"Auch wir können fallen"

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Philip Zimbardo, Leiter des Stanford Prison Experiments, über die Macht des Bösen.

Die Furche: Herr Professor, Ihr neuestes Buch heißt "Der Luzifer-Effekt". Um Religion geht es dabei nicht.

Philip Zimbardo: Richtig. Jedoch bringt die Geschichte von Luzifer mein Anliegen auf den Punkt: Luzifer lebte zunächst als Erzengel an Gottes Seite und wurde später zum Teufel. Das ist die extremste denkbare Wandlung. Wir glauben nur allzu gerne, dass das Gute in uns ist und dass uns das vor dem Bösen schützt. Aber auch wir können fallen. Es existiert keine undurchdringliche Barriere zwischen Gut und Böse.

Die Furche: Diese Botschaft untermauern Sie mit psychologischen Studien. Unter anderem mit einer detaillierten Erzählung des Stanford Prison Experiments, das Sie selbst leiteten.

Zimbardo: Und es ist immer noch ein sehr lehrreiches Beispiel. Die Teilnehmer waren allesamt junge Menschen aus der Mittelschicht. Sie wurden auch ausgewählt, weil sie nach psychologischen Tests als völlig durchschnittlich eingestuft worden waren.

Die Furche: Das Experiment war auf zwei Wochen angesetzt, doch nach sechs Tagen musste es abgebrochen werden. Ja, der Gefangene Doug erlitt bereits nach 36 Stunden einen psychischen Zusammenbruch. Wie konnte die Situation so schnell eskalieren?

Zimbardo: Ich denke, man muss das vor dem Hintergrund der damaligen Zeit sehen. 1971 war eine Zeit des studentischen Aktivismus. Die Jugend war Anti-Vietnam, gegen den industriellen-militärischen Komplex, für Frauchenrechte etc. Alle Probanden meinten vorher, sie möchten lieber Gefangene sein, keiner wollte die Rolle eines Gefängniswärters spielen. Auch kamen sie mit den falschen Erwartungen. Sie dachten, das sei leicht verdientes Geld und sie hätten eine ruhige Zeit - etwa zum Lesen und Lernen. Doch die Rebellion am zweiten Tag veränderte die psychologischen Dynamiken radikal: Die Gefangenen hatten sich mit Betten verbarrikadiert; die Wärter zogen sie gewaltsam aus ihren Zellen. Das war ein Wendepunkt.

Die Furche: Aber der Unterschied zwischen Realität und Experiment hätte doch klar sein müssen.

Zimbardo: Wir bemühten uns ja gerade, ein möglichst realistisches Szenario zu entwickeln. Die Übeltäter wurden zum Beispiel nicht ins Gefängnis eingeladen, sondern völlig überraschend durch die örtliche Polizei vor den Augen ihrer Nachbarn abgeführt. Auch der katholische Priester machte seine Sache ganz ausgezeichnet. Er erklärte den Gefangenen etwa, dass er sie da nicht rausholen kann. Nur ein guter Anwalt würde helfen. Das hob das ganze auf eine neue Realitätsebene. Die Gefangenen merkten bald, dass ihre Freiheiten stark beschnitten wurden. Sie dachten: Das ist wirklich ein Gefängnis, wenn auch ein von Psychologen geführtes.

Die Furche: Sie waren Studien- und Gefängnisleiter in einer Person, wobei Sie immer mehr in die letztere Rolle verfielen.

Zimbardo: Ich bin keine Ausnahme. Spätestens nach dem psychischen Zusammenbruch eines zweiten Insassen hätte ich das Experiment abbrechen müssen, weil eigentlich alles gezeigt war, was wir zeigen wollten. Da bekenne ich mich schuldig. Heute würde man eine Ethik-Kommission zur Überwachung einsetzen, um eine externe Kontrolle zu haben. Aber wir hatten damals bloß ein winziges Budget von 2500 Dollar; ich war der Leiter, zwei junge Uniabsolventen und ein Student halfen mit. Dass selbst ich als Erwachsener und Psychologe den Rollen-zwängen nicht entkommen konnte, spricht aber auch für die Macht von solchen Situationen.

Die Furche: Lassen sich einzelne Faktoren benennen, die diesen Ausgang provozierten?

