Arbeiten um Gottes Lohnsdfsdfasddasd

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Es ginge eigentlich heute gar nichts mehr ohne die unbezahlte Schwerarbeit des "Ehrenamtes": Krankentransporte, Beschäftigungs- und Nachbarschaftshilfe, Besuchsdienste, Flüchtlings- und Behindertenbetreuung, Essen auf Rädern (126.133 Stunden allein Rotes Kreuz), Sterbebegleitung, Bewährungshilfe, Nachbar in Not, Malteser, Amnesty, Greenpeace, Freiwillige Feuerwehr, Bergrettung usw... So arbeiten beispielsweise beim Roten Kreuz oder den Arbeiter-Samaritern pro Angestellten elf Freiwillige, das sind Hunderttausende aktive Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Die Malteser haben österreichweit über 1.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. "Der volkswirtschaftliche Wert der Ehrenamtlichen ist so enorm, daß diese Arbeit um Gottes Lohn gar nicht gemessen wird", meint der Sozialwissenschafter Bernd Marin. Amtlich nicht erfaßt, braucht sie dann (scheinbar) auch nicht anerkannt zu werden. Knapp vier Prozent der Österreicher widmen sich unbezahlt 24 Wochen im Jahr der Pflege und Betreuung anderer. Der Anteil von Männern und Frauen bei Ehrenämtern ist etwa gleich hoch. In Deutschland bringen über drei Milliarden Stunden Ehrenamt soviel Wert wie Handel und Verkehr.

Trotz dieser starken Beteiligung der Bürger klagen viele Hilfsorganisationen, die besonders auf die Mithilfe von Freiwilligen angewiesen sind, über zunehmende Schwierigkeiten bei deren Rekrutierung. Dazu Charlotte Strümpel vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung: "Die Bereitschaft, sich freiwillig zur Mitarbeit in Organisationen zu verpflichten, geht tatsächlich zurück. Das grundsätzliche Engagement für den Nächsten bleibt aber gleich. Der Trend geht heute mehr in Richtung Nachbarschaftshilfe und Selbsthilfegruppen. Man will sich nicht mehr innerhalb eines fixen Rahmens verpflichten".

Es ist heute in der Debatte um den Wohlfahrtsstaat modern geworden, über einen Schwund an Solidarität und Mitmenschlichkeit in der Gesellschaft zu klagen. Die Hauptursache dafür wird in der zunehmenden Individualisierung gesehen. Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese Feststellung jedoch als zu pessimistisch. Dazu kommt, daß das große Ausmaß an freiwilligem Engagement unter dem Dach von Kirchen und karitativen Organisationen sehr gerne übersehen wird.

Wieso arbeiten in einer so stark materialistisch und individualistisch ausgerichteten Gesellschaft doch noch immer soviele Menschen für andere, ohne Geld dafür zu verlangen?

"Es gibt soviele Motive wie Menschen", erklärt Charlotte Strümpel. "Viele wollen einfach nur helfen, andere suchen wieder soziale Kontakte, schätzen die Verbundenheit mit der Gemeinschaft oder sind nur durch Zufall dazugekommen."

Von seinen Wurzeln her ist das ehrenamtliche Engagement in ganz besonderer Weise mit der christlichen Tradition verbunden. Zusätzlich dazu sehen viele ehrenamtliche Mitarbeiter ihr Engagement auch als Weg zur Selbstsuche und Selbsterfahrung, als Möglichkeit zur Selbstentfaltung und Persönlichkeitsentwicklung. Es gibt auch "Ehrenamtliche", die sich ihr Engagement sehr bewußt und gezielt aussuchen und es unter Umständen auch öfter wechseln. Die Gründe für diese Form des Ehrenamtes können sein: Sinnerfüllung, Aufgabe als Herausforderung, Erproben der eigenen Fähigkeiten, Kontakte, Weiterbildung, Möglichkeit, Neues auszuprobieren, oder auch einen Bereich finden, in dem eigene Wünsche und Ideen umgesetzt werden können.

Ehrenamtliche sollten in ihr Amt nicht einfach "hineingeworfen" werden, sie brauchen eine ordentliche Einführung, Einarbeitungszeit und vor allem Begleitung während ihrer Tätigkeit. Sie sollten mit Aufgaben weder überfordert noch überhäuft werden. So unverzichtbar Ehrenamt für das Funktionieren unserer Gesellschaft auch ist, braucht es doch auch Unterstützung und sollte auf einem guten Konzept basieren. In einigen Ländern Europas ist man Österreich auf diesem Gebiet schon einen Schritt voraus. So gibt es beispielsweise in den Niederlanden, Dänemark oder Großbritannien sogenannte "Volunteer Centres", das sind Zentren der Freiwilligen, die zwischen den potentiell Tätigen und den jeweiligen Einsatzbereichen vermitteln. Diese Institutionen übernehmen auch weitere Aufgaben, sodaß sie sich teilweise als echte Interessenvertretung für Ehrenamtliche verstehen. Vielfach bietet man dort auch Aus- und Fortbildung an.

"In Österreich sollte man ebenfalls solche Zentren schaffen", meinen Strümpel und jene Fachleute, die sich schon seit längerem mit diesem Thema befassen. Je weniger Menschen sich nämlich bereit erklären, kontinuierlich abrufbar zu sein, desto besser müssen ehrenamtliche Einsätze organisiert und koordiniert werden. Gleichzeitig verlangen die steigenden Qualitätsanforderungen an die Arbeit der freiwillig Tätigen auch eine immer bessere Aus- und Weiterbildung.

