"Auch die Sozialpolitik globalisieren"

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"Wissenschafter des Jahres 1999" - dieser vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten verliehene Titel ging an Christoph Badelt, Vizerektor und Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Mit ihm sprach die Furche über seine Forschungstätigkeit und aktuelle sozialpolitische Fragen.

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"Wissenschafter des Jahres 1999" - dieser vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten verliehene Titel ging an Christoph Badelt, Vizerektor und Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Mit ihm sprach die Furche über seine Forschungstätigkeit und aktuelle sozialpolitische Fragen.

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dieFurche: Sie wurden zum Wissenschafter des Jahres gewählt. Was hat Ihrer Meinung nach dazu beigetragen?

Christoph Badelt: Ich habe mich sehr über diese Preisverleihung gefreut, war aber auch überrascht und vermute, daß zwei Dinge eine Rolle spielen: Auf der einen Seite gibt es in Österreich wenige Leute, die soziale Fragen und ökonomische Kompetenz miteinander verbinden. Auf der anderen Seite habe ich es immer als Aufgabe eines Universitätsprofessors verstanden, Forschungsergebnisse so aufzuarbeiten, daß die Öffentlichkeit etwas davon hat.

dieFurche: Ihre Aufgabenstellung ist es, wirtschaftliche und sozialpolitische Aspekte zusammenzuführen. Entwickeln sich beide Bereiche heute nicht auseinander?

Badelt: Ja. Es gibt es einen Zeitgeist, der das Wirtschaftliche stark in den Vordergrund stellt. Von meiner Ausbildung und Lehrtätigkeit her bin ich Ökonom. Daher habe ich Verständnis für gewisse wirtschaftliche Zwänge. Trotzdem meine ich, daß es notwendig ist, sich in Erinnerung zu rufen, daß zumindest jene, die besonders am Rande stehen, heute noch mehr Schutz brauchen als vor 20 Jahren. Deswegen mache ich mich mit meinen Äußerungen nicht immer in der Politik beliebt.

dieFurche: Wie sehen Sie unter diesem Blickwinkel die Frage des Pensionssystems?

Badelt: Wenn heute über Reformen des Pensionswesens gesprochen wird, dann besteht überhaupt kein Zweifel, daß es da grundlegender Reformen bedarf. Sie müssen das System insgesamt finanzierbar erhalten. In diesem Sinn stehe ich auf der Seite der Ökonomen. Andererseits muß man sehen, daß viele Menschen nach einer 30- bis 40jährigen Erwerbsarbeit gesundheitlich am Ende sind oder aus der Arbeitswelt hinausgedrängt werden und damit gefährdet sind, sozial total abzurutschen.

dieFurche: Ihre Lösung?

Badelt: Man muß das Pensionssystem so reformieren, daß es eine Mindestsicherung für alle Menschen garantiert - also auch für Frauen ohne ausreichende Versicherungszeiten, weil sie lange für Kinder gesorgt haben. In dieser Hinsicht bin ich für eine Verteuerung des Systems. Umgekehrt meine ich, daß die regulär Erwerbstätigen Pensionen erhalten sollten, die stärker von versicherungsmathematischen Gesichtspunkten bestimmt sind. Sie werden vielleicht weniger bekommen als heute.

dieFurche: Befürworten Sie einen allgemeinen Grundgehalt?

Badelt: Nein. Menschen, die erwerbsfähig sind, sollten ihren Teil dazu beitragen, den Kuchen, der später verteilt wird, zu erwirtschaften. In gewissen Lebensphasen sollte aber eine Grundsicherung außer Zweifel stehen: In den ersten Jahren, wenn ein Kleinkind zu betreuen ist, im Alter oder beispielsweise auch für Menschen, die alte Leute pflegen. Sie leisten eine gesellschaftlich notwendige Arbeit.

dieFurche: Sie haben auch Forschung zum Thema Familie betrieben. Was waren da Ihre Schwerpunkte?

Badelt: Im Laufe der letzten 15 Jahre habe ich immer wieder Untersuchungen über die wirtschaftliche Lage von Familien gemacht und aufgezeigt, daß bestimmte Typen von Familien wirtschaftlich extrem benachteiligt, ja armutsgefährdet sind: Vor allem Ein-Eltern-Familien und Familien mit drei oder mehr Kindern ohne hohes Einkommen. Trotz familienpolitischer Maßnahmen hat sich für sie nichts entscheidend verändert. Durch die Sparpakete der letzten Jahre sind Alleinerzieherfamilien sogar stark unter Druck gekommen.

dieFurche: Wie sollte man da helfen?

Badelt: Ich habe immer für eine Reform des Familienlastenausgleichs plädiert. Man sollte die von Armut bedrohten Familien mehr fördern. Mein ökonomischer Hausverstand sagt mir aber, daß man nicht immer nur Forderungen erheben kann. Was die Finanzierung betrifft, habe ich schon vor Jahren den Vorschlag gemacht, höhere Einkommen stärker zu belasten. Dann bekommt zwar das Generaldirektorskind genauso viel Beihilfe wie das Kind des Hilfsarbeiters. Dieser zahlt aber weniger in den Fonds.

dieFurche: Sollten man überhaupt Familien stärker fördern?

