Aufbruch in der Muttersprache

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Trotz der Sprachenvielfalt dominieren in Afrika weiterhin die drei großen Kolonialsprachen Englisch, Französisch und Portugiesisch. Eine nachhaltige Entwicklung der Länder braucht eine Förderung der Regionalsprachen. Über Entwicklungshilfe - oder politisch korrekt: Entwicklungszusammenarbeit - zu schreiben, ist ein weitläufiges Unterfangen. Dieses Dossier kann daher nur einigen Herausforderungen gewidmet sein, denen die afrikanischen Staaten in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht gegenüberstehen. So werden vielerorts die eigenen Sprachen vernachlässigt und es herrscht ein Braindrain an Medizinern. Weiters gibt Karlheinz Böhm Antworten auf die Frage, warum Afrika noch immer mit so vielen Problemen kämpft. Redaktion: Thomas Meickl

Die Zahlen sind gewaltig: Auf dem afrikanischen Kontinent werden etwa zweitausend Sprachen von rund neunhundert Millionen Menschen gesprochen. Doch nach wie vor dominieren die Sprachen jener drei Kolonialmächte, die den schwarzen Kontinent über Jahrhunderte im Griff hatten - England, Frankreich und Portugal. Ihre Sprachen sind heute in den meisten afrikanischen Staaten landesweit die einzigen Amts- und Verkehrssprachen.

Deutlich im Vordergrund steht die englische Sprache, die heute von rund 247 Millionen Afrikanern gesprochen wird. Es folgen Französisch, das offiziell 134 Millionen Menschen sprechen und Portugiesisch, das von immerhin noch 35 Millionen Menschen tagtäglich verwendet wird.

Eine weitere stark vertretene Sprache auf dem afrikanischen Kontinent ist Arabisch, das im Norden und am Horn von Afrika rund 158 Millionen Menschen sprechen. Früher waren in diesen Ländern die Kolonialsprachen Französisch und Italienisch vorherrschend, die erst später vom Arabischen als offizielle Amtssprache abgelöst wurden. Die einzigen Länder, in denen keine Kolonialsprache und auch kein Arabisch als offizielle oder inoffizielle Sprache neben den lokalen Sprachen übernommen wurden, sind Äthiopien, wo Amharisch die Amtssprache ist, und Somalia, wo man Somali spricht. Beide Sprachen sind semitischen Ursprungs.

Amtssprache ist fern

Auf dem afrikanischen Kontinent leben zirka 3000 verschiedene ethnische Gruppen - und diese hohe Zahl ist einer der Gründe für die Sprachenvielfalt. In vielen Ländern des Kontinents kommt es häufig vor, dass jede ethnische Gruppierung ihre eigene Sprache oder Regionalsprache spricht. Besonders auf dem Lande spielen diese Regionalsprachen eine bedeutende Rolle. Hier sind Amts- und Verkehrssprachen vielerorts wegen mangelnder Schulbildung einerseits und traditioneller Lebensweise andererseits noch fern - traditionelle Stammes- und Clansprachen bestimmen den Alltag.

Um die Sprachenvielfalt zu bewältigen, entwickelten sich so genannte Bezugssprachen, die in größeren geografischen Gebieten als Zweitsprache gesprochen werden. Da ist im Osten Afrikas die ursprüngliche Küstensprache Suaheli, die sich im Laufe der Zeit auf weite Teile Ost-Afrikas vom Süden Somalias über den Osten der Demokratischen Republik Kongo bis in den Norden von Mosambik ausgedehnt hat und in Kenia und Tansania als Amtssprachen gilt. Im Westen Afrikas und in weiten Teilen Zentralafrikas sprechen die Menschen Lingala, ein zur Familie der Bantusprachen gehörende Sprache. Daneben existiert Bambara, das unter anderem in Mali, Guinea oder in der Elfenbeinküste gesprochen wird und zur Familie der Mandessprachen gehört. Und da wäre noch das Haussa, dass im nördlichen Nigeria und den Nachbarländern gesprochen wird.

In Mali wurde im Jahre 2002 mit Unterstützung der UNESCO eine Afrikanische Sprachenakademie (ACALAN) gegründet, die sich mit der Erforschung und der Förderung der afrikanischen Regionalsprachen beschäftigt. "Die in der Familie und im Alltag gesprochenen afrikanischen Sprachen besitzen eine unersetzliche soziokulturelle Verwurzelung und stellen die besten Trägerinnen des afrikanischen Gedankengutes dar", so ein Mitarbeiter der Akademie. An der Akademie ist man der Auffassung, dass die afrikanischen Regional- und Stammessprachen die Übermittler der historischen Erfahrungen der einzelnen gesellschaftlichen Gemeinschaften sind, die unter anderem "immaterielles Erbe und maßgebliches Wissen" transportieren. Dies zu erforschen, zu erhalten und zu fördern, ist eine der wesentlichen Aufgaben der ACALAN-Akademie. Dazu hat die Akademie den afrikanischen Kontinent in sechs Zonen eingeteilt, in jeder einzelnen wird dann die dort vorhandene und bekannte Sprachenvielfalt analysiert und ausgewertet. "Besser spät als nie", sagt ein malischer Mitarbeiter der UNESCO und übersetzt dieses Sprichwort in die Sprache der Bamanan, einem Stamm aus Mali : "Kosa Ka Kusa, bien yé" und bringt damit seine Meinung zum Ausdruck, dass es um die Zukunft Afrikas und seiner Bevölkerung ohne die Erforschung und Förderung der vielen Sprachen schlecht bestellt ist.