Anläßlich einer Enquete des "Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung" im Oktober 1995 zum Thema "Ehrenamt zwischen Anspruch und Wirklichkeit" gab es folgende Forderungen, die das Ehrenamt aufwerten und gleichzeitig attraktiver machen sollen, damit es für die "Ehrenamtlichen" zu keinerlei Nachteilen kommen kann: * Ehrenamtliches Engagement ist für die Gesellschaft professionelle Arbeit und muß auch als solche anerkannt werden.

* Offizielle Anerkennung durch ein Zeugnis oder eine Bestätigung der Organisation wäre wünschenswert.

* Der Nachweis über erfolgte ehrenamtliche Tätigkeit soll bei Vorstellungsgesprächen und im Lebenslauf anerkannt werden, (wie etwa in den USA, wo das, was jemand für die Allgemeinheit geleistet hat, bei der Arbeitsplatzsuche und bei Bewerbungen sehr ernst genommen wird.)

* Ehrenamtliche Arbeiten sollten als Pensions- und Vordienstzeiten angerechnet werden.

* Für ehrenamtlich Tätige sollte folgender Versicherungsschutz gewährleistet werden: Unfall-, Kranken-, Haftpflichtversicherung, Verdienstausfall, Rechtsschutz.

* Es sollte ein Anspruch auf Vergütung von Spesen bestehen, auch solcher, die nicht belegbar sind. (In Europa ist es nach wie vor sehr weit verbreitet, daß die sogenannten "volunteers" nicht nur ihre Zeit, sondern auch eigene finanzielle Mittel für ihre Tätigkeiten aufwenden).

* Organisationen, die ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftigen, sollten ihnen persönliche Weiterbildung anbieten und auch bezahlen.

Die Trägerorganisationen ehrenamtlicher Arbeit leben nicht nur von ihr, sie sind auch davon überzeugt, daß diese Leistung Arbeit ist, und als solche auch wahrgenommen werden muß.

Ehrenamtliche Arbeit ist gesellschaftlich notwendig, nicht nur der soziale Zusammenhalt, auch eine demokratische Gesellschaft lebt von ihr.

Die "unsichtbare" Arbeit des Ehrenamtes muß in seiner Bedeutung sichtbar gemacht werden. Das könnte viel dazu beitragen, die Motivation zu fördern und somit auch neue Freiwillige zu gewinnen.

Die Bereitschaft der Menschen, sich für andere "um Gottes Lohn" zu engagieren, ist sicher ungebrochen. Und auch von Seiten der Politik gibt es wachsendes Interesse am Ehrenamt. Leere Staatskassen und die wirtschaftlichen Einbrüche der letzten Jahre haben dazu geführt, daß der gemeinnützige Sektor als soziale Ressource neu entdeckt wird. Nicht nur in Österreich, sondern in sämtlichen europäischen Ländern werden heute hohe Erwartungen an die "volunteers" gestellt, ohne deren aktive Mithilfe die Lösung vieler sozialer Probleme kaum mehr vorstellbar ist.

Fakten und Daten Zehn Stunden pro Monat * Rund ein Viertel aller Menschen in den westeuropäischen Ländern engagieren sich im Rahmen von Verbänden freiwillig. (Laut einer Studie des Volunteer Centres in Großbritannien.)

* In manchen Ländern wie in den Niederlanden, in Schweden und Großbritannien betrifft das sogar ein Drittel der Bevölkerung.

* Der Großteil dieser Personen engagiert sich mindestens einmal im Monat freiwillig (im Rahmen von Verbänden - im Durchschnitt zirka zehn Stunden im Monat. - Ein Fünftel ist 21 und mehr Stunden monatlich tätig (Gastin/Smith, 1995).

* Auch in Österreich verlassen sich die Verbände auf die Leistungen ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter: Im Rettungs- und Krankentransportdienst des Österreichischen Roten Kreuzes waren 1994 über 90 Prozent der 37.460 Mitarbeiter in einem Ausmaß von 15,5 Millionen Stunden im Jahr freiwillig tätig.

* Allerdings stellt die in Organisationen geleistete freiwillige Arbeit nur einen Teil des gesamten Volumens freiwilliger Tätigkeiten dar: nach Schätzungen von Badelt (1985) engagieren sich mehr als 1,2 Millionen Personen in Österreich in zahlreichen Bereichen freiwillig. Das entspricht schätzungsweise 240.000 fiktiven ganztägigen Arbeitsplätzen, also 8,5 Prozent der unselbständig Erwerbstätigen in Österreich.

Dabei handelt es sich bei zirka drei Viertel des freiwilligen Arbeitsvolumens um Tätigkeiten, die informell außerhalb von Organisationen erbracht werden.

* In den USA, einem Land mit einer sehr fest verankerten Tradition des Ehrenamtes, übernehmen 80 Millionen Amerikaner irgendeine Form freiwilliger Aufgaben (d. h. auch informell) das sind 45 Prozent aller Amerikaner über 18, im Durchschnitt führen sie diese fünf Stunden in der Woche aus. Nach einer Schätzung von Wuthnow würden diese Aktivitäten, wenn sie bezahlt würden, der amerikanischen Gesellschaft 150 Milliarden Dollar kosten.

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