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Rechtsansprüche statt Mitleid forderte die Armutskonferenz, die dieser Tage in Salzburg tagte.

Über 125.000 Menschen leben in Österreich von der Sozialhilfe, das berüchtigte letzte Auffangnetz des heimischen Wohlfahrtsstaates, das in Armut Geratene unabhängig von allfälligen Vorleistungen ein finanzielles Minimum gewährt. Rechnet man die Sozialhilfebezieher in Alten- und Pflegeheimen dazu, waren es laut Statistik Austria im Jahr 2005 über 182.000 Menschen, die ihren Lebensunterhalt bzw. die Kosten für ihre Pflege nicht mehr selbst bestreiten konnten. Theoretisch brauchen Fürsorgeleistungen - wie es die Sozialhilfe ist - nicht stigmatisierend zu wirken; faktisch aber sind Menschen in Österreich, die diese Form der staatlichen Unterstützung beanspruchen, einem hohen Druck und vielen Vorurteilen ausgesetzt.

"Stigmatisierung ist ein Prozess der Zuschreibung von Merkmalen, die Ablehnung, Beklemmung oder Unbehagen bei Dritten hervorrufen und die Stigmatisierten entwerten", erklärt Martin Schenk. Er ist Sozialexperte der Diakonie Österreich und die Galionsfigur der Armutskonferenz. Die Beschämung, die Bezieher von Sozialhilfe erfahren, ist so groß, dass 60 Prozent jener, die einen rechtlichen Anspruch hätten, lieber darauf verzichten, als sich zu exponieren. Grund genug für die Armutskonferenz, den Schwerpunkt der diesjährigen Veranstaltung auf die Stigmatisierung und die Beschämung von Armen zu setzen. Denn Armut ist nicht nur mit finanziellen Entbehrungen gleichzusetzen, sie bedeutet auch soziale Ausgrenzung, Vereinsamung und gesundheitliche Belastungen.

Der Vollzug entscheidet …

"Aus theoretischer Sicht brauchen Fürsorgeleistungen nicht stigmatisierend sein, entscheidend ist der Vollzug", betont Karin Heitzmann, Assistenzprofessorin am Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien, und fügt hinzu, "Stigmatisierung hat viel damit zu tun, wie Leistungen an den Mann/an die Frau gebracht werden". Unfaire Fragen, viele Nachweise, lange Wartezeiten kommen immer wieder vor und stellen für Sozialhilfeempfänger eine hohe Belastung dar. Der eigentliche Kern des Problems liegt aber - unabhängig von einzelnen negativen Erfahrungen - in der unumgänglichen Überprüfung der Bedürftigkeit. Die Beschämung, die von vielen Bedürftigen empfunden wird, hat grundsätzlich mit dem Charakter der Sozialhilfe zu tun. Sie stellt im Wohlfahrtsstaat Österreich, der weitgehend vom Sozialversicherungs- bzw. vom Versorgungsprinzip geprägt ist, eine Ausnahme dar. Die Sozialhilfe ist eine der relativ wenigen Leistungen, die eine individuelle Bedürftigkeitsprüfung voraussetzt. Schon allein deswegen wird sie oft als ausgrenzend erlebt.

… über den Würde-Verlust

Dazu kommt der Einfluss der Medien, die im Aufbau von Klischees und in der Unterscheidung zwischen "guten" und "schlechten" Armen eine wichtige Rolle spielen. Zu den "guten" Armen gehören typischerweise Kinder, Katastrophenopfer und behinderte Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind. Negativ besetzt sind dagegen die Bilder von Ausländern, insbesondere wenn männlich und jung, sowie von suchtkranken Menschen, die gerne mit Kriminalität und Selbstverschuldung in Verbindung gebracht und als "gefährlich" abgestempelt werden. "Jeder Fernsehbericht ist ein kleines Dramolett; mit einem Rahmen, einer Handlung und bestimmten Rollen. Der Text ist den Rolleninhabern freigestellt, das Auswählen der Rollenträger und Montieren des Textes in die Handlung Aufgabe der Redaktion", kritisiert Schenk die Macht der Medien. Positiver beurteilt Harald Schmid, Pressesprecher der Caritas Graz, die Bereitschaft von Presse und Fernsehen, auf die Interessen benachteiligter Menschen Rücksicht zu nehmen. Auch er erlebt tagtäglich das medial vermittelte Spannungsverhältnis zwischen den vermeintlich der Hilfe "würdigen" und der "unwürdigen" Menschen, hat aber die Erfahrung gemacht, dass "der Diskurs mit den Medien sehr fruchtbar sein kann".

Nicht zu unterschätzen ist der Spielraum, den Anbieter sozialer Dienste haben, Stigmatisierung zu entschärfen oder aber zu verstärken. "Beginnend in der eigenen Organisation soll auf Entbürokratisierung geachtet werden", fasst Heitzmann zusammen. Zur Entbürokratisierung gehören kurze Wartezeiten, faire Bedarfsüberprüfungen sowie für die Betroffenen nachvollziehbare Entscheidungen. Im Umgang mit den Behörden ist es für benachteiligte Menschen eine große Erleichterung, wenn sie von Professionisten begleitet werden, die ihre Bedürfnisse verstehen. In der Tat bieten immer mehr soziale Organisationen Rechtsberatung an, um von Armut betroffene Menschen zu stärken und sie zu befähigen, ihren Mann zu stellen. "Empowerment" statt Mitleid lautet das Grundprinzip. Denn wer ein Recht auf staatliche Leistungen hat, braucht sich dafür nicht zu schämen.

Die Autorin ist Unternehmensberaterin für Nonprofit-Organisationen.

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