Angst und Sehnsucht: unser Meer?

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Das Mittelmeer - wieder einmal im Gespräch. Mare nostrum. Oder vielleicht doch besser: mare vestrum? Beim Blick auf die überladenen Boote verbreitet sich das Gefühl, dass uns doch nur die europäischen Küstengewässer etwas angehen sollten; Afrika werden wir nicht retten, das ist viel größer als Europa. Andererseits verträgt es das sensibilisierte europäische Bewusstsein nicht so recht, beim Ertrinkungstod von Tausenden von Flüchtlingen tatenlos zuzusehen. Also hat die Politik ein Problem: Sie muss so tun, als würden nun tatkräftig Maßnahmen in Gang gesetzt.

Die Wahrheit ist: Es herrscht Ratlosigkeit. Natürlich ist es ein Skandal, dass Maßnahmen nicht koordiniert, Flüchtlinge in Europa nicht angemessen verteilt und die Angekommenen unwürdigst behandelt werden. Aber das löst nicht das Grundproblem: Wie viele nehmen wir? Auf der einen Seite: möglichst alle, durch gesicherte Überfahrt, gute Behandlung und solide Integration. Bei einer solchen Anreizsituation wäre es unintelligent, wenn sich nicht in den nächsten Jahren viele Millionen Menschen auf den Weg in das "Paradies" machten. Für die Völker Europas dürfte das sozial inkompatibel sein.

Auf der anderen Seite: dichtere Grenzen, Sperren, Zäune, Schlepperbekämpfung - und Lebensrisiko. Das hilft offenbar nicht viel, und allzu anständig ist die Attraktivitätssenkung der Flucht durch hohe Todesraten auch nicht. Freilich gibt es die Standardlösung: in den Emigrationsgebieten so gute Lebensverhältnisse schaffen, dass jeder zu Hause bleibt. Aber davon reden wir schon, seit es Entwicklungshilfe gibt; gerade unter den neuen Lebensverhältnissen wird eine deutliche Verbesserung selbst bei solidem Wachstum nicht gelingen; und die Kriege werden weitergehen. Das Problem ist auf absehbare Zeit unlösbar. Doch darüber schweigt man besser.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz

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