Amsterdam dreht das Rotlicht ab

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Die holländische Hauptstadt will weg von ihrem legendären Sex- und Drogenimage. Prostituierte und Bordellbetreiber fühlen sich kriminalisiert.

Ein Plakat, dem man zur Zeit in den Schaufenstern auf den Wallen, Amsterdams weltberühmtem Rotlichtviertel, häufig begegnet: Verführerisch wiegt die Frau im schwarzen Minirock ihre Hand auf ihrem Schenkel und bringt Schultern und Dekolleté geübt ins Blickfeld des geöffneten Autofensters. Hinter dem Lenkrad sitzt allerdings kein gewöhnlicher Kunde: Wer ihr da etwas unbeholfen in den Ausschnitt grinst, ist niemand Geringerer als der Amsterdamer Stadtrat Lodewijk Asscher (siehe kleines Bild unten links). Die Zukunft heißt Straßenstrich, drückt das Plakat aus - und wer dafür verantwortlich ist, das erklärt der Text der Fotomontage: "Vielen Dank, Asscher. Ist es das, was du willst?"

Nun hat der junge Politiker im letzten Winter natürlich nicht alleine beschlossen, dass die Stadt in den nächsten Jahren einen Großteil der Fensterbordelle und zahlreiche Coffeeshops auf dem Kiez dicht machen und durch schicke Boutiquen, Galerien und hochwertige Gastronomie ersetzen will. Seine offensive Ankündigung aber, dass die Zeit vorbei sei, "in der wir den schönsten Teil der alten Innenstadt von Gesindel übernehmen ließen", haben Asscher zum umstrittenen Gesicht dieses Vorhabens gemacht.

Schluss mit Sex-Tourismus

Seine Kollegin Els Iping wählt ihre Worte bedächtiger: "Wir wollen keine Touristen mit etwas anziehen, auf das wir nicht stolz sind", holt die Vorsitzende des Stadtteils Centrum aus, zu dem das Rotlichtviertel gehört, immerhin einer der größten Besuchermagnete Amsterdams. "Und die Touristen, die von den heutigen Wallen angezogen werden, sind nicht unbedingt die, die wir uns wünschen." Schon seit sechs Jahren versucht man daher, die "physische Infrastruktur" aufzuwerten. Der Verkehr wurde beruhigt, die Mauern der Grachten erneuert, Kameras montiert. Zudem soll durchbrochen werden, was die Sozialdemokratin "Monokultur" nennt und mit "40 Coffeeshops in zwei Straßen" näher beschreibt. Dazu nimmt man verstärkt Einfluss auf die Vergabe von Genehmigungen an Unternehmer auf den Wallen. Auf der Grundlage des mit "Bibob" abgekürzten "Gesetzes zur Beförderung von Integritätsbeurteilungen" kann eine Lizenz eingezogen oder nicht verlängert werden, wenn eine "ernste Vermutung" besteht, dass damit jemand Geld mit illegalen Aktivitäten verdient - oder gerade an der Schwelle zur Kriminalität steht. Da Bibob nicht unter das Strafrecht fällt, liegt die Beweislast beim Unternehmer.

Der vage Charakter einer solchen Beurteilung hat Bibob im Amsterdamer Rotlichtviertel schon jetzt zum Unwort des Jahres gemacht. Dabei ist das Gesetz bei seiner Einführung 2003 hier durchaus begrüßt worden, erzählt Wim Boef. Er ist der Sprecher einer Initiative von 80 lokalen Unternehmern, die das Viertel, so wie es ist, erhalten will: "Mit Prostitution, mit Coffeeshops und einfachen Esslokalen. Luxus-Gastronomie funktioniert hier sowieso nicht."

"Nicht Sodom & Gomorrha"

Seine gewählte Ausdrucksweise und dezente Art verliert Boef so schnell nicht. Die Pläne der Gemeinde für die Wallen machen ihn jedoch wütend: "Wenn es hier Formen von Kriminalität gibt, dann sollen sie dagegen vorgehen. Dem stimmen wir völlig zu. Stattdessen kriminalisieren sie das ganze Viertel. Hier ist nicht das Sodom und Gomorrha, das der Bürgermeister bei uns sieht."

Seit die Sanierungspläne bekannt wurden, hätten sich Angst und Unsicherheit bei den Unternehmern breitgemacht, sagt Wim Boef. Wie es weitergehe, wisse niemand. "Jeder hängt an einem Faden, bis sie sagen, wir schneiden ihn durch, und dann war es das. Das ist Kafka an der Amstel - totales ausgeliefert sein!"

