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Bakterien überlisten die Medizin

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Schon Hippokrates hat erkannt, daß Medizin in ihrer Anwendung der Weisheit bedarf und der Arzt eigentlich auch ein Philosoph sein sollte. Ansonsten besteht die Gefahr, daß der Fortschritt der Medizin wieder zu einem Rückschritt führt. Ein Beispiel dafür liefert die Anwendung der Antibiotika. Die Entdeckung des Penicillins vor rund 70 Jahren brachte für die Medizin einen epochalen Erfolg. Bis dahin waren Kokken, kugelförmige Bakterien, die je nach Größe, Anordnung und Lagerung Mikrokokken, Diplokokken (in Paaren), Streptokokken (in Ketten) oder Staphylokokken (in Haufen) benannt wurden, die Auslöser von lebensgefährlichen Erkrankungen.

Von Staphylokokken, den Erregern von Eiter- und Wundinfektionen, wurden in Kriegszeiten ganze Heerscharen dahingerafft. Um 1880 starben an Scharlach, der durch Streptokokken ausgelöst wird, etwa in New York, Chicago oder Norwegen bis zu 30 Prozent der Patienten. Kindbettfieber, ebenfalls eine Kokken-Infektion, war die häufigste Todesursache junger Frauen.

„Die Kokken haben auch nach 17 Jahren antimikrobieller Chemotherapie mit Penicillin und anderen Antibiotika nichts an Aktualität eingebüßt", schildert Professor Wolfgang Graninger von der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin die alten und neuen Gefahren. Selbst die früher als so harmlos betrachteten Bakterien der Darmflora, seien durch die Weiterentwicklung in der Transplantationsmedizin zu gefährlichen Krankheitserregern geworden. Graninger: „In der antimikrobiellen Chemotherapie kommt eine gewisse Endstimmung auf. Die vorhandenen Antibiotika mit einem unnötig breiten Wirkungsspektrum sollen möglichst eingeschränkt eingesetzt werden, ein unkritischer Einsatz könnte durch den Selektionsdruck großen Schaden anrichten. Neue Antibiotika müssen entwickelt werden."

Diese neue Problematik war auch Thema eines Symposiums in der Gesellschaft der Ärzte in Wien anläßlich einer Ehrung des emeritierten Mediziners Karl Hermann Spitzy, der die erste Lehrkanzel für Chemotherapie Europas in Wien gegründet hat und bahnbrechend für die Anwendung von Penicillin wirkte, das heute an Wirksamkeit drastisch verloren hat.

„Als zu Beginn der vierziger Jahre Penicillin zur Behandlung bakterieller Infektionen eingesetzt wurde, waren weniger als ein Prozent der Staphylokokken gegen dieses erste Antibiotikum resistent. Heute sind weltweit ungefähr 80 Prozent aller Stämme, die in Krankenhäusern und außerhalb vorkommen, resistent", beschreibt Professor Fritz Kayser vom Züricher Institut für Medizinische Mikrobiologie die Situation. Diese Resistenz trete vor allem in Krankenhäusern, in denen Spitzenmedizin betrieben wird, auf. Der höchste Anteil an resistenten Stämmen wird in einer Studie über japanische Universitätskliniken (60 Prozent) angegeben, in Österreich ist der Anteil 21,6 Prozent.

„Einer der Gründe für die zunehmende Gefahr der Staphylokokken beruht auf ihrer genetischen Variabilität, die es ihnen ermöglicht, sich rasch und wirkungsvoll an eine veränderbare Umwelt anzupassen, indem sie ihr Erbgut verändern", beschreibt Kayser ihre Verwandlungs-fähigkeit. Man könne immer wieder beobachten, daß Staphylokokken nach der Einführung neuer Antbioti-ka resistente Stämme entwickeln. Die Wissenschafter haben nun herausgefunden, daß in der Zellmembran von resistenten Staphylokokken-Stäm-men ein Penicillin-Bindeprotein eingebaut ist, das in penicillin-empfind-lichen Stämmen fehlt.

Resistente Stämme können überall, oft ganz plötzlich auftreten. In England löste 1981 der sogenannte Gaddafi-Stamm eine Epidemie aus. Er wurde von einem Patienten eingeschleppt, der von einem Kamel gebissen und von Gaddafi zur Behandlung nach England geschickt worden war.

Große therapeutische Probleme sieht Professor Apostolos Georgopou-los (Mikrobiologische Laboratorien der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin) auch in der zunehmenden Resistenz der Pneumokokken. An diesen Infektionen, vor allem Meningitis und Pneumonie, sterben allein in den Entwicklungsländern jährlich rund 1,5 Millionen Kinder. Bisher war eine Penicillin-Therapie erfolgreich, aber seit etwa fünf Jahren nimmt die Besistenz zu, in Ungarn und Spanien bis zu 50 Prozent. Für Österreich liegen derzeit nur Schätzungen vor, die bei drei Prozent liegen, aber die „Wilden Stämme" stehen als gefährliche Einwanderer bereits vor der Haustür.

Eine neue Generation von Antbio-tika müßte sich vor allem gegen die genetische Resistenz der Stämme richten. Dazu ist ein „weiser" Einsatz der bekannten Antibiotika unbedingt zu befolgen, sind sich die Wissenschaftler einig. Weltweit sucht man heute nach innovativen antimikrobiellen Therapien. Mit Hilfe einer neuen Diagnostik-Methode, die die genbedingte Resistenz der Stämme bestimmt, der Polymerase-Kettenreak-tion, hofft man, Resistenzmuster gegen Antibiotika zu erkennen. Daraus könnten sich neue Ansätze für eine Immunisierung gegen resistente Stämme ergeben.

Die Autorin ist

freie Journalistin.

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