Arbeit in der Fremde

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6.900 Menschen pendeln aus dem Bezirk Hartberg in die Arbeit. Zurück bleiben Frauen, Kinder und viele soziale und familiäre Probleme.

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6.900 Menschen pendeln aus dem Bezirk Hartberg in die Arbeit. Zurück bleiben Frauen, Kinder und viele soziale und familiäre Probleme.

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Mittwoch abend, Sportplatz in Grafendorf bei Hartberg: Nach dem Fußballtraining geht Trainer Bernhard Winkler mit seiner Mannschaft noch auf ein Bier. Lange wird er nicht bleiben. Morgen in der Früh muß er nach Wien. Denn morgen wird er wieder für die Wiener Linien als EDV-Techniker in der Zentrale arbeiten. Seine Mutter, Maria Winkler, wird bis zur Abfahrt die Wäsche gewaschen und die Jause gerichtet haben, denn "das Wiener Brot mag er nicht".

Maria Winkler packt seit 30 Jahren die Jause ein. Zuerst für den Mann und jetzt für den Sohn. Beide pendeln zur Arbeit nach Wien. So wie sie richten auch ihre beiden Schwägerinnen die Reisepakete für deren Männer. "Das Pendeln, das war schon immer so, die Kinder haben nie etwas anderes gekannt," erzählt die Mutter von drei Kindern. Den Mann hat sie vor allem am Wochenende gesehen: "Schon bevor wir uns kennengelernt haben, hat mein Mann schon am Bau in Wien gearbeitet." Jeden Montag um 4.30 Uhr läutet der Wecker, und bald darauf kommt der Firmenbus und holt den Ehemann ab.

Der Bezirk Hartberg im Osten der Steiermark, Heimat des steirischen Apfels und der warmen Wässer in den Thermen, hat die höchste Pendlerrate der grünen Mark. Beinahe jeder Dritte pendelt über die Landesgrenzen. 6.900 Arbeitnehmer: 3.000 pendeln wöchentlich, 500 täglich nach Wien, 400 arbeiten im Ausland. Nur der Bezirk Murau weist eine ähnlich hohe Pendlerrate auf, sonst liegt sie in der Steiermark unter zehn Prozent.

Die meisten Auspendler sind Männer. "Den Frauen bleiben die Versorgungspflichten", erklärt Günter Müller vom Arbeitsmarktservice (AMS) Hartberg. Er kennt nicht nur die Pendlerstatistiken. Er weiß auch von den Auswirkungen der hohen Pendlerrate: "Wenn von den Beschäftigten ein Drittel unter der Woche nicht zu Hause ist, wirkt sich das auf das Vereins- und vor allem auf das Familienleben aus."

Das Geld, das Maria Winklers Ehemann in Wien verdient hat, ist in den Bau des Hauses in Hartberg geflossen, in dem er nur am Wochenende und im Urlaub wohnen kann. "Eingezogen sind wir an einem Freitag", erinnert sie sich, "am Montag ist er wieder nach Wien gefahren. Dann war ich mit den Kindern allein." Schulische Probleme, die Pubertät, die erste Liebe - der Vater hat immer nur Wochenendausschnitte miterlebt. "Manchmal hätte ich mir schon gewünscht, daß er zum Reden da ist. Am Anfang hat es nicht einmal ein Telefon gegeben. Ich habe nicht gewußt, wie es ihm geht und er nicht, was zu Hause los ist," schildert sie die Situation.

Zu kurzes Wochenende "Der Vater ist der Supermann, die Mutter macht unter der Woche die Knochenarbeit", gleiche Situation, anderes Urteil von Gerhard Pfeiffer, Sozialarbeiter in Hartberg. "In einer Pendlerbeziehung braucht es viel Beziehungskultur", erklärt er. Pfeiffer betreut die Scheidungsfälle rund um Hartberg. Hauptstreitpunkt unter den Partnern ist die Erziehung. "Das Wochenende ist zu kurz, um solche Grundsatzdiskussionen zu führen." Maria Winkler hat da ihre eigene Strategie: "Es müssen halt beide wollen. Und wirklich schauen, daß am Wochenende miteinander geredet wird. Aber nicht drängen." Denn die Männer, und da braucht sie nur in den Bekanntenkreis zu schauen, seien nach Jahren des Pendelns seelisch und körperlich kaputt. Aber nicht nur die Ehefrauen wollen etwas von ihren Männern, auch der Fußballverein, und die Trachtenkapelle und der Kirchenchor ... Und schnell ist das Wochenende vorbei und die Männer wieder auf dem Weg nach Wien."

Der Bezirk Hartberg gehört zu den strukturschwachen Gegenden Österreichs, so wie die Nachbargegend, das südliche Burgenland. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, 28 Prozent waren 1998 davon betroffen. "Da bist du gezwungen zu pendeln, so wie dein Vater und dein Großvater", resümiert Arbeitsmarktexperte Müller. Die meisten wollen nicht auspendeln. Aber die Arbeitsplätze sind rar.

Die Landwirtschaft, einst Pfeiler der Wirtschaft, wirft nicht mehr viel ab. Drei Firmen mit mehreren hundert Angestellten gibt es im Bezirk. Trotz der Südautobahn, die durch das Gebiet verläuft, haben sich nicht mehr Betriebe angesiedelt. "Verfehlte Betriebsansiedelungspolitik" nennt es Günter Müller. Selbst der öffentliche Verkehr nutzt die Autobahn nicht: Busse zwischen Graz und Hartberg verkehren kaum. Der "Oststeirer", der Zug von und nach Graz, macht seinem Namen alle Ehre: mehr ein Ausflug durch die Gegend, als eine Alternative zum Auto. Auch innerhalb des Bezirkes gibt es kaum öffentlichen Verkehr. Tagsüber verkehren gerade einmal die Schülerbusse. Das benachteiligt aber sehr stark die Frauen. Denn wenn sie kein eigenes Auto besitzen, dann kommen sie nicht oder sehr wenig aus dem Haus. Die Folge sind fehlende Sozialkontakte.

Es ist schon immer so!

Verschärft wird diese Situation bei landwirtschaftlichen Betrieben. Der Mann pendelt mit dem Auto nach Wien, die Frau managt Haushalt, Kinder und den Hof. "Wann soll sie dann noch eine Gelegenheit haben, Leute zu treffen?", fragt sich Sozialarbeiter Pfeiffer.

Trotzdem lautet der Tenor der meisten Betroffenen: "Wir sind da daheim, da sind unsere Verwandten, unsere Freunde und es ist einfach schön!" Nie wäre die Familie Winkler auf die Idee gekommen, nach Wien zu ziehen. Das Pendeln, es ist schon immer so gewesen. Jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, freut sich Maria Winkler noch mehr auf die Wochenenden, wenn der Mann nach Hause kommt. Die können beide jetzt im eigenen Haus genießen.

Die Autorin ist Journalistin bei derKleinen Zeitung in Graz.

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