"Die Damen sind ihnen egal"

Ihre weitere Strategie will die Stadt erst nach dem Sommer verkünden. Kiez-Urgestein Jan Broers hat jedoch schon eine Vermutung, wohin die Reise gehen wird. "In diesem Jahr wollen sie mit der Prostitution fertig sein, danach kommen die Coffeeshops dran." Seit drei Jahrzehnten vermietet Broers auf den Wallen Zimmer an Prostituierte, dazu betreibt er ein Hotel auf der überlaufenen Hauptstraße. "Wenn ich wirklich anfällig für kriminelle Handlungen wäre, dann könnte ich hier zusperren. In meinem Betrieb wird alles streng kontrolliert, alle Mädchen arbeiten selbstständig. Wenn die Stadtverwaltung hier Probleme lösen will, stimme ich dem zu. Wenn sie renovieren wollen, die Süchtigen und die Dealer rausschmeißen - bitte. Aber wenn das ganze Viertel diesen Stempel bekommt, macht mich das entsetzlich wütend."

Broers, der auch Sekretär des "Kooperationsverbands Fensterprostitution" ist, betont: "Bisher ist noch kein Geschäft wegen Geldwäsche, Frauenhandel oder weil dort Minderjährige arbeiten, geschlossen worden. Aber die Damen sind ihnen sowieso egal." Zum Beweis erzählt er die Geschichte von den Immobilien, die die Gemeinde von der Kiezlegende Charles Geerts kaufte. Nachdem "Dikke Charles", der rund ein Drittel aller Fensterbordelle besaß, vor Gericht den drohenden Entzug seiner Lizenzen verhindert hatte, bot ihm ein Projektentwickler 25 Millionen Euro für seine 17 Häuser - ein Preis, der sich nur rechnet, wenn die Räume zur Prostitution genutzt werden. Bei anderweitiger Nutzung entsteht ein Wertverlust von 15 Millionen, für den aber die Kommune Amsterdam aufkam. "In den 17 Gebäuden", rechnet Broers vor, "gab es 50 oder 51 Fenster. Rechnet man Tag- und Nachtschicht mit, betrifft das 100 Damen, die ihren Arbeitsplatz los sind."

Über die Folgen, die das ambitionierten Stadtentwicklungsprojekt auf die Prostitution hat, stellt die Gemeinde zur Zeit noch Untersuchungen an. Deutlich ist jedoch bereits, dass Prostitution im Sanierungsplan nur eine Nebenrolle spielt, wie Els Iping, die Stadtteilvorsitzende, unumwunden zugibt: "Es geht um Entwicklung, die nur dann möglich ist, wenn die Kriminalität bekämpft wird. Aber die Medien stürzen sich natürlich auf die Prostitution. Wir haben einen sehr breiten Ansatz, aber alle interessieren sich nur für die Huren."

Konkurrenz Internet

Was das Primat des Flächennutzungsplans für die Prostituierten bedeutet, weiß Mariska Majoor, die fünf Jahre lang selbst auf den Wallen gearbeitet hat. "Die Konkurrenz nimmt bereits zu, weil es weniger Zimmer gibt. Dadurch steigen natürlich die Preise, worüber sich wiederum die Kunden beschweren."

Majoor betreibt das "Prostitutions-Informations-Zentrum" direkt bei der Oude Kerk. Das mittelalterliche Gebäude mit seinem pflastersteinbedeckten Vorplatz war nach dem Willen der Gemeinde die längste Zeit von Rotlicht-Vitrinen umgeben. Im April wurden 18 von ihnen geschlossen, deren Betreiber einem Verkauf zugestimmt hat. Dass es auf dem Kiez neben selbstständiger Prostitution, die in den Niederlanden vor acht Jahren legalisiert wurde, auch erzwungene Sexarbeit gibt, bestreitet Majoor nicht. Das Schließen der Bordelle löse das Problem aber ebenso wenig wie die Besitzer auszukaufen. "Für einen Zuhälter bedeuten weniger Fenster nicht, dass er aufhört. Er geht an andere Orte, in andere Städte, mehr und mehr läuft natürlich auch über das Internet."

Kind mit Bad ausschütten

An diesem Punkt setzt auch Metje Blaak von der Prostituierten-Vertretung "De Rode Draad" an: "Bürgermeister Cohen sagt schon seit Jahren, dass gegen Zuhälter vorgegangen werden muss, und da hat er völlig Recht. Aber jetzt nehmen sie sich die Bordellbetreiber vor und schütten das Kind mit dem Bad aus. Sie wollen die Branche beherrschbar machen, aber sie erreichen das Gegenteil, denn die Mädchen werden untertauchen, und die Prostitution geht im Untergrund weiter."

Aus Gesprächen mit rund hundert Frauen weiß Blaak, dass trotz der unsicheren Zukunft keine von ihnen ans Aufhören denke. "Nicht die Selbstständigen und noch weniger die Gezwungenen, denn sie haben große Angst, dass sie irgendwo landen, wo sie völlig außer Sicht sind." Hinter den rot beleuchteten Fenstern der Wallen dagegen seien die Prostituierten sicher, sagt Blaak, die auch aus dem Fach kommt. "In jedem Raum gibt es einen Alarmknopf, und wenn sie den drücken, stehen innerhalb von zwei Minuten alle Bordellbetreiber mitsamt der Polizei vor der Tür, denn im ganzen Viertel geht dann der Alarm an."

Der Autor ist freier Journalist in Amsterdam.

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