Zimbardo: Die Menschen verfangen sich in den Rollen, die sie spielen sollen. Dabei trägt schon eine Uniform viel zu einer neuen Identität bei. Verspiegelte Sonnenbrillen, wie wir sie verwendeten, schafften Distanz. Die Gefangenen wurden mit Nummern statt Namen gezielt ent-individualisiert. Wenn dann einer anfängt, die Gefangenen als "Hunde" oder "Schweine" zu beschimpfen, sind diese Menschen endgültig ent-humanisiert. Viel funktioniert über Sprache, prinzipiell ist wenig physische Gewalt vonnöten.

Die Furche: Sehr viele Gewalttätigkeiten gab es im irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Haben dort die gleichen Mechanismen gewirkt?

Zimbardo: Ja. Aber der Stress für die als Wärter arbeitenden Soldaten war ungleich höher: Rundherum herrschte Krieg. Das Gefängnis stand von außen unter Beschuss. Innen drohten Aufstände - die Lebensbedingungen für die Gefangenen waren katastrophal. Noch dazu waren die Vorgaben seitens der Führung höchst unklar. Dadurch wurden diese schlimmen Menschenrechtsverletzungen erst möglich.

Die Furche: Mit dieser Argumentation haben Sie versucht, einen der Angeklagten, Sergeant Chip Frederick, zu verteidigen - und sind vor Gericht auf taube Ohren gestoßen. Warum?

Zimbardo: Chip Frederick war ein vorbildlicher Soldat. Das geht aus seinem Lebenslauf hervor. Psychologische Tests zeigten, dass er ganz normal war - vergleichbar den Probanden des Stanford Prison Experiments. Einige militärische Untersuchungen bestätigten die speziellen Umstände in Abu Ghraib. Die US-Regierung wollte aber unbedingt beweisen, dass es sich hier bloß um ein paar "faule Äpfel" handelte und dass sie solches Verhalten nicht billigte. Die Strafen waren deshalb besonders hart - konkret: acht Jahre Gefängnis für Chip Frederick.

Die Furche: Aber wäre das nicht eine zu einfache Entschuldigung - einzig die Situation für die Greuel verantwortlich zu machen?

Zimbardo: Ich will damit gar nichts entschuldigen. Die Übeltäter haben ein Verbrechen begangen. Mit dieser moralischen Last müssen sie leben. Aber die Analyse der Situation sollte zu einem milderen Urteil führen.

Die Furche: Warum wurden die außerordentlichen Umstände nicht berücksichtigt?

Zimbardo: Weil das besser in die Vorstellungen der Bush-Administration gepasst hat. Wer die Umstände mit einbezieht, kann auch auf jene zeigen, die diese Umstände erst geschaffen haben. Und ja: Ich sage, die US-Regierung trägt Mitschuld an den Misshandlungen.

Die Furche: Inwiefern ist Ihre Expertise ungewöhnlich vor Gericht?

Zimbardo: Tatsächlich baut fast die ganze Psychologie auf dem einzelnen Individuum auf, besonders stark etwa auch im psychiatrischen Bereich. Demnach besitzt jeder Mensch bestimmte Dispositionen: etwa eine Veranlagung zur Gewaltsamkeit, Schüchternheit etc. Neuerdings versucht man diese Charaktereigenschaften sogar in den Genen festzumachen. Für mich ist dieser Blick auf den Einzelnen - als ob er in einer Kapsel leben würde - ein künstlicher. Persönlichkeiten verändern sich doch, je nach dem, mit wem wir zusammen sind.

Die Furche: Wer von fixen Eigenschaften ausgeht, weiß auch schon, wer zum Sadismus neigt und wer nicht.

Zimbardo: Ja. Ich frage meine Studierenden oft in den Seminaren: Wer von euch hätte zu den guten Gefängniswärtern gehört? Fast jeder meint, dass er einer von diesen sei. Ich frage dann immer nach: Wie kann es sein, dass, wenn niemand ein böser Gefängniswärter ist, es sie aber offensichtlich trotzdem gibt. Meine Überzeugung ist: Wer nicht an seine dunkle Seite glaubt, wird ein leichteres Opfer seines bösen Ichs. In diesem Sinne sehe ich mein Buch auch als Warnung an den Leser: Sei wachsam! Nur so kann man der Macht der Situation etwas entgegenhalten - und vielleicht sogar zum Helden werden.

Das Gespräch führte Thomas Mündle.

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