Kenia hat 61 Sprachen

Die linguistische Datenbank "Etnologue" listet für das ostafrikanische Land Kenia 61 Sprachen auf, die teils von nur wenigen hundert, teils von mehreren Millionen Menschen gesprochen werden. Kenia hat zwei offizielle Landessprachen: Englisch, die Sprache der ehemaligen Kolonialherren, und Suaheli. Suaheli oder Kiswahili ist in Kenia zwar nicht so häufig anzutreffen wie in Tansania, es ist aber die wichtigste Verkehrssprache für den Alltag, insbesondere in den ländlichen Gebieten. In den großen Städten und vor allem im Geschäftsleben ist allerdings Englisch unverzichtbar. Doch um so mehr man in die so genannte "breite Masse" der kenianischen Bevölkerung eindringt, um so verbreiteter zeichnet sich das Kiswahili ab. Wer zum Beispiel in die ärmeren Randgebiete Nairobis gelangt oder sich sogar einmal in die Slums der Drei-Millionen-Hauptstadt verirrt, der trifft dort fast ausschließlich auf Suaheli sprechende Menschen - es ist die "Volkssprache" in Kenia und das Englische die Amtssprache.

Im Alltag nutzen die Kenianer teilweise unterschiedliche Sprachen, je nachdem ob sie sich innerhalb der Familie unterhalten, auf den Markt gehen oder mit einer Amtsperson sprechen. Da kann es sein, dass Menschen aus der Gegend vom Viktoriasee sich innerhalb der Familie in der Sprache der Luos unterhalten, auf dem Marktplatz von Kisumo, der größten Handelsstadt am Viktoriasee sich in Kiswahili verständigen und sich im Rathaus der Stadt mit einer Amtsperson in Englisch unterhalten. Der kenianische Sprachwissenschaftler Kofi Yakpo fordert dementsprechend, dass "afrikanische Sprachen den Stellenwert bekommen sollen, der ihnen entspricht". Wenn nur die Kolonialsprache verwendet wird, so Yakpo weiter, kann der Großteil der Bevölkerung nicht davon partizipieren. Doch von einer staatlich verordneten Sprachpolitik hält Yakpo wenig. Vielmehr sollte nach seiner Auffassung die Bevölkerung selbst ihre eigenen Sprachen aus dem privaten Bereich in die Öffentlichkeit bringen, etwa durch lokale Radiosendungen, Buchübersetzungen oder mit Geschichten in Zeitungen und Zeitschriften. Für den Sprachwissenschaftler transportiert jede Sprache zudem eigene Werte, und das Bewusstsein für die eigene Sprache und Identität kann zu einem größerem Verständnis untereinander führen. Was Kofi Yakpo für sein Land fordert, existiert in Kamerun bereits seit sieben Jahren. Dort gibt Kolyang Dina Taiwé, ein Informatik-Dozent der Universität Ngaoundéré in Kamerun mit wenig Geld aber mit viel Engagement die Zeitschrift "Kaarang" heraus. Darin werden Kurzgeschichten, Artikel und Gedichte in Tpuri, einer Stammessprache aus dem Norden Kameruns veröffentlicht. Wie viele afrikanische Sprachen existiert die alte Hirtensprache Tpuri nur in mündlicher Form. Taiwé hält den Zugang zur Sprache in Textform für wichtig: "So ergibt sich eine zusätzliche Dimension zu jener der Oralität. Denn das, was gesprochen wird, verschwindet sonst, im Wind'." Außerdem ist Taiwé davon überzeugt, dass die eigene Sprache eine ganz andere Wertschätzung bekommt, wenn sie schriftlich festgehalten wird. Der Informatik-Dozent wünscht sich auch, dass Bücher oder etwa Anleitungen von technischen Geräten in die verschiedenen Regionalsprachen übersetzt werden, denn sonst bleibt weiterhin ein großer Teil der Bevölkerung vom Wissen und vom technischen Fortschritt ausgeschlossen.

Die Staatsgrenzen in Afrika entsprechen oft nicht den Sprachgrenzen. So haben sich im sprachlichen Sinne auch keine Nationen gebildet, und daher gibt es vielfach in Afrika auch keine Verbindung zwischen Sprache, Volk und Staat. Obwohl es auf dem afrikanischen Kontinent rund 2000 Sprachen gibt, wird man auch in Zukunft nicht ohne die Sprachen der ehemaligen Kolonialherren auskommen. In verschiedenen Ländern hat man Städte- und Straßennamen bereits "afrikanisiert" - doch die Amtssprachen der Länder südlich der Sahara bleiben weiter europäisch.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Nairobi und Wien.

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