Aufbruch zum Rückschritt

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Mehrarbeit ohne Kostenausgleich, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen: eine umstrittene Forderung, deren Aktualität für Österreich jedenfalls bezweifelt werden kann.

Nach wochenlangem Streit haben sich Betriebsrat und Vorstand des deutschen Autokonzerns "DaimlerChrysler" auf ein Sparpaket von jährlich 500 Millionen Euro geeinigt. Teil der Vereinbarung ist die Anhebung der Arbeitszeit bei Tausenden Mitarbeitern: 6.000 Dienstleister werden künftig weniger verdienen, dafür aber 39 statt 35 Stunden wöchentlich arbeiten müssen. Im Gegenzug garantieren die Unternehmensvertreter die Erhaltung der deutschen Produktionsstätten bis 2012. Bundeskanzler Gerhard Schröder bezeichnete die Einigung als Sieg der Vernunft.

Siemens als Vorreiter

Über eine Verlängerung der Arbeitszeit wird in Deutschland seit Februar debattiert. Statt derzeit 35 soll in vielen Unternehmen wöchentlich wieder 40 Stunden gearbeitet werden. Zunächst kam es in dieser Frage bei "Siemens" zu einer Einigung. Um 2.500 Arbeitsplätze an zwei Standorten in Deutschland zu erhalten, einigte sich die Siemens-Führung mit den Belegschaftsvertretern, die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich auf 40 Wochenstunden anzuheben.

Dass die deutsche Arbeitsdebatte vor Österreich nicht Halt machen würde, war zu erwarten. So forderte der neue Präsident der Industriellen-Vereinigung, Veit Sorger, bei seiner Antrittspressekonferenz eine "tabulose Diskussion" über alle Schritte, die geeignet sind, die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie zu erhalten. Konkret: die Arbeitszeit müsse flexibler und verlängert sowie Feiertage eventuell abgeschafft werden. Sonst könne Österreich im internationalen Wettbewerb nicht mithalten.

Die Debatte um eine Verlängerung der Arbeitszeit stellt einen Wendepunkt in der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 120 Jahre dar. Seit 1885 haben nämlich unterschiedlichste Regelungen dazu geführt, dass sich die wöchentliche Beschäftigungsdauer etwa halbiert hat. Derzeit arbeitet ein Großteil der Österreicher 38,5 Stunden pro Woche (linke Grafik). Kürzere Arbeitszeit wurde zu einer Art Maßstab für wirtschaftlich-sozialen Fortschritt. Den Ruf nach einer Verlängerung der Arbeitszeit empfinden daher viele als Alarmzeichen, als Rückschritt, als Verlust einer sozialen Errungenschaft.

Auf das Jahr gerechnet werden in Österreich derzeit rund 1.550 Stunden gearbeitet (rechte Grafik). Damit liegt das Land im internationalen Vergleich im unteren Mittelfeld, deutlich hinter Tschechien und Polen.

13 Feiertage in Österreich

Die internationalen Unterschiede haben mehrerer Ursachen: Da ist zunächst die Wochenarbeitszeit. Sie variiert zwischen 35 Stunden in Frankreich und 40 in den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern. Dazu kommen die unterschiedlichen Regelungen bezüglich Feier- und Urlaubstagen. Mit 13 Feiertagen und fünf Urlaubswochen liegt Österreich, was die arbeitsfreie Zeit anbelangt, sehr günstig. Die meisten EU-Staaten sehen nämlich gesetzlich nur vier Urlaubswochen vor und die Niederländer müssen sich mit nur neun Feiertagen begnügen.

Betrachtet man nur diese Daten, so erscheint die Forderung nach Abschaffung von Feiertagen zunächst plausibel. Norbert Zimmermann, Präsident der NÖ-Industriellenvereinigung im Standard: "Wir müssen schauen, wie wir Jahresarbeitsstunden gewinnen können, und dazu die Kollektivverträge durchforsten. Da werden wir genug Stunden finden. Nehmen Sie nur Weihnachten oder Silvester ... Im Mai fällt viel aus wegen der Feiertage, im Dezember wegen Weihnachen..."

