Auch die Kinder brauchen die Straße

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Kinder brauchen auch denöffentlichen Raum zum Spielen und Erleben. Doch die Möglichkeiten dazu werden immer weniger.

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Kinder brauchen auch denöffentlichen Raum zum Spielen und Erleben. Doch die Möglichkeiten dazu werden immer weniger.

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Kinder sollen mehr im öffentlichen Raum spielen dürfen. Kinder brauchen Raum. Sie sehen und verstehen ihre nächste Umgebung als unmittelbaren Erlebnisraum. Je intensiver und häufiger Kinder diese unmittelbare Umwelt in der frühen Kindheit erleben, um so stärker bildet sich die Handlungsfähigkeit des Kindes heraus. Forschungsergebnisse zeigen allerdings , daß sich Kinder viel weniger als früher im öffentlichen Raum aufhalten.

Im Rahmen der aktuellen For-schung zu Lebenswelten von Kindern beschäftigt sich Barbara Murg in ihrer Diplomarbeit am Institut für Geographie mit den einschränkenden Faktoren des Spielens in der Stadt. Durch immer größeres Verkehrsaufkommen und verstärkte Bautätigkeit, wird vor allem im städtischen Bereich der öffentliche Spielraum von Kindern stark zurückgedrängt. Doch zuwenig Raum bedeutet fehlende Entfaltungsmöglichkeiten für Kinder. Dies kann sowohl die Entfaltung des Bewegungslebens wie Gehen, Sprechen und Ausdrucksbewegungen beeinträchtigen, als auch die Entwicklung der Intelligenz und Lernfähigkeit.

Murg präsentiert die Ergebnisse einer Befragung von 163 Elternteilen, deren Kinder eine öffentliche Vorschule beziehungsweise 1. Klasse Volksschule im dicht bebauten Wiener Stadtgebiet besuchen. Die Verkehrssituation der Wohnumgebung spielt in Bezug auf die Attraktivität von Spielorten eine große Rolle. Da ein Großteil der Kinder vor ihrem Haus eine stark befahrene Straße vorfindet, halten die Eltern die nahe Wohnungsumgebung für ihre Kinder zum Spielen für zu gefährlich.

Mehr Platz für Autos Die aktuelle Forschung sieht im sich bewegenden Auto den größten Feind des spontanen und freien Kinderspiels. Kinder, die ein verkehrsreiche Straße vor ihrem Haus haben, können nicht in der unmittelbaren Nähe des Wohnhauses spielen. Laut einer Stichprobenerhebung sehen die Eltern neben dem Straßenverkehr noch andere Gefahren für ihre Kinder. Die Beweggründe der Eltern, warum ihr Vorschulkind nicht alleine aus der Wohnung gehen darf, waren: "Der Verkehr ist zu gefährlich" (58 Prozent); "Das Kind ist noch zu klein" (31 Prozent); "Angst vor Fremden" (1 Prozent) und "Angst vor Drogen" (1 Prozent). Das Spielen im Freien ist davon abhängig, ob die Eltern ausreichend Möglichkeiten sehen, wo ihr Kind alleine in der Wohnumgebung spielen kann.

Die elterliche Angst um ihr Kind, ist ein ausschlaggebender Grund für die alltägliche Einschränkung der kindlichen Bewegungsfreiheit. Dazu Murg: "Elterliche Angst bindet das Kind zu sehr an die erwachsene Person, meist ist dies die Mutter. Angst macht sowohl das Kind als auch den Erwachsenen unfrei und voneinander abhängig."

Auffallend ist, daß weit weniger Mädchen als Buben im Freien spielen. Im Durchschnitt gewähren Eltern Mädchen weniger Bewegungsfreiheit als Buben. Den Weg allein zum Spielplatz zu gehen wird Mädchen und Buben aus unterschiedlichen Motiven verweigert. Bei Mädchen steht die "Angst vor Fremden", und das Argument "es gibt zu viele Ausländer" im Vordergrund. Eltern sehen ihre Mädchen mehr gefährdet als ihre Buben.

Günstig für das familiäre Wohlbefinden in der Wohnung sind ein umfangreiches Erlebnisangebot für Kinder sowie geeignete Spielräume in der Wohnumgebung. Dadurch kann das Kind die Wahl seines Spielortes selbst treffen. Die Zahl der Spielplätze hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Gleichzeitig werden Spielplatzeinrichtungen immer wieder kritisiert. Sie werden oft als lebensfern, reizarm und reglementiert angesehen.

Nach Meinung der Eltern sind sie nicht in die Wohnumgebung als Spiel- und Kommunikationsorte integriert. Studien beschreiben das Spiel der Kinder auf diesen Spielplätzen als einseitig, kurzfristig und eher individualistisch. Auch die Ausstattung der Plätze ist zu einseitig . Dazu gibt es zu starke Nutzungsvorgaben durch die Art der Geräte und zu wenig Raum für freie Spiele. Vor allem ältere Kinder definieren Spielplätze als "langweilig". Deshalb ziehen viele Kinder die Strasse den Spielplätzen vor. Die häufigsten Wünsche der Eltern in Bezug auf den Lebensraum ihrer Kinder waren: mehr Sicherheit im Straßenverkehr, die Schaffung von kindergerechten Spielraum sowie die leichte Erreichbarkeit von alltäglich wichtigen Orten, damit diese von Kindern selbständig aufgesucht werden können.

Die Wunschliste Diese Wünsche der befragten Eltern können nur dann erfüllt werden, wenn diese Eltern für die Durchführung von Aktivitäten, die sie mit ihrem Kind planen, nicht auf die Benützung des Autos angewiesen sind. Murg schlägt - auf Basis der Wünsche der Eltern - folgende Maßnahmen vor, die das Kinderspiel in der Stadt erleichtern würden: * Ausbau von Wohnstrassen, geeigneten Spielplätzen, Schulhöfen, autofreien Zonen.

* Verbesserung der straßenbaulichen Sicherheitsmaßnahmen, * Kinderverträglichkeitsprüfung von baulichen Vorhaben aktive Kinderpolitik, die nicht an Frauen-, beziehungsweise Familienpolitik gekoppelt ist.

* Beseitigung von struktureller Kinderfeindlichkeit, das heißt, Distanzierung von der gängigen Auffassung "Kinder sind überall willkommen, und können überall spielen, wenn dies nur geräuschlos und unsichtbar geschieht".

Aus: "beziehungsweise", Informationsdienst des Österreichischen Instituts für Familienforschung in Wien.

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