Gemeinsam haben sie ein Buch geschrieben ("Österreich für Optimisten"): Alt-HBP Heinz Fischer und Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl. Beide politisch ganz unterschiedlich imprägniert. Und doch sind sie in zwei Punkten einig: 1. Die "Große Koalition" habe jetzt "schlechte Karten", ja, stehe vor der Trennung. Und 2. Das müsse kein Drama sein, die Befürchtung einer Unregierbarkeit sei überholt.
Punkt 1 sieht die Mehrheit der Österreicher und der Medien ebenso. Tatsächlich war ja die Darstellung der abtretenden Regierung grottenschlecht -und die gegenseitige Aversion der "Partner" nicht zu übersehen. Kern, Kurz &Co. haben auch jedes Interesse verloren, die Wähler noch an gemeinsame Erfolge - die es ja auch gegeben hat -zu erinnern. Seit der Deutschland-Wahl konditioniert sich auch die SPÖ für die Opposition -und HC Strache plaudert bereits über konkrete Ministerämter für sich und Norbert Hofer.
Punkt 2 der Fischer-Leitl-Aussage ist im Licht der Deutschland-Wahl zu hinterfragen. Was zuvor mit der Präsidentenwahl in Österreich und Frankreich und der jüngsten Siegesgewissheit um Angela Merkel erkennbar schien -den Ansturm von Rechtsaußen abgewehrt zu haben -das erweist sich jetzt als voreilig.
Der Einzug der AfD in den Berliner Bundestag hat mehr als ein deutsches Nachkriegstabu gebrochen -an ihrem Siegesgeschrei ("Die politische Korrektheit gehört auf den Misthaufen der Geschichte","Wir werden Merkel jagen" usw.) zerbricht auch manche Polit-Zivilisation. Und Schockstarre hat Europas Hauptquartiere erfasst: Warum ausgerechnet Merkel im Sinkflug -die "Mutter der EU"?
Sehnsucht nach Überschaubarem
So falsch mancher Vergleich auch sein mag -die New York Times hat den Ton künftiger Europa-Wahrnehmung schon vorgegeben: Rechtsextreme wie der Niederländer Geert Wilders, die Französin Marine Le Pen, der Ungar Orbán hätten wieder Unterluft -"und Umfragen zeigen, dass auch Österreichs Freiheitliche demnächst in Regierungsverantwortung auftauchen".
Richtig ist sicher, dass Millionen Bürger Europas nach politischer Veränderung schreien -angetrieben von Überfremdungsangst, Islam-Abwehr, EU- und Globalisierungskritik. Dass die Sehnsucht nach alten Gewissheiten, nach Überschaubarem und Nationalem wächst.
Unter diesen Vorzeichen wird überall dort, wo bürgerliche Parteien zuletzt zur linken Mitte gerückt sind, ein wachsender rechter Rand frei. Da hilft kein Kanzler-Bonus, kein Appell an Humanität und an die Unausweichlichkeit einer europäischen Zukunft. Eine düstere Perspektive: Noch erspart uns ausgerechnet der Türke Erdogan den Blick auf das Heer von Verzweifelten. Wie lange noch?
Europas Führer werden die Rücksicht auf die äußerste Rechte nicht mehr aus ihren Gehirnen bringen und sich neu "verkaufen", wenn sie gefährlichere Konflikte vermeiden wollen.
Wenig Raum für Optimisten.
Europas Führer werden die Rücksicht auf die äußerste Rechte nicht mehr aus ihren Gehirnen bringen und sich neu 'verkaufen', wenn sie gefährlichere Konflikte vermeiden wollen.
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