Angelika Rudeck - Verspielt: Angelika Rudeck wird am 1.11.1947 in München geboren. Nach diversen beruflichen Stationen und einer Scheidung geht die Mutter eines Sohnes mit ihrem Jugendfreund nach Wien und heiratet mit 50 Jahren zum zweiten Mal. Seit 2010 ist die Pensionistin als „Gelbe Tante“ im St. Anna Kinderspital im Einsatz. - © Mirjam Reither

Angelika Rudeck: "Ich will spielen, nicht gewinnen“

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Jeden Donnerstag ist Angelika Rudeck als "Gelbe Tante“ im Wiener St. Anna Kinderspital unterwegs und packt dort ihre Spieletasche aus. Über die Faszination von Kasperl und Co. in Zeiten medialer Dauerberieselung - und soziales Engagement als Sinnquelle in der Pension.

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Jeden Donnerstag ist Angelika Rudeck als "Gelbe Tante“ im Wiener St. Anna Kinderspital unterwegs und packt dort ihre Spieletasche aus. Über die Faszination von Kasperl und Co. in Zeiten medialer Dauerberieselung - und soziales Engagement als Sinnquelle in der Pension.

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Ein "Memory“ mit Tierbabys, Malstifte und Malblöcke, Seifenblasen, Wörterwürfel, Bausteine, ein guter alter Kreisel, Puzzles aller Schwierigkeitsgrade, UNO-Karten, Polizeiautos, ein gewölbter Smiley, der fast bis an die Decke springt, und dazu die Klassiker "Mensch ärgere dich nicht“ und "Vier gewinnt“: Die bunte Vielfalt, die Angelika Rudeck vor sich ausgebreitet hat, ist verblüffend.

Gleich im Anschluss wird sie alles wieder zusammenpacken und mit ihrer prall gefüllten Umhängetasche nebenan auf die Hals-Nasen-Ohren-Station spazieren. Sie wird sich am Stützpunkt informieren, ob irgendwo besonderer Unterhaltungsbedarf besteht. Und falls dem nicht so ist, wird sie einfach von Zimmer zu Zimmer gehen und mit dem Schalk im Nacken fragen, ob jemand Lust zum Spielen hat.

Jeden Donnerstag von 11 bis 14 Uhr ist Angelika Rudeck auf der HNO-Station und der Internen Abteilung des Wiener St. Anna Kinderspitals als "Gelbe Tante“ unterwegs. "Die Mittagszeit ist sehr günstig“, weiß die 64-Jährige. Während sie mit ihren Spielsachen binnen Sekunden die Aufmerksamkeit der Kinder gewinnt, können die Eltern kurz ihren Kopf auslüften oder in den Speisesaal huschen, um eine Kleinigkeit zu essen.

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Wenn sie zurückkehren, sind nicht wenige von ihnen verblüfft. "Die sind ganz angetan, dass es auch Spiele gibt, bei denen andere Kinder oder Geschwister mitspielen können“, erzählt Rudeck in unverkennbarem Bayrisch. "Viele Eltern kaufen ihren Kindern ja meist Plastikspielzeug mit Batterien.“ Auch der Fernseher laufe oft pausenlos. Eine ihrer ersten Fragen bei einem Besuch laute folglich, ob man das TV-Gerät kurz abschalten oder zumindest leiser drehen könnte. Meist sei das kein Problem. "Nur eine Mutter hat einmal gesagt: Mein Kind kann spielen und fernsehen“, erinnert sie sich. "Da habe ich gesagt: bei mir nicht!“

Zwei Jahre ist es her, dass die drahtige Pensionistin vom Konzept der ehrenamtlichen "Gelben Tanten“ erfahren und sich beworben hat. "Ich wollte etwas Sinnvolles tun und mich nicht nur mit mir selbst beschäftigen“, sagt sie über ihre Motivation. Besondere Kenntnisse benötigte sie dazu keine: In Fortbildungen hat sie - wie alle anderen 20 "Gelben Tanten“ - gelernt, dass sie keine medizinischen Tätigkeiten vornehmen und die Kinder auch nicht eigenmächtig füttern darf. Spielen, erzählen und trösten darf sie hingegen nach Herzenslust.

