Sexualpädagogik_druck - © iStock / gpointstudio (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Aufklärung: „Der Druck steigt“

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Jugendliche klären sich selbst vermehrt im Netz auf. Aber wie wächst eine Generation heran, die sich ihr Wissen über Sex von sogenannten „Influencern“ holt – und was macht das mit ihr?

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Jugendliche klären sich selbst vermehrt im Netz auf. Aber wie wächst eine Generation heran, die sich ihr Wissen über Sex von sogenannten „Influencern“ holt – und was macht das mit ihr?

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Katja Krasavice spricht gerne über vorgetäuschte Orgasmen. Auf YouTube ist sie häufig in lasziver Pose, BH, knappen Tops oder Strapsen zu sehen. Ihre Videos werden millionenfach geklickt. Die 23-jährige Leipzigerin mit den langen blonden Haaren, Tattoos und vollen Lippen ist eine von vielen Sex-Influencerinnen, die sich im Netz tummeln. Millionen Jugendliche folgen ihr, schreiben ihr, teilen ihre Videos. Doch Krasavices Online-Präsenz ist nicht unproblematisch. Ihre Videos tragen Titel wie „So wichtig ist Länge“ und „So geht man richtig fremd“. Damit erreicht sie eine Zielgruppe, die sich in ihrer wohl sensibelsten Lebensphase befindet: Teenager. Das Problem: Krasavice ist keine ausgebildete Sexualpädagogin. Doch sie ist eines von vielen Beispielen dafür, welche Formen Aufklärung im digitalen Zeitalter annehmen kann.

„Natürlich wissen die Jugendlichen, dass solche Videos vor allem der Unterhaltung dienen“, sagt Elke Prochazka von der Jugendberatungsplattform „Rat auf Draht“, „manipulativ wirken die Inhalte trotzdem.“ Wo und wie sich Heranwachsende Informationen zur Sexualität beschaffen, kann man heutzutage also kaum mehr kontrollieren. Schulen, Sexualpädagogen und Vereine versuchen deshalb, gegenzusteuern und Schüler mit seriösen Informationen zu versorgen. Doch nun sind auch die Vereine ins Visier der Innenpolitik geraten, wie die Ereignisse rund um „Teenstar“ zeigen.

Der Verein wurde unter anderem wegen seiner bedenklichen Äußerungen rund um Homosexualität, die laut Teenstar „heilbar“ sei, aus den Schulen verbannt (mehr dazu auf Seite 5). Doch der Fall zeigt vor allem eines: Sexualpädagogik kann sich Fragen nach Moral und Ethik nur schwer entziehen und sie ist, wie kaum ein anderes Fachgebiet, Spiegelbild der Wertevorstellungen unserer Gesellschaft. Fakt ist: Immer häufiger haben junge Menschen sexuelle Kontakte, wie eine repräsentative Umfrage des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstitutes „YouGov“ zeigt. Dazu wurden 12.000 junge Menschen in Deutschland befragt.

Früher Kontakt mit Pornografie

Im Schnitt verlieben sich die Jugendlichen heute schon mit rund 13 Jahren. Erste sexuelle Erfahrungen sammeln sie mit 16. Etwa die Hälfte der Teenager informiert sich am liebsten in der Schule über Fragen der Sexualität. 28 Prozent gaben Medien und Filme als wichtigste Quelle an. Ein Viertel der Befragten findet jedoch im Internet die für sie wichtigsten Informationen. Bei diesen Zahlen überrascht es nicht, dass Teenager heute immer früher in Kontakt mit Pornografie kommen, im Schnitt mit 14 Jahren (mehr dazu auf Seite 6). Pornos seien für viele Jugendliche so etwas wie Anschauungsunterricht, erklärt Prochazka. „Der Druck auf die Jugendlichen steigt durch solche Inhalte natürlich“, sagt die ausgebildete Psychologin, „die Jungen und Mädchen tendieren dazu, sich mit den Menschen in Pornos zu vergleichen“. Und dieses Potenzial war vor der Digitalität nicht so stark vorhanden, so die Jugendberaterin. Seit 18 Jahren wenden sich Teen­ager mit intimen Fragen an Prochazka. Die Verunsicherung durch pornografische Inhalte nimmt sie in den Gesprächen mit den Jugendlichen wahr. Häufig käme die Frage, in welchem Alter man Analsex, Gruppensex oder Oralsex haben müsse, erzählt Prochazka. „Wir fragen die Jugendlichen dann, ob sie das denn überhaupt möchten.“ Prochazkas Ziel ist es, junge Menschen sensibler für ihre eigenen Wünsche zu machen.
Eines werde bei der Debatte rund um die Aufklärung nämlich häufig vergessen: Meistens seien die Fragen über Sexualität ein Vorhang für emotionale Unsicherheiten, die sich dahinter verbergen, sagt Prochazka. „Fragt ein Junge etwa, ob sein Penis zu klein ist, so hat das häufig nichts mit Zentimetern zu tun“, sagt die Psychologin, „oft geht es hierbei um die Frage, was männlich ist und ob man männlich genug ist.“ Prochazka versucht, den Teenagern den Druck zu nehmen.

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