Aus Eigennutz für den modernen Sozialstaat einfordern

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Wir sind für die Absicherung und Erneuerung des Sozialstaats, der Österreich und Europa viel gebracht hat.

die furche: Warum soll ich das Sozialstaat-Volksbegehren unterschreiben?

Stephan Schulmeister: Aus Eigennutz, aber nicht nur aus Eigennutz. Der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit bedeutet für jeden einzelnen, dass die Absicherung gegen Grundrisiken des Lebens, die man als Individuum nicht oder nur beschränkt steuern kann solidarisch erfolgt. Wenn ich daher Eigennutz sage, spreche ich Solidarität als einen Egoismus sozialer Ordnung an. Solidarität ist ja eben nicht Wohltätigkeit und Barmherzigkeit, sondern heißt: Als Teil einer Gemeinschaft verfolge ich im Verein mit anderen meine Interessen.

die furche: Was beinhaltet der Begriff "Sozialstaat" alles?

Schulmeister: Das Sozialstaat-Volksbegehren hat auf keinen Fall das Ziel, zu einem traditionellen Wohlfahrtsstaat à la Bruno Kreisky zurückzukehren, sondern es geht darum, den traditionellen Sozialstaat - dort wo er effizient und wichtig ist - zu verteidigen, aber auch in dynamischer Hinsicht einen modernen innovativen Sozialstaat einzufordern, der sich den Problemen stellt, die im Zuge der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung neu entstanden sind. Ich nenne Beispiele:

* Globalisierung und Migration - Ansässige wie Zuwanderer werden mit der Forderung nach Integration weitgehend allein gelassen;

* das Armutsproblem - die traditionellen Träger des Sozialstaats haben das einfach ignoriert. Und man überlässt es dann den Kirchen, wie im Mittelalter, als Barmherzigkeitsinstitutionen zu fungieren;

* alle neuen Formen der atypischen Beschäftigung, wo Leute vom Staat aus der Sozialversicherung herausgenommen werden, damit sie für die Unternehmen billiger kommen. Alle drei Beispiele sind Massenphänomene. Und es ist die Pflicht des Sozialstaats, sich dieser Probleme anzunehmen.

die furche: Kann die Entwicklung hin zu mehr privat, weniger Staat per Verfassungsgesetz gestoppt werden?

Schulmeister: Teilweise ja und zwar dann, wenn die geforderte Verfassungsnorm kein allgemeines Wischiwaschi ist. Wir wollen ja dem Verfassungsgerichtshof keinen Gummiparagrafen vorgeben. Unser Verfassungszusatz ist sehr konkret, wenn es zum Beispiel darin heißt, dass jedes soziale Belange betreffende Gesetz, einer Sozialverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss. Klar ist auch: Man kann mit einer Verfassungsbestimmung nicht den Vormarsch des Neoliberalismus stoppen. Aber man kann eine Gegenöffentlichkeit schaffen. Und man kann all die sozialen Grundfragen, deren Lösungen uns jetzt unter dem technisch-ökonomischen Diktat der Budgetkonsolidierung vorgesetzt werden, neu diskutieren. Oberste Prinzipien dabei sind die schlichten Fragen: In welcher Gesellschaft will die Mehrheit der Österreicher leben? Wie wollen wir unser Gemeinwesen organisieren?

die furche: Warum diese Initiative jetzt?

Schulmeister: Wir sind überzeugt davon, dass die Regierung in wesentlichen Punkten gegen den deklarierten Willen der Bevölkerung Politik macht. Es wird ein Kurswechsel in Richtung faktischen Abbaus des Sozialstaats gemacht, den eine große Mehrheit der Österreicher nicht will. Und zwar eine Mehrheit, die jenseits aller politischen Lager steht. Das ist für unser Volksbegehren zentral: Es richtet sich nicht generell gegen die Regierung, sehr wohl aber gegen einzelne von ihr getroffene Maßnahmen. Unsere Grundbotschaft ist eine positive: Wir sind für die Absicherung und Erneuerung des Sozialstaats, der Europa im Gegensatz zum anglo-amerikanischen Modell viel gebracht hat.

die furche: Gibt es Vorbilder?

Schulmeister: Erstaunlicherweise nein. Wir sind sogar voller Selbstvertrauen, dass wir nach Europa hinaus wirken werden. Und wir unternehmen in diese Richtung auch einiges. Es gibt in vielen europäischenLändern Netzwerke, deren zentrales Ziel die Erhaltung und Verbesserung des europäischen Modells der sozialen Marktwirtschaft ist, die seltsamerweise aber diesen aktionistischen Fokus noch nicht gefunden haben. Die Forderung, die Prinzipien des Sozialstaats in der Verfassung zu verankern kann viel Energie bündeln und viele Aktivitäten freisetzen. Der Weg ist natürlich bei diesen Dingen das Ziel. Der Weg, das ist das Kampagnisieren, das ist: die Themenführerschaft erobern, das ist: die Stammtische zu erreichen.

die furche: Dann gibt es aber doch noch das Gegenargument: Der Sozialstaat ist nicht mehr finanzierbar!

Schulmeister: Das europäische Modell des Sozialstaats ist finanzierbar. Hier von technischen Unmöglichkeiten zu reden, von ökonomischen Zwängen ("Es geht nicht anders!"), ist Einschüchterung und Ausrede zugleich. Hier gehört aufgeklärt: Wir haben ein um 50 Prozent höheres Sozialprodukt, der Kuchen ist also sehr viel größer geworden.

Warum sollen wir uns aber bei diesem größerem Kuchen etwas nicht mehr leisten können, was wir uns vor 20 Jahren geleistet haben? Das kann ja nur eine Verteilungsproblematik sein. Der Sozialstaat ist ökonomisch anderen Lösungen nicht immer - ich bin kein Staatsfetischist -, aber oft haushoch überlegen.

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