiert: die Stundung der Sozialversicherungsbeträge, die Mitversicherung in den ersten zwei Lehrjahren bei den Eltern, die Befreiung von der Unfallversicherung, der Lehrlingsfreibetrag bis zu 60.000 Schilling. Was soll man noch tun, damit die Wirtschaft bereit ist auszubilden? Obwohl die Statistik anderes aussagt, werden in Wien tatsächlich um 1.100 Lehrlinge weniger ausgebildet als im Vorjahr. Da kann etwas nicht stimmen. Wir stecken also Milliardenbeträge in Förderungen und die Unternehmen sind trotzdem nicht bereit auszubilden. Daher bin ich für ein Modell des Lastenausgleiches: Der Betrieb, der ausbildet, soll Vorteile haben, wer nicht ausbildet, hat zu zahlen. Eine Änderung des gesamten Modells sollte überdacht werden.

Für ältere Arbeitnehmer haben wir das Modell der Altersteilzeit entwickelt: Ältere Arbeitnehmer, die bisher 40 Stunden gearbeitet haben, arbeiten nur mehr die Hälfte, bekommen vom Betrieb auch nur mehr für diese 20 Stunden bezahlt, vom AMS aber 25 Prozent dazu, also bei halber Leistung 75 Prozent des Gehaltes. Für die Pensionszahlungen ist aber der volle Sozialversicherungsbeitrag fällig. Das ist finanzierbar und weitaus billiger als einen Langzeitarbeitslosen, der im Schnitt zwischen 380.000 und 400.000 Schilling kostet, zu bezahlen.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

ZUR PERSON Präsident und Gastgewerbeprofi Geboren ist Alfred Gajdosik 1950 in Mödling, wo er Volks- und Hauptschule besuchte. Es folgten die Berufsschule für Gastgewerbe und Tätigkeiten als Commis und Chef de Rang, Oberkellner und Hotel-Abteilungsleiter. Seit 1985 ist er Ausbildungsleiter für das Service im Mariott-Hotel in Wien. Zwischen 1971 und 1980 war er Betriebsrat im Hotel Sacher und Betriebsratsvorsitzender. Seit 1997 ist er Wiener FCG-Vorsitzender, seit heuer Vorsitzender der ÖAAB-Fraktion in der Wiener Arbeiterkammer. 1993 wurde er zum Vizepräsidenten der AK-Wien gewählt. Gajdosik ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung