Anderen helfen? Das kann Spaß machen!

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2001 ist das Internationale Jahr der Freiwilligen. Traditionelle ehrenamtliche Institutionen klagen über mangelndes Interesse, vor allem die Jungen halten wenig von Ehre und Amt. Doch sie sind deshalb weder egoistisch noch entsolidarisiert, wie ihnen oft vorgeworfen wird. Nur die Formen des sozialen Engagements haben sich geändert.

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2001 ist das Internationale Jahr der Freiwilligen. Traditionelle ehrenamtliche Institutionen klagen über mangelndes Interesse, vor allem die Jungen halten wenig von Ehre und Amt. Doch sie sind deshalb weder egoistisch noch entsolidarisiert, wie ihnen oft vorgeworfen wird. Nur die Formen des sozialen Engagements haben sich geändert.

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Samstagabend. Die festliche Beleuchtung des Dampfschiffes "Schönbrunn" spiegelt sich bunt in der nachtschwarzen Donau. Tülay Tuncel, 18, strahlt. Monatelang haben sie und ihre Mitstreiter von der "Plattform für in- und ausländische Jugendorganisationen" geplant, organisiert und vorbereitet. Heute abend ist es so weit: An Bord der "Schönbrunn", die in Linz vor Anker liegt, steigt der "Friendsball 2000", ein Event, bei dem Jugendliche aller Nationalitäten ebenso wie Einheimische das Tanzbein schwingen werden. "Die meisten der jungen Ausländer waren noch nie auf einem Ball, weil sie die österreichischen Tänze nicht kennen", erzählt Tülay. Um diese Barriere zu überwinden, wurden im Vorfeld Tanzkurse angeboten. "Es macht uns besonders stolz, dass die 18 Mädchen und Burschen, die heute den Ball eröffnen, alle aus dem Ausland stammen".

Die "Plattform für in- und ausländische Jugendorganisationen", in der junge Türken, Bosnier und Afrikaner ebenso wie Österreicher ehrenamtlich mitarbeiten, hat es sich zum Ziel gesetzt, durch gemeinsame Projekte und Veranstaltungen die Integration ausländischer Jugendlicher in Österreich zu fördern. Die erste Veranstaltung war "Friends '98", ein Fest, das unter dem Motto "Für Völkerfreundschaft - gegen Jugendarbeitslosigkeit" stand. 1999 veranstalteten Tülay und ihre Freunde von der Plattform dann "Sport statt Hass". Bei diesem Turnier kämpften Österreicher und Ausländer Seite an Seite um die sportliche Ehre. "Am Anfang war ihnen nicht ganz wohl dabei, gemeinsam in einer Mannschaft spielen zu müssen", erinnert sich Tülay, "aber am Ende haben sie miteinander gespielt, gelacht und sind Freunde geworden."

100 neue Ideen Szenenwechsel. Samstagnachmittag im Karwan-Haus, einem Flüchtlingsheim im neunten Wiener Gemeindebezirk. Die Flüchtlingskinder im Alter zwischen sechs und 15 Jahren warten schon gespannt. Denn jede Woche um diese Zeit kommt eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der American International School (AIS), um sie zu gemeinsamen Aktivitäten abzuholen. "Im Flüchtlingsheim haben die Kinder zwar eine Art Aufenthaltsraum, aber dort ist einfach nicht genug Platz zum Austoben", erklärt Claudia Maaß, Lehrerin an der AIS und Betreuerin des Projektes. "Deshalb gehen die Schülerinnen und Schüler oft mit den Kindern zum Abenteuerspielplatz nach Pötzleinsdorf. Oder sie bringen sie zu uns in den Schulturnsaal, wo sie mit anderen Kindern Fußball spielen können. Sie waren aber auch schon im Kino und im Schwimmbad und sind ins Kindermuseum gegangen."

Die Idee zu dem Projekt stammt von den Schülerinnen und Schülern selbst. "Sie wollten etwas machen, bei dem sie ausländischen Kindern konkret helfen können. Und jeden Samstag kommen sie mit leuchtenden Augen vom Karwan-Haus zurück, und haben schon wieder hundert neue Ideen", berichtet Claudia Maaß. Von den Jugendlichen stammte auch die Idee, die Kinder zu einer Halloween-Party in die Schule einzuladen. "Ich und meine Freundin haben uns um drei kleine Mädchen aus Kolumbien gekümmert", erzählt die 18-jährige Elodie. "Es war eine wundervolle Erfahrung für mich. Ich habe mich wirklich in diese Kinder verliebt! Am Abend hatten sie vor Freude Tränen in den Augen - das war ein unvergesslicher Moment."

Ein Ball auf einem Donaudampfschiff, ein Nachmittag in einem Flüchtlingsheim: Zwei Beispiele von Jugendlichen, die in ihrer Freizeit Aktivitäten setzen, um anderen zu helfen, um "Dienst an der Gesellschaft" zu leisten. Die ohne Entgelt Projekte und Veranstaltungen initiieren und durchführen, weil sie einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben der Völker in Österreich leisten wollen.

Selbstlos? Nein, danke Haben sie also unrecht, die ewig Mahnenden und Jammernden, die vor zunehmender Entsolidarisierung, mangelnder Anteilnahme und dem ungesunden Trend zum Individualismus - ohne Rücksicht auf andere - warnen? Oder handelt es sich bei Tülay Tuncel und ihren Freunden von der Plattform, bei den Schülerinnen und Schülern der American International School wirklich nur um Einzelfälle, die als Ausnahme die Regel bestätigen?

Tatsächlich lässt sich in den traditionellen ehrenamtlichen Strukturen sozialer Arbeit in den letzten Jahren eher ein Rückgang der Mitarbeiter verzeichnen. Vor allem junge Menschen fühlen sich vom herkömmlichen Bild des "Ehrenamtes" nicht mehr angezogen. Der in der Vergangenheit und im religiösen Kontext im Vordergrund stehende Altruismus, selbstlos etwas für andere zu tun, ist ihnen fremd. Dennoch ist die Bereitschaft von Jugendlichen, sich zu engagieren, nach wie vor hoch.

Das wird auch von einer Studie, die im Vorfeld des für 2001 von den Vereinten Nationen ausgerufenen "Internationalen Jahres der Freiwilligen" in Deutschland durchgeführt wurde, bestätigt. Bewusst wurden in diese Studie auch Bereiche einbezogen, die nicht im herkömmlichen Sinn als "Ehrenamt" bezeichnet werden. Und das Ergebnis ist beeindruckend: Bei den 14- bis 24-Jährigen liegt der Anteil der aktiven Freiwilligen mit 37 Prozent sogar über dem Durchschnitt aller Altersgruppen, der 34 Prozent beträgt.

Voraussetzung für das soziale Engagement der Jugendlichen ist laut besagter Studie jedoch, dass die Betätigung sinnhaft und konkret nützlich ist. Das kann auch Claudia Maaß von der American International School bestätigen. "Die Motivation ist dann am größten, wenn die jungen Leute konkrete Projekte verwirklichen können. Die Schülerinnen und Schüler organisieren zwar auch Fundraising-Aktionen, aber am meisten Spaß macht es ihnen, in direktem Kontakt mit den jeweiligen Hilfsbedürftigen zu arbeiten.

Wichtig ist aber auch, dass die Vorbereitungen für die Projekte nicht zu zeitaufwendig sind." Diesen Trend konnte auch Erika Delarich, Koordinatorin für Ehrenamtliche bei der Caritas Wien, beobachten: "Das Potential für soziales Engagement in der Bevölkerung ist auch unter den jungen Leuten riesig. Viele junge Menschen wollen sich jedoch nicht zu intensiv und nicht zu langfristig verpflichten." Deshalb versucht die Caritas, Jugendliche mit kurzzeitigen, überschaubaren Projekten zur Mitarbeit zu motivieren.

Keine Verpflichtung Neben der konkreten Nützlichkeit zählt aber für die Jugendlichen bei ihrer freiwilligen Tätigkeit vor allem eines: Spaß. Tatsächlich rangieren "Spaß haben" und "Mit sympathischen Menschen zusammenkommen" als Motive für freiwilliges Engagement noch vor "Etwas für das Gemeinwohl tun" und "Anderen Menschen helfen". Ob es sich nun um das Internet-Cafe im steirischen Gleisdorf handelt, in dem Lehrlinge, Schüler und Studenten vom Verein kids united! unentgeltlich Dienst tun, oder um einen Benefizabend für AIDS-kranke Kinder in Brasilien, der von Jugendlichen der Young Amnesty International-Gruppe in Wien veranstaltet wird: egal, ob Schülerinnen und Schüler der AIS in einem Obdachlosenheim der Caritas Essen austeilen, oder ob Freiwillige vom Jugendrotkreuz bei einem "Wasserprojekt" in Niederösterreich Geld für ein Brunnenprojekt in Mosambik sammeln: Spaß, Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung dürfen beim sozialen Engagement nicht zu kurz kommen.

Jugendliche sind also durchaus bereit, sich freiwillig zu betätigen. Dabei wollen sie jedoch nicht nur für andere, sondern auch für sich etwas tun. Oder, wie die 16-Jährige Sarah von der AIS ihre Teilnahme am Projekt im Flüchtlingsheim begründet: "Beide Seiten haben etwas davon, denn alle amüsieren sich und vergessen ihre Probleme. Hier teilzunehmen ist für mich unglaublich erfüllend."

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