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Minderjährige Flüchtlinge: Ihre Eltern schicken sie in eine vermeintlich bessere Zukunft. Ohne Geld, ohne Dokumente liefert sie der Schlepper ab."The House" in Linz bietet den Jugendlichen Zuflucht und Perspektive - denn jetzt müssen sie vor allem eines: warten.

In winziger Schrift steht das Wort "Flüchtlingsbetreuung" auf dem Türschild neben der Klingel. Im Stiegenhaus geht es zwei Stockwerke hinauf und plötzlich steht man mittendrin. Nur die großformatigen Bilder in kräftigen Farben und mit der Aufschrift "Afrika" oder "Way of Hope" lassen erahnen, dass man sich an einem Ort befindet, den Menschen fremder Kulturen prägen.

"The House", das Wohnprojekt der Volkshilfe Oberösterreich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, bietet Platz für 29 Jugendliche, die ohne ihre Eltern nach Österreich geflohen sind. Aber "The House" ist mehr als bloß ein Platz zum Schlafen. Iris Kohlfürst, Sozialarbeiterin: "Wir helfen den Jugendliche Fuß zu fassen. Wir informieren sie über ihre rechtliche Situation und arbeiten mit ihnen einen Plan aus, wie es weitergehen soll." Jugendliche, die länger in "The House" wohnen, haben meist einen organisierten Tagesablauf. Der 17-jährige Jawid aus Afghanistan besucht einen Kurs, um den Hauptschulabschluss zu machen. Andere lernen Deutsch.

Grenzen ausprobieren

Durch das Stiegenhaus dröhnt laute Popmusik. Aus der Küche riecht es gut. In einer Pfanne brutzelt Speck, daneben liegen geschnittene Zwiebel und Karotten. Der Koch ist ein Jugendlicher im schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift "mix the premium caipirinha". Er unterhält sich mit zwei anderen Burschen auf Russisch. In der zweiten Pfanne am Herd stockt ein Omelett, das Abendessen von Mustafa aus dem Kosovo. Die Wände in der Küche sind kahl, es gibt eine Essecke, aber die Sessel stehen auf dem Tisch. Gegessen wird lieber auf den Zimmern. Auf dem Gang stolpert man über die Antennenkabel für den Fernseher. Eine Zimmertür steht offen. Drinnen links und rechts ein Bett aus Kiefernholz, zwei Kästen, ein Tisch, zwei Sessel. Ein Jugendlicher mit schulterlangen, dunklen Locken zeigt einen Pokal, den er beim Dart gewonnen hat. Die anderen Zimmertüren sind geschlossen, von drinnen hört man nur Musik.

"Die meisten hier versuchen, die Zeit tot zu schlagen. Sie hören Musik, sehen fern, sind unzufrieden. Sie haben ja nicht viele Möglichkeiten", erzählt Iris. "Es sind einfach typische Jugendliche, trotz der prägenden Erfahrungen, die sie auf der Flucht gemacht haben. Irgendwie sind sie zwar reifer, aber trotzdem wollen sie sich reiben, Grenzen ausprobieren." Die Hausordnung bietet dafür genug Anlass. Alkohol, Drogen und Gewalt sind im "House" verboten. Küche und Waschräume müssen gemeinsam geputzt werden.

Wer keine Kurse besuchen kann, muss warten. In dieser Zeit stellen sich viele Fragen. Wie geht es der Familie im Heimatland? Wie lange kann ich bleiben? Wo kann ich hingehen, wenn ich 18 bin? Die Perspektiven für die Zukunft abzuklären ist Aufgabe der Clearingstelle in Linz-Urfahr.

Sie ist die Erstanlaufstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Oberösterreich. Die meisten kommen aus Nigeria, Afghanistan, Moldawien und Indien. Sie werden von ihren Eltern oder anderen Familienangehörigen in eine vermeintlich bessere Zukunft geschickt. Oft wird das ganze Ersparte dazu verwendet, einen Schlepper zu bezahlen. Von diesen werden sie an der Grenze oder sogar direkt beim Bundesasylamt abgesetzt, ohne Geld, ohne Dokumente, vielleicht mit ein paar Kleidungsstücken in einem Plastiksackerl. In der Clearingstelle ist Platz für 17 Jugendliche.

"Im Moment sind wir überbelegt", erklärt Efgani Dönmez, einer der Sozialarbeiter dort. "Wenn sie bei uns sind, bekommen sie eine Grundausstattung, wir klären, ob sie medizinische oder psychologische Betreuung brauchen und nehmen Kontakt mit den Behörden auf." Drei Monate können die Jugendlichen in der Clearingstelle bleiben. In dieser Zeit sollten die Zukunftsperspektiven abgeklärt werden. "Wenn ein Asylantrag gestellt wird, dauert es aber sehr lange, bis ein Bescheid kommt. Von den 124 Jugendlichen, die seit Oktober 2001 hier waren, hat kein einziger die Clearingstelle mit einem positiven Bescheid verlassen", erzählt Efgani.

Abhauen in die Illegalität

Einige übersiedeln nach den drei Monaten in das Wohnprojekt "The House", so wie Daniel. Der Nigerianer gehört zu den neuen Schützlingen von Iris Kohlfürst. Jetzt schaut er bei der Tür von Efganis Büro herein. Er möchte seine Schlüsselkaution abholen. "Wir verlangen eine Kaution, denn es passiert oft, dass Jugendliche abhauen, wenn ihnen klar wird, dass sie keine Chance auf Asyl haben. Sie tauchen dann unter, verschwinden in der Illegalität." Nicht jeder hält das Warten aus. Die Stimmung ist oft trostlos. "Um 8.00 Uhr gibt es Frühstück, und wenn möglich, bieten wir Workshops an. Aber sonst gibt es nichts zu tun. Sie hängen am Zimmer herum oder im Fernsehraum. Oder sie gehen auf die Straße, können sich aber nichts kaufen."

Wenig Erfolgserlebnisse

Die Jugendlichen bekommen 146 Euro Taschengeld im Monat für Verpflegung, Hygieneartikel etc. "Es ist schon vorgekommen, dass einer zwei Tage nichts gegessen hat, weil er sich unbedingt ein bestimmtes Paar Schuhe kaufen will", sagt Efgani. "Ich arbeite gern mit den Jugendlichen und ich habe einen guten Zugang zu ihnen, weil ich selber ausländischer Herkunft bin", sagt er in oberösterreichischem Dialekt. "Der Nachteil ist, dass es sehr frustrierend ist und wir wenig Erfolgserlebnisse haben." Im Gang lehnt Mustafa aus dem Kosovo, der jetzt in "The House" wohnt. Er wechselt ein paar Worte auf Türkisch mit Efgani. "Er hätte heute einen Termin bei einer Behörde gehabt, aber die haben den falschen Dolmetscher bestellt", übersetzt er. Mustafa gehört der türkischen Minderheit im Kosovo an. "Aber das weiß niemand, dass es die gibt."

Die Autorin ist Studentin der Katholischen Medienakademie.

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