Auf zur X-mas After-Bescherungs-Party

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Der erste Schock über die Tragödie am Bergisel ist vorbei (siehe Furche 49 und 50/1999) - und die Jugend wird schon wieder in den nächsten Event entlassen. Der Innsbrucker Kinderpsychologe und Psychotherapeut Heinz Zangerle warnt vor exzessiven Entwicklungen.

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Der erste Schock über die Tragödie am Bergisel ist vorbei (siehe Furche 49 und 50/1999) - und die Jugend wird schon wieder in den nächsten Event entlassen. Der Innsbrucker Kinderpsychologe und Psychotherapeut Heinz Zangerle warnt vor exzessiven Entwicklungen.

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Im adventlichen Kaufrausch hat sich das offizielle Tirol rasch vom tragischen Bergisel-Schock erholt. Während vor der Annasäule noch die Kerzen brennen und Jugendliche still trauern, spricht man schon vom Millenniums-"Event". Und alles dreht sich um die technischen Fragen der Sicherheit. Wohl verdrängt bleibt bisher die Frage des Anteils der Akteure, nämlich der Jugendlichen. Im Gegenteil, wie in einem öffentlichen Wettbewerb unter dem Motto: Wer nimmt die Jugend am besten in Schutz? gibt es breite mediale Umarmung für die Jugend und geradezu jovial-anbiederndes Schulterklopfen durch einige Politiker. Auch seitens der Jugendpsychiatrie kommt via TV der Persilschein.

Darf man unseren Nachwuchs so völlig aus der Verantwortung am Geschehen ins nächste Event entlassen? War die Tragödie tatsächlich "nur" Folge mangelnder Sicherheit, unabwendbares Massenphänornen, gar Schicksal? War "Air & Style" wirklich nur Spaß und nichts als Spaß mit tragischem Ende? Oder war da nicht massenhaft disziplinlose Drängelei? Und was verdrängt die Generation der Erwachsenen?

Generalabsolution Die Tragödie vom Bergisel in Innsbruck taugt nicht als Thema für Schuldzuweisung und Zeigefingerpädagogik, und selbstverständlich muß man auch über Sicherheitsfragen diskutieren. Wir machen es uns aber zu einfach, wenn wir zur jugendpolitischen Tagesordnung übergehen, ohne nicht einmal im Ansatz über den Anteil und die Steuerung der jugendlichen Einzelindividuen, jener "Elementarteilchen" der Event-Masse zu reden. Denn sie, und niemand sonst waren es schließlich, die das Drama zumindest mitproduziert haben.

Die Generalabsolution der Jugend kommt zu schnell. Die Öffentlichkeit darf sich hier nicht jeglicher Konfrontation mit dem Nachwuchs entziehen. Das riecht zu sehr nach dem Prinzip wohlmeinend-liberaler und immer alles verstehender Gleichgültigkeit, praktiziert auf verschiedenen Ebenen der gegenwärtigen Erwachsenengesellschaft.

* "Moderne Eltern gefallen sich zunehmend darin, jugendliche "Coolness" nachzuahmen. Nur ja mit allen Trends mitgehen, nur ja nicht vor den Kindern für hoffnungslos altmodisch gehalten zu werden. Es ist ein Teil elterlicher Konfliktökonomie geworden, selber total ausgeflippt, urgeil und megacool zu sein, Damit erspart man sich zwar die Mühe der Konfrontation mit dem Nachwuchs, erzeugt aber nur wohlmeinende Leere.

* Die Politik wagt kaum ein kritisches Wort zu Jugendfragen, weil sie vorrangig an Machterhalt interessiert ist und den Verlust von Wählerstimmen fürchtet. Zudem wird die "Eventitis" mit öffentlichen Mitteln gefördert.

* Zwischen Medien, Werbeagenturen und Veranstaltern gibt es eine enge Verquickung von Geschäftsinteressen. Eine überzogen schmeichelhaft-liberale Haltung der Jugend gegenüber und das ständige Umwerben ihrer Veranstaltungen erhöhen die Quote.

* Die Kirche enthält sich jeglicher Stellungnahme und wagt sich nicht einmal im Ansatz zu Aussagen über moderne Jugendphänomene. Übervorsichtig und mit sich selbst beschäftigt befürchtet sie, daß ihr die Jugend ganz verloren geht. Damit bleibt sie zwar unangreifbar, wird aber von Heranwachsenden auch nicht mehr wahrgenommen.

Event statt Advent In Innsbruck haben die Interessen diverser Veranstalter verhindert, sich mit den Geschehnissen auf der individuellen persönlichen Ebene auseinanderzusetzen. Trotz des Unglücks wurde darauf verzichtet, die zahlreichen, bis in die frühen Morgenstunden angesetzten After-Parties abzusagen. Die Sicherheitsbehörden in Innsbruck begründeten ihre Entscheidung - angeblich nach Rücksprache mit Psychologen - mit der Befürchtung, die Jugendlichen hätten sonst "ein ungeahntes Maß an Frustration und Aggression anderweitig abgeladen".

Diese Entscheidung ist Dokument unserer Gummiwand-Gesellschaft. Nicht einmal angesichts von fünf Toten und mehreren Schwerstverletzten haben Repräsentanten der Öffentlichkeit den Mut gezeigt, der Jugend die Priorität gesellschaftlicher Werte der Pietät vor jenen einer hedonistischen Eventkultur zu vermitteln. The party must go on: "Speed is the need!" - in großen Lettern prangen schon überall in Tirol die Werbeslogans auf den Plakaten für die nächste Boarder-Party. "Du sollst möglichst schnell sein!"

Könnte es sein, daß das die falsche Botschaft an die Jugend ist, weil gelassene Langsamkeit die Tragödie am Bergisel verhindert hätte? Zu hinterfragen wäre auch die Zweideutigkeit des - wie üblich - englischen Eventtitels. Den Jugendlichen dürfte er allerdings kaum Rätsel aufgeben: Daß mit "Speed" nicht nur Geschwindigkeit, sondern auch Drogen gemeint sind, ist sogar jenen bekannt, denen die Sprachcodes der Szene weniger vertraut sind.

Und als letzter Beweis dafür, daß dort, wo einst Advent war, nun endgültig Event ist, wird in Tirol heuer am Heiligen Abend erstmals die bisher immer eingehaltene absolute Weihnachtsruhe fallen, Die "X-mas After-Bescherungs-Party" steigt erstmals in einem Innsbrucker Jugendveranstaltungszentrum ...

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