Badelt: Die Familie ist so etwas wie eine Bodenstation für den, der mit dem Flugzeug durch die Wirtschaft fliegt. Das sollte man nicht unterbewerten. In der Politik sagt man allerdings oft Familie, meint aber Frauen. Das ist unehrlich, wenn es impliziert, daß Frauen sich mehr einsetzen sollten, damit die Männer in der Erwerbsarbeit erfolgreich sein können. Das entspricht nicht der heutigen Auffassung von Gleichberechtigung der Geschlechter. Erwerbs- und Familienarbeit zu verknüpfen oder gerechter zu verteilen, ist ein spannendes ökonomisches Problem. Wenn wir in der Sozialpolitik propagieren, alte Menschen sollten durch Familienangehörige betreut werden, dann ist das sicher gut. Es wird zynisch, wenn es in der Praxis heißt, die Frauen sollten die Gratisarbeit ohne eigene soziale Absicherung machen. Bricht dann etwa die Ehe auseinander, sitzen sie in einer sozialen Falle, obwohl sie gesellschaftlich wertvolle Arbeit gemacht haben. Dem kann man nur entgegentreten, indem man für die soziale Grundsicherung der Personen, die gesellschaftlich wertvolle Arbeit leisten, sorgt.

dieFurche: Verkleinert sich Ihrer Meinung nach durch die Internationalisierung der Wirtschaft der soziale Handlungsspielraum der Staaten?

Badelt: Ja. Aber das heißt nicht, daß man die Sozialpolitik abschafft. Es braucht einen verstärkten Aufruf zu Solidarität. Wer auf der Sonnenseite des Sozialstaates lebt, muß sich an den Gedanken gewöhnen, einen wachsenden Teil seines Einkommens zur Unterstützung jener, die auf der Schattenseite stehen, aufbringen zu müssen.

dieFurche: Die Steuerpolitik geht aber in eine andere Richtung ...

Badelt: Ich verstehe, daß ein kleines Land wie Österreich nicht isoliert anders handeln kann. Daher setze ich der Globalisierung der Produktion die Forderung nach Globalisierung auch der Sozialpolitik entgegen. Wir brauchen mehr soziale Verantwortung zumindest auf der Ebene der EU. Ich meine nicht, daß ein Welt- oder EU-Sozialversicherungssystem eingerichtet werden sollte. Aber ich denke, daß wir die Erwerbsarbeit, die wir heute noch haben, anders verteilen müssen - einschließlich der Erwerbseinkommen.

dieFurche: Wie stellen Sie sich das vor?

Badelt: Es gibt die Tendenz weg von den 40 Wochenstunden. Also sollte man andere Formen der Erwerbstätigkeit fördern, aber für die soziale Absicherung der betroffenen Menschen sorgen. Die letzte Regierung hat die Sozialversicherungspflicht von Werkverträgen eingeführt. Von der Grundidee positiv. Diese neuen Selbständigen haben nun zwar eine Pensions- und Krankenversicherung, aber keinen Anspruch auf Karenzgeld und keine Arbeitslosenversicherung. Da sage ich: Wer A sagt, muß auch B sagen und fordere ein Grundeinkommen für die ersten drei Jahre der Elternschaft.

dieFurche: Der Ansturm an die Universitäten hält an, obwohl viele die im Studium erworbenen Kenntnisse beruflich nicht mehr umsetzen können. Sollte man nicht den Zugang zum Studium erschweren?

Badelt: Als Sozialpolitiker weiß ich: Wann immer Sie über benachteiligte Gruppen in einer Gesellschaft forschen - so ist Ausbildung immer einer der Auswege. In die Bildung zu investieren, ist die Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt und für den Abbau von Ungleichheiten. Ich denke an den Fortschritt, der durch die gleiche Beteiligung von männlichen und weiblichen Studenten gegeben ist. Klarerweise hat das seinen Preis: Die Leute studieren länger als notwendig - auch im internationalen Vergleich. Darin steckt eine Verschwendungskomponente.

dieFurche: Und es bewerben sich Akademiker für Schreibarbeiten ...

Nimmt man ernst, was Bildungs- und Arbeitsmarktpolitiker sagen, so sind die Zeiten vorbei, wo man für einen lebenslang ausgeübten Beruf ausbildet. Es geht um die Erarbeitung von Schlüsselqualifikationen, die Fähigkeit, sich auch nach zehn Jahren so weiterbilden zu können, daß man etwas anderes zu tun vermag. Das relativiert die Frage nach der Überqualifikation.

dieFurche: Sie sind derzeit Lehrer, Forscher und als Vizerektor Verwalter: Wie bringt man das unter einen Hut?

Badelt: Mit langer Arbeitszeit, Engagement, Spaß und guter Arbeitsorganisation. Man kann nicht an allen drei Fronten stets mit Volldampf fahren. Meine Vizerektorstätigkeit ist auf vier Jahre beschränkt. Ich bin in der Mitte der Periode angelangt und produziere heute sicher weniger Forschungsergebnisse als vor zwei Jahren. Aber dennoch gibt es Leute, die weniger Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und weniger Forschung betreiben.

Das Gespräch führte Christof Gaspari ZUR PERSON Wirtschaftswissenschafter und Sozialpolitiker Geboren 1951 in Wien, absolvierte Christoph Badelt auch seine gesamte Ausbildung in dieser Stadt: 1969 Matura an einem Realgymnasium, 1974 Sponsion nach einem Studium an der Wirtschaftsuniversität, wo er 1976 auch promovierte und sich 1984 habilitierte. Es folgten Rufe an Hochschulen in Freiburg, Köln, München. Seit 1997 ist er ordentlicher Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Wiener Wirtschaftsuni, wo er auch den Interdisziplinären Lehrgang für Sozialwirtschaft, Management und Organisation Sozialer Dienste leitet. Seit März 1998 ist er Vizerektor. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind die "Nonprofit"-Organisationen, Fragen der Familie, der Bedeutung ehrenamtlicher und der Pflegetätigkeit. Professor Christoph Badelt ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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