Anstößigkeit und Bedrohlichkeit riskieren

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Ein Modell gegen die Ausgrenzung jener, die zur Reichtumsproduktion dieser Gesellschaft nicht benötigt werden.

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Ein Modell gegen die Ausgrenzung jener, die zur Reichtumsproduktion dieser Gesellschaft nicht benötigt werden.

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Die bürgerlichen, politischen und sozialen Rechte jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers sind von den demokratischen Einrichtungen unserer Gesellschaft zu wahren - egal ob diese Menschen Erwerbsarbeit leisten oder nicht." Diese Aussage hat für das Selbstverständnis von Erwerbsarbeitsgesellschaften wie der unsrigen etwas Anstößiges; weithin akzeptierte Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit scheinen durch solche Forderungen bedroht. Die Anstößigkeit und das Bedrohungsgefühl sind aber zu riskieren - gerade von gesellschaftlichen, insbesondere kirchlichen Gruppen, die Fragen der sozialen Sicherung und ihrer Rahmenbedingungen nicht mit der Pragmatik und Opportunität der Alltagspolitik zu diskutieren brauchen.

Neoliberal-konservative Politik ist gekennzeichnet durch die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Privatisierung öffentlichen Eigentums und den Abbau bestimmter Staatsaufgaben. Unter diesen Rahmenbedingungen besteht die Gefahr, dass soziale Sicherung als ein Instrument zur Ausgrenzung jener Gruppen missbraucht wird, die zur Reichtumsproduktion dieser Gesellschaft nicht benötigt werden.

Die konkrete Sanktionspolitik gegenüber Menschen, die die Integration in den Erwerbsarbeitsmarkt nicht schaffen, nimmt zu. Dies trotz der Tatsache, dass durch die Veränderungen des Erwerbsarbeitsmarktes für immer weniger Menschen exis-tenzsichernde, sozialrechtlich abgesicherte, längerfristige Beschäftigungsverhältnisse erreichbar sind. Auf diese Situation bezieht sich der erste Satz dieses Textes und er ist eine deutliche Warnung, die Krisen des Wirtschaftssystems und der entsprechenden Politik nicht durch Verstöße gegen die Menschenwürde bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu bemänteln.

Diese Situation erfordert eine von Zivilgesellschaft und Staat getragene Auseinandersetzung über neue Formen der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Solche Auseinandersetzungen bieten die Chance, "alte Fehler" in der Ausgestaltung des geltenden Systems sozialer Sicherung zu überwinden: n Neue Modelle der sozialen Sicherung müssen einem erweiterten Arbeitsbegriff entsprechen. Sie müssen auch jene Tätigkeiten existenziell und sozialrechtlich sichern, die gesellschaftlich und ökologisch nachhaltig sind, aber nicht als Erwerbsarbeit organisiert und daher nicht entlohnt werden.

n Neue Modelle der sozialen Sicherung müssen für die Überwindung der bestehenden geschlechterhierarchischen Arbeitsteilung geeignet sein. Das heißt, sie müssen so ausgestaltet sein, dass sie die Verhandlungsmacht von Frauen vor allem im Bereich der partnerschaftlichen, familiären und ehrenamtlichen Arbeit stärken.

n Neue Modelle der sozialen Sicherung müssen grundsätzlich die Selbstbestimmungsmöglichkeit von Menschen stärken, wie sie leben und tätig sein möchten und mit welchen materiellen Mitteln sie dafür auskommen; in welchem Ausmaß und in welcher Art sie erwerbsarbeiten möchten und welchen Lohn sie dafür bekommen wollen. Bewährte Instrumente wie gewerkschaftliche Organisation oder Kollektivverträge werden dadurch keineswegs obsolet.

Das Modell eines voraussetzungslosen, nicht an der Arbeitswilligkeit anknüpfenden Basiseinkommens - in existenzsichernder Höhe, verbunden mit sozialrechtlicher Absicherung - würde diesen Anforderungen eher entsprechen als ein Modell der bedarfsorientierten Grundsicherung, das auf eine Erwerbsarbeitsintegration zu den Bedingungen des Marktes setzen muss.

Ein Modell, das personenbezogen soziale Sicherheit stärkt, ist angesichts der Dynamiken des globalen oder flexiblen Kapitalismus und seiner Ausgrenzungsfolgen dringend erforderlich. Da aber gerade die Logik dieses Wirtschaftssystems ein Basiseinkommen zur "Aussteuerung" nicht geeigneter "Leistungsträger" benutzen könnte, braucht es das Engagement der politischen AkteurInnen, um zu verhindern, dass Menschen durch einen unmoralischen Deal ihr Recht auf umfassende soziale und politische Integration und ihr Recht auf Ausbildung und Zugang zu Erwerbsarbeit mit dem Zugeständnis eines Basiseinkommens einfach abgekauft wird.

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

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