Kasperlek - Kasperlek: Die grün-rote Handpuppe ist die Attraktion in Angelika Rudecks Repertoire – und vermag fast alle Kinder aufzuheitern. Bereits vor Jahrzehnten hat sie den Kasperlek („kleiner Kasperl“) in Prag gekauft. - © Mirjam Reither
© Mirjam Reither

Kasperlek: Die grün-rote Handpuppe ist die Attraktion in Angelika Rudecks Repertoire – und vermag fast alle Kinder aufzuheitern. Bereits vor Jahrzehnten hat sie den Kasperlek („kleiner Kasperl“) in Prag gekauft.

Die Freude am Spiel und die Liebe zu Kindern hat Angelika Rudeck von klein auf erlebt. 1947 in München geboren, zieht sie mit ihren Eltern und der Schwester bald von der ausgebombten Stadt hinaus in den Chiemgau. Hier, mitten auf dem Land, wohnt sie "sieben herrliche Jahre lang“ in einer trutzigen Raubritterburg, in der auch viele Flüchtlingsfamilien aus dem Osten untergekommen sind. "Wir waren Kinder aller Altersgruppen, sind einfach rausgelaufen und haben uns unsere Spielsachen selber gemacht“, erinnert sich Rudeck. "Diese Möglichkeiten haben viele Kinder heute nicht.“

Ihr späterer Wunsch, einmal Kindergärtnerin zu werden, sollte sich freilich nicht erfüllen. Zu dringend wird sie in der Firma des Vaters als Sekretärin gebraucht. Mit 21 heiratet sie, bekommt später einen Sohn, zieht fort aus München und nimmt noch eine Pflegetochter auf. Jahrelang arbeitet sie im Unternehmen ihres geschäftstüchtigen Mannes mit und entfremdet sich dabei zunehmend von ihm. Als sie 40 Jahre alt ist, kommt es schließlich zur Scheidung.

Viele Eltern kaufen ihren Kindern hauptsächlich Plastikspielzeug mit Batterien. Die sind ganz angetan, dass es auch Spiele gibt, bei denen andere Kinder oder Geschwister mitspielen können.

Angelika Rudeck

Zufriedenheit im Beruf wird sie erst fünf Jahre später finden: als Sekretärin in einer Privatklinik am Chiemsee. Und als ihr Jugendfreund aus Wien zu einer Familienfeier kommt, findet sie auch privat ihr Glück. Mit fast 50 Jahren heiratet sie zum zweiten Mal und übersiedelt nach Wien.

Hier wagt sie einen Neuanfang, baut mit ihrem Mann ein Haus und findet einen Job als Sekretärin bei einem Rheumatologen. Mit 60 geht sie schließlich in Pension und beginnt, sich vermehrt um die älteren Damen in ihrer Nachbarschaft zu kümmern. Doch als sie von den "Gelben Tanten“ hört, spitzt sie die Ohren. Der Rest ist Geschichte.

"Kinder, die lachen oder spielen, die vergessen eben ihren Schmerz“, sagt sie strahlend. Noch wichtiger sei freilich, dass die Begleitung der kleinen Patientinnen und Patienten durch ihre Mütter (oder seltener Väter) im Krankenhaus mittlerweile Standard geworden sei. Sie selbst habe ihren damals vierjährigen Sohn bei einer Polypenoperation noch allein lassen müssen. "Das wirft er mir heute noch vor“, erzählt Rudeck.

Gnadenlose Ehrlichkeit

Doch was ist es eigentlich, was sie an Kindern fasziniert? "Es ist ihre Ehrlichkeit, auch wenn sie einem Dinge um die Ohren hauen, wo man schlucken muss“, sagt die zweifache Großmutter. Jeden Sommer hat sie am Chiemsee längere Zeit Gelegenheit, diese Offenheit auszukosten - und nach Herzenslust zu spielen. Auch mit ihren Freundinnen und Freunden lebt sie ihre spielerische Ader aus. Zuletzt hat sie beim Ski-Urlaub gewutzelt, Karten gespielt und ein neues Gesellschaftsspiel ausprobiert: "Beim Spielen geht es mir vor allem um die Kreativität, den Spaß und die Gemeinsamkeit“, sagt die "Gelbe Tante“ aus Bayern: "Das Gewinnen ist mir eigentlich wurscht.“

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