Autonomie? Mord? Eine ewige Kampfzone

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Über 40 Jahre nach Inkrafttreten der heftig umkämpften Fristenregelung stehen sich beim Thema Spätabbruch wieder zwei unversöhnliche Positionen gegenüber. Über ein ideologisches Minenfeld.

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Über 40 Jahre nach Inkrafttreten der heftig umkämpften Fristenregelung stehen sich beim Thema Spätabbruch wieder zwei unversöhnliche Positionen gegenüber. Über ein ideologisches Minenfeld.

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Katharina Lacina ist begeistert. "Im Film '24 Wochen' wird klar, dass es um die individuelle Perspektive geht. Man kann das nicht trocken entscheiden." Jahrelang hat die feministische Philosophin aus Wien zu medizinethischen Fragestellungen im Allgemeinen und dem Thema Schwangerschaftsabbruch im Besonderen geforscht. Doch mittlerweile hat sich ihr Schwerpunkt auf die Ebene des Einzelnen verlagert: Als philosophische Beraterin unterstützt sie auch Frauen nach auffälligem Pränatalbefund dabei, eine selbstbestimmte, autonome Entscheidung zu treffen. Patentlösungen oder gar Ratschläge kann und will sie nicht anbieten. "Das Leben ist auch mit Hilfe von Ethik und von Werten nicht in eine komplett moralisch richtige und schmerzfreie Zone zu verwandeln", sagt Lacina im FURCHE-Gespräch. "Ich kann das nicht 'sauber' hinkriegen, nicht einmal mit der tollsten Beratung. Und ich kann auch nie sicher sein, dass ich meine Entscheidung nicht einmal bereuen könnte."

Schwarzweiß-Politik

Während die individuelle Entscheidungssituation also voll von Ambivalenzen und Grautönen ist, regiert auf gesamtgesellschaftlicher und politischer Ebene seit Jahrzehnten reinstes Schwarzweiß. Es war am 1. Jänner 1975, als in Österreich die "Fristenregelung" in Kraft trat. Jahrelang hatten sich SPÖ und Frauenrechtlerinnen auf der einen Seite und ÖVP sowie katholische Kirche auf der anderen Seite erbitterte ideologische Gefechte geliefert. Schließlich einigte man sich auf einen -labilen -Kompromiss. Heute, über 40 Jahre später, herrscht zum Thema Spätabbruch ein ähnlich ideologischer Stellungskrieg wie ehedem. Insbesondere die "embryopathische Indikation" in Paragraph 97 des Strafgesetzbuches, wonach ein Schwangerschaftsabbruch auch dann straffrei ist, wenn "eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde", sorgt für unversöhnliche Debatten.

Auf der einen Seite stehen jene, die davor warnen, dass bei Aufhebung dieser Indikation die Fristenregelung insgesamt ausgehebelt werden könnte - und die sich durch die Rede radikaler Abtreibungsgegner von "Mord" darin bestätigt fühlen. Auf der anderen Seite Menschen wie der Behindertenanwalt Erwin Buchinger oder der ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, die seit Jahren die Streichung dieser Indikation fordern. "Die eugenische Indikation ist eine Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung", erklärte Huainigg erst vergangene Woche bei einer Vorlesung im Wiener AKH. Auch Stephanie Merckens, Referentin für Biopolitik am Institut für Ehe und Familie (IEF) der österreichischen Bischofskonferenz, plädiert für eine Abschaffung - ohne freilich wie in Deutschland die "medizinische Indikation" so auszuweiten, dass Kinder mit Behinderungen weiterhin bis zum Einsatz der Wehen abgetrieben werden könnten, wenn ihre Existenz die psychische Gesundheit der Mutter gefährde. "Das wäre ja ein Etikettenschwindel", so Merckens. Sie wünscht sich vielmehr eine "Befreiung der Pränataldiagnostik von der Geißel der eugenischen Indikation" - und eine so gute Beratung und Begleitung, dass betroffene Paare "ihrem Kind eine Chance geben können".

Die Positionen sind also kaum kompatibel. "Das Sprechen über Schwangerschaftsabbruch ist ein traditionell vergifteter Brunnen", meint dazu Katharina Lacina. "Deshalb werden auch die Argumente toxisch. Da kann man so sauber argumentieren, wie man will: Es geht um Werthaltungen und das, was unter dem Begriff 'Leben' firmiert." Freilich kann sich auch die feministische Philosophin selbst dieser Dynamik nicht entziehen. Bei aller Euphorie über Anne Zohra Berracheds Film hat sie etwa die Sorge, dass nun das schwierige Thema "Spätabbruch" zum Anlass genommen werden könnte, um einmal mehr eine grundsätzliche Diskussion über den "normalen" Schwangerschaftsabbruch zu führen.

Erich Griessler, der sich als Leiter der Abteilung "Techno-Science and Societal Transformation" am Institut für Höhere Studien (IHS) intensiv mit der Frage beschäftigt, wie in Österreich kontroverse bioethische Fragen diskutiert und entschieden werden, erkennt hier ein Grundübel: "Das Problem ist, dass es bis heute keinen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens über die Fristenregelung gibt", weiß der Soziologe. "Jeder fürchtet, dass dem anderen Munition geliefert würde. Deshalb ist es auch nicht möglich, die Probleme und Situation der Betroffenen einmal ruhig und sachlich anzuschauen." Er selbst hat gemeinsam mit seiner Kollegin Mariella Hager die Beratungssituation nach auffälligem, pränatalmedizinischen Befund zu erforschen versucht. Mangels Ressourcen konnte man freilich im Jahr 2009 nur 17 Personen interviewen: acht Frauen, drei Pränataldiagnostikerinnen, zwei Gynäkologinnen, einen Kinderarzt, eine Psychologin, eine Hebamme und eine Diplomkrankenpflegerin. Die Ergebnisse waren nicht repräsentativ, dennoch zeigte sich, dass die Pränatalmedizin alle an ihre Grenzen führt - auch die Ärzte, die sich wegen drohender Klagen immer mehr absichern. Zudem habe sich gezeigt, dass es eine "selbstbestimmte" Entscheidung im Sinne völliger Autonomie kaum gib, so Griessler: Immer spiele auch das soziale Umfeld hinein.

Eiertanz um Abbruchstatistik

Umso nötiger wäre es, in einer größeren Studie den Status punkto Spätabbruch zu erheben. Doch derzeit fehlt dazu das Geld. Es fehle sogar ein grundsätzlicher Konsens darüber, die Zahl der Abtreibungen so gering wie möglich zu halten, kritisiert Griessler. Der Eiertanz um eine transparente österreichische Abbruchstatistik beweist die verfahrene Situation. Nun muss die entsprechende Bürgerinitiative "Fakten helfen" der "Aktion Leben Österreich" nach über 50.000 Unterschriften immerhin im Parlament behandelt werden. Sowohl die Ärztekammer als auch das Österreichische Institut für Familienforschung hat die Petition zuletzt unterstützt; das Bildungsund Frauenministerium unter der damaligen Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hatte eine Statistik hingegen als nicht notwendig erachtet.

"Man kann keine logischen Argumente anführen, warum es eine solche Statistik nicht geben sollte", gesteht auch Katharina Lacina -wenngleich man "aufpassen" müsse, wie diese Zahlen verwendet werden.

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