Angst vor Arbeitslosigkeit

Der Zeitpunkt, solche Argumente ins Treffen zu führen, ist günstig: Das Thema Arbeitslosigkeit bewegt viele Menschen: Laut einer "GfK"-Umfrage ist sie die Sorge Nummer eins in fünf von acht untersuchten Ländern. Die Bereitschaft, auf diesem Gebiet zurück zu stecken, wächst. Allerdings ist abzusehen, dass es mit längeren Arbeitszeiten nicht getan sein wird. Das wird deutlich, wenn etwa Hannes Androsch, österreichischer Industrieller, darauf hinweist, dass eine Arbeitszeitverlängerung um zwei Stunden pro Woche eine Kostenentlastung von 0,6 bis 1,8 Prozent bringe. Soll damit die Kostendifferenz zwischen alten und neuen EU-Mitgliedsländern, geschweige denn zwischen Industrieländern und Dritter Welt überbrückt werden?

Sicher nicht. Der Wirtschaft geht es zwar um Kostensenkung, sie wird jedoch vor allem durch einen möglichst flexiblen Einsatz der Arbeit erreicht. Und diesbezüglich hat Österreich jetzt schon viel zu bieten. Man muss sich nur vor Augen führen, was derzeit schon möglich ist: In vielen Betrieben kann die Wochenarbeitszeit bis zu 60 Stunden verlängert werden - und das bis zu 13 Wochen lang. 1997 haben sich Metallergewerkschaft und Arbeitgeber darauf geeinigt, dass die Arbeitszeit zwischen 32 bis 45 Stunden variieren kann.

Von der 41. bis 45. Stunde gibt es Zeitzuschläge und erst ab der 45. Stunde sind Überstunden zu bezahlen. Bei Bedarf ist sogar Sonntagsarbeit möglich. Die tägliche Normalarbeitszeit kann neun, bei einer 4-Tage-Woche sogar 10 Stunden betragen. Das Ergebnis: Österreichs Lohnstück-Kosten sind gegenüber seinen Handelspartnern seit 1997 um rund zehn Prozentpunkte gesunken.

Neben einem Produktivitätszuwachs von rund 60 Prozent zwischen 1992 und 2002 - was Weltspitze ist - bestätigen einschlägige Untersuchungen unserem Land, dass es zu den besten Hightech-Standorten in der EU zählt und weltweit Platz zwei einnimmt, wenn Faktoren wie Bildungssystem, Qualifikation der Arbeitskraft, sozialer Friede, Sicherheit, Exportförderung, Arbeitsmotivation oder Kundenzufriedenheit berücksichtigt werden. Erfolgreiches Wirtschaften hängt aber wesentlich von all diesen Faktoren ab - und nicht nur von den Arbeitskosten, deren Höhe die Wirtschaft dauernd beklagt. Die Forderung, in Österreich länger zu arbeiten, erscheint somit überzogen.

Leitmotiv Deregulierung

Es wird wohl stimmen, dass es in den siebziger und achtziger Jahren durch die damals gegebene Macht der Gewerkschaften zu Überregulierungen auf dem Arbeitsmarkt gekommen ist, wodurch unternehmerische Initiative gehemmt wurde. Diese Zeiten sind aber vorbei. Derzeit stehen wir - auch in Österreich - im Banne einer Politik der Deregulierung, der überhandnehmenden unregelmäßigen Beschäftigungsverhältnisse und des Lohnkosten-Drucks. All das erzeugt eine überall registrierbare Umverteilung der Einkommen nach oben, also hin zu den Einkünften aus Besitz und Unternehmung.

Auch dafür bietet DaimlerChrysler ein sprechendes Beispiel: Das Unternehmen verordnet seiner deutschen Belegschaft Einsparungen in einem Jahr, in dem laut Wirtschaftsmagazin Capital mit einem Gewinn von 2,85 Milliarden Euro gerechnet wird.

Dieses Herunterlizitieren der Lohnkosten und die damit einher gehende Verunsicherung der Menschen muss auf Dauer das Wirtschaftsgefüge auch in den Industrieländern ruinieren. Denn es verringert unweigerlich die Massenkaufkraft, die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Konsum. Dieser ist aber in letzter Konsequenz das Ziel allen Wirtschaftens. Entscheidungsträger in den Vorstandsetagen, die das außer Acht lassen, sägen langfristig am eigenen